Auszeichnung des Goethe-Instituts: Ruhe bewahren
Das Goethe-Institut verleiht am Freitag seine höchste Auszeichnung an Migranten und Kosmopoliten, vertraut mit Geschichten der Flucht.
Erbittert wurde Anfang der 1990er Jahre um das Selbstbild der oder des Deutschen gerungen. Wer sollte künftig – nach Mauerfall und Einstaatlichkeit – der deutschen Nation angehören, was als deutsch gelten und was nicht? Nach dem Zusammenbruch der DDR erlebte das vereinigte Deutschland in den 1990er Jahren eine Serie nationalistischer Anschläge. Sie richtete sich in Ost- und Westdeutschland vor allem gegen Arbeitsmigranten sowie Asylsuchende, aber auch gegen Linke, Frauen mit bunten Haaren, Punks, Obdachlose oder einfach nur Demokraten.
Erst durch die rot-grüne Bundesregierung 1998 erfolgte das Bekenntnis des Staates zu einer multivölkisch zusammengesetzten deutschen Nation. Das Staatsbürgerrecht wurde entsprechend reformiert. Seit dieser Zeit hat der institutionelle Rassismus in Deutschland abgenommen. Die aktuelle Welle rechtsradikaler Gewalt bezeichnen Medien und Politik heute unisono als die Taten eines braunen Mobs, fordern das Durchgreifen der Polizei.
Das war in den 1990ern noch ganz anders. Das offizielle Deutschland warb nach Ausschreitungen von Neonazis regelmäßig um Nachsicht für angeblich verängstigte und überforderte „Deutsche“ – und schob die Probleme den „Fremden“ und der Migration zu. Als negativer Höhepunkt dieser ignoranten Sichtweise gelten die behördlicherseits lange unerkannt gebliebenen Mordtaten der Terrorgruppe NSU.
Praktizierte Weltoffenheit
Flüchtlinge, Globalisierung, Antifaschismus, deutsche Identität – das sind einige Stichworte der gegenwärtige Debatte mit ihren rechtsradikalen Sommergespenstern. Und mit diesen im Gepäck reisen am Freitag auch viele Kulturjournalisten nach Weimar, wo sie an einem Akt exemplarisch praktizierter Weltoffenheit und kultureller Verständigung teilnehmen und darüber berichten werden.
Das Goethe-Institut und ihr Präsident Klaus-Dieter Lehmann laden am 28.August zu einem Festakt ins Stadtschloss Weimar, um die diesjährigen Goethe-Medaillen zu verleihen. Diese offizielle Auszeichnung der Bundesrepublik erhalten Eva Sopher, Neil MacGregor und Sadik al-Azm. Eine deutsche Jüdin, ein Brite und ein Syrer also, die sich, so Goethe-Präsident Lehmann, „in besonderer Weise um die Vermittlung deutscher Sprache sowie den internationalen Kulturaustausch verdient gemacht haben“. Eines der Grußworte wird Bodo Ramelow halten, Thüringens Ministerpräsident (Die Linke).
Deutscher Kultur verbunden geblieben
Das Goethe-Institut liefert ihm mit den drei Preisträgern eine exzellente Vorlage, angesichts der gegenwärtigen Ereignisse entsprechende Akzente zu setzen. Eva Sopher ist Präsidentin des Theatros São Pedro im brasilianischen Porto Alegre. Die 1923 in Frankfurt geborene Frau stammt aus einer deutsch-jüdischen Familie und konnte Ende der 1930er Jahre vor den Nazis nach Südamerika fliehen. Dort baute sie im Laufe der Jahre eine überwiegend mit privaten Mitteln betriebene Kulturinstitution auf, in der neben brasilianischen Künstlern auch Größen aus der Bundesrepublik wie Pina Bausch oder Hanna Schygulla gastierten.
Sopher ist trotz des Holocaust der deutschen Kultur verbunden geblieben. In einem Interview fragte die 92-jährige Weltbürgerin gerade: „Was hat Beethoven mit dem zu tun, warum ich Deutschland verlassen habe?“
In die Bundesrepublik Deutschland emigriert ist hingegen einer der anderen Preisträger, der syrische Philosoph Sadik al-Azm. Er macht sich für eine demokratische Entwicklung in den arabischen Gesellschaften stark und kritisiert das sich wechselseitig bedingende Verhältnis von arabischen Despotien (Polizeistaaten, wie sie Assads Baath-Regime verkörpert) und politisch-religiösem Extremismus. Von diesen in die Zange genommen befinden sich in der Mitte die zivilgesellschaftlich-demokratischen Kräfte, wie sie sich im Arabischen Frühling artikulierten und zwischenzeitlich fast überall ins Hintertreffen gerieten.
Al-Azm war Professor in Beirut und Damaskus, lehrte in Berlin und Hamburg. 2012 erhielt er zusammen mit seiner Frau Asyl in Deutschland.
Gelassenheit aus der Distanz
Vom sich wandelnden historischen Selbstverständnis der Deutschen hat zuletzt kaum ein anderer so prägnant und publikumswirksam erzählt wie der Direktor des British Museum, Neil MacGregor. Berühmt wurde er bereits zuvor mit „Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten“, auch dank seiner geschickten Zusammenarbeit mit der BBC. 2014 machte er sich zum Weltkriegsjubiläum an die aufsehenerregende Schau über den früheren deutschen Erzrivalen, „Germany: Memories of a Nation“. Der Begleitband erscheint am 11. September auf Deutsch unter dem Titel „Deutschland. Erinnerungen einer Nation“ im C. H. Beck Verlag.
Mit einem gewissen Abstand sieht man vieles gelassener, manches auch vorurteilsfreier wie MacGregor. Der universell gebildete Brite kann mit wissenschaftlicher Neugier und erfrischender Unbekümmertheit von kulturellen Besonderheiten in der deutschen Geschichte erzählen, sei es das Entstehen symbolischer Objekte wie das Eiserne Kreuz oder die schriftstellerische Einordnung von Werk und Person Christa Wolfs.
Oder MacGregor nimmt die Typografie des Schriftszugs (“Jedem das Seine“) am Eingangstor des Konzentrationslagers Buchenwald vor den Toren Weimars zum Ausgang einer Betrachtung, in der er das verbrecherische Nazisystem mit der Geschichte einer individuellen Person, Gedanken über Widerstand, Tradition und Ästhetik verknüpft. Ohne neben Buchenwald Goethe zu vergessen, dessen Werk er rühmt und dessen Haus er in Weimar als „ein Denkmal der Aufklärung, das British Museum eines einzelnen Sammlers“ bezeichnet.
Ab Oktober 2015 wird MacGregor auch der Gründungsintendanz des Humboldt-Forums in Berlin angehören. Mit der offenen Perspektive MacGregors wird dieser Institution wohl künftig eine Schlüsselrolle zukommen, so es darum geht, kulturell ein aufgeklärtes Geschichtsverständnis dem nicht nur in den Provinzen immer wieder aufflammenden völkischen Nationalismus entgegenzusetzen.
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