Die Wahrheit: Plädoyer für die Bahn
Die Bahn leistet Fantastisches. Mehdorn, Grube, demnächst Pofalla, allesamt sind sie großartige Pioniere der Schiene.
I ch liebe die Bahn. Schon als Kind mochte ich Lukas, den Lokomotivführer, viel lieber als Jim Knopf. Ein Mann mit einer Bahncard 100 macht mich schneller wuschig als Brad Pitt in einem Cadillac. Auf meinem Grabstein wird einmal stehen: Dieser Zug endet hier.
Die Bahn leistet Fantastisches. Mehdorn, Grube, demnächst Pofalla, alles großartige Pioniere der Schiene. Männer, die sich auch trauen, die Dinge beim Namen zu nennen. Natürlich sind wir nicht alle gleich. Es gibt Unterschiede in der Gesellschaft: 1. Klasse. 2. Klasse. Wahrheiten, die man sonst höchstens von Donald Trump erfährt.
Aber klar, manchmal gibt’s auch bei der Bahn Pech. Neulich zum Beispiel. Ein plötzlicher Sommersturm. Höchstens zwei Tage vorher angekündigt. Allerhöchstens drei. Ich bin auf dem Schienenweg von Paderborn nach Hamm, wir halten an einem kleinen Provinzbahnhof.
„Achtung, dieser Zug endet in Geseke, bitte alle aussteigen!“ Was für eine Überraschung! Aber warum nicht mal Geseke? Hamm ist knorke, aber kenne ich ja schon. Ein paar Beherzte, die sich dem gut gemeinten Rat zum Aussteigen widersetzen, rotten sich zusammen und beschließen, den Lokomotivführer zu verhören. Oh Gott, sie werden Lukas doch nichts antun wollen? Sicherheitshalber folge ich dem Mob. Der Lokführer ist echt nett. Gar nicht so, wie man der Bahn sonst immer so unterstellt.
Freundlich erklärt er, ein Baum wäre aufs Gleis gefallen, ein Kollege reingerauscht und nun müsse er dem helfen und den kaputten Zug mit seinem Zug zurück nach Paderborn schleppen. So sind sie, die Bahnmitarbeiter. Menschlich. Hilfsbereit. Kollegial. Durch ihre beherzte Nichtinformation fördert die Bahn das menschliche Zusammensein auf dem Bahnsteig anschließend ungemein. Wir kommen ins Gespräch: Was sollen wir nun tun? Wird es Schienenersatzverkehr geben? Plant die Bahn, den Bahnsteig in Geseke demnächst zu überdachen, damit wir bei Regen weniger durchnässt werden?
Schließlich ziehen wir neuen Freunde zur Information. Die Frau aus Asien am Schalter ist fast so freundlich wie der freundliche Lokomotivführer. Sie beantwortet jede Frage mit demselben sympathischen Lächeln und denselben beiden Worten: „Teine Atun“. Der gut aussehende Teilnehmer eines Junggesellinnenabschieds schafft es, das Rätsel zu lösen. „Teine Atun“, erklärt er, „heißt bestimmt: ‚Keine Ahnung‘.“ Die freundliche Dame hinterm Schalter nickt und wiederholt lächelnd. „Tack i toch: Teine Atun.“ Ich finde es eine hervorragende Idee, Arbeitnehmer, die die Landessprache noch nicht ganz perfekt beherrschen, direkt an Auskunftsschaltern einzusetzen. Wo sonst kann man das fremde Idiom so schnell und problemlos erlernen?
In den vielen Stunden, die ich verspätet in Hamm ankomme, schenkt mir die Bahn nicht nur ausreichend Zeit, mich mit dem gutaussehenden Teilnehmer des Junggesellinnenabschieds zu verloben, sondern auch gleich meine Stellenbewerbung als Lokführerin zu schreiben. Ach, ich liebe die Bahn.
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