Blogger floh aus Bangladesch: Für eine Weile Freiheit
In seiner Heimat wurden vier kritische Netzaktivisten getötet. Auch Ananya Azad wurde bedroht. Stiftung holte ihn nach Hamburg.
Seit Anfang Juli ist er in Hamburg. Und zumindest so viel lässt sich sagen: Der Mietvertrag ist unterschrieben, ein Bankkonto eröffnet, und am Tag nach dem Interview kümmerte er sich um eine Krankenversicherung. Er hat bereits englischsprachige Panels bei einer Tagung der Journalistenorganisation Netzwerk Recherche besucht, war bei einer Veranstaltung über Nelson Mandela – und einen Vortrag über seine Situation hat er auch schon gehalten: im Hamburger Auswanderermuseum Ballinstadt.
Das Land, das er zurückgelassen hat, steht im aktuellen Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen auf dem 146. von 180 Plätzen. Wer in Bangladesch etwas veröffentlicht, was die Herrschenden als „diffamierend“ empfinden, riskiert bis zu 14 Jahre Haft. „Wenn die Regierung will, dass die Polizei bestimmte Leute verhaftet, tut sie es“, sagt Azad. Regierung, Armee, Polizei – sie seien alle infiltriert von religiösen Fundamentalisten. Seinen Gegnern gelten er und andere kritische Blogger als „Atheisten“. Azad selbst betont, er sei keiner. Für viele religiöse Eiferer in Bangladesch ist bereits Atheist, wer die Trennung von Staat und Religion einfordert.
Die Regierung bezeichne sich als säkular, aber davon könne keine Rede sein, sagt Azad. Schlimmer sei noch, dass die Regierung liberale Blogger nicht schützen will oder kann. Ende Februar wurde Avijit Roy, der Gründer des Blogs Mukto Mona (Freie Denker), am Rande einer Buchmesse in Dhaka ermordet. Roy lebte zuletzt in den USA, er war eigens für die Messe angereist.
Auch Azad war auf der Buchmesse und fühlte sich bedroht. „Ein islamischer Fundamentalist hat mich derart massiv beschimpft, dass mein Verleger mich weggezogen hat“, sagt er. Azad präsentierte sein erstes Buch, in dem er die Rechtlosigkeit der Frauen in seinem Land anprangert. Der Titel lautet auf deutsch übersetzt „Keuschheit versus Polygamie“. Als er vom Anschlag erfuhr, raste Azad sofort ins Krankenhaus, denn Roy war ein Freund seiner Familie. „Aber als ich ankam, war er bereits tot“, sagt er.
Nach dem Mord an Roy gab Azad einem unabhängigen TV-Sender ein Interview – gemeinsam mit einem Polizeivertreter. Normalerweise hätten bangladeschische Blogger Angst, im Fernsehen aufzutreten, auch liberale Universitätsprofessoren lehnten Interviewanfragen ab, sagt er. „Ich habe dort deutlich gemacht, dass mein Leben in Gefahr ist, aber Konsequenzen hat die Polizei daraus nicht gezogen.“
Kurze Zeit später, im März, fiel der Online-Aktivist Washiqur Rahman Babu einem Mordanschlag zum Opfer, im Mai der nebenbei als Wissenschaftsautor und Blogger tätige Banker Ananta Bijov. Und Anfang August drang eine mit Macheten bewaffnete Gang in Dhaka in die Wohnung des Bloggers Niloy Chakrabarti ein, der als Niloy Neel schrieb, und brachte ihn um. Er war ein Freund von Azad.
„Es ist ein klares Muster der Gewalt gegen Schriftsteller und Journalisten in Bangladesch zu erkennen, die einzig aufgrund ihrer friedlichen Meinungsäußerung zum Ziel von Mördern werden“, sagte Marian Botsford Fraser, die Vorsitzende des International Writers in Prison Committee der Schriftstelleroganisation PEN. Ananya Azad bekam nach dem dritten Mord in diesem Jahr eine Facebook-Nachricht: „Du bist der Nächste.“ Man werde seinen Kopf auf einer bekannten Statue in Dhaka aufspießen.
36 islamische Gruppierungen gebe es in Bangladesch, sagt Azad. Besonders gefährlich sei die teilweise durch staatliche Gelder begünstigte Organisation Hefazat-e-Islam sowie das Ansarullah Bangla Team und ein auf dem indischen Subkontinent aktiver Al-Quaida-Ableger, die sich jeweils zu Morden an Oppositionellen bekannt haben.
Bevor Azad in Hamburg ankam, habe er zwei Monate das Haus kaum verlassen, sagt er. Und wenn, dann nur mit Motorradhelm. „Den habe ich auch im Auto getragen.“ Zu Veranstaltungen an der Universität Dhaka, sagt er, ist er „überhaupt nicht mehr gegangen“. Azad hat einen Bachelor-Abschluss in Marketing, den Master-Studiengang musste er nun unterbrechen.
Ein einziges Mal, sicherheitshalber nachts, machte er sich auf den Weg zur Uni – um sich abzumelden. Als er mit seinem Auto mit den getönten Scheiben dorthin fuhr, „verfolgten mich zwei Typen auf dem Fahrrad“. Am nächsten Morgen wollte er Zigaretten holen gehen. Da lungerten gleich vier verdächtige Gestalten an seinem Haus.
Die politischen und religiösen Verhältnisse in Bangladesch, 90 Prozent der 158 Millionen Einwohner sind Muslime, haben die deutschen Medien nicht auf dem Radar. In den Fokus gerät das Land nur, wenn es über Katastrophen zu berichten gilt. Etwa vor zwei Jahren, als in Sewar nahe Dhaka beim Einsturz eines neunstöckigen Geschäftsgebäudes, das vor allem Textilfirmen beherbergt hatte, 1.134 Menschen ums Leben kamen.
Der Unfall warf wieder einmal die Frage auf, inwieweit jemand, der bei einem Klamottendiscounter für eine Handvoll Euro ein T-Shirt mit dem Etikett „Made in Bangladesh“ kauft, mitverantwortlich ist für die Produktionsbedingungen.
Im Juni nahm die Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte, die sich durch Spenden finanziert, Kontakt mit Azad auf. Dann ging alles relativ schnell. „Ohne Martina wäre ich vielleicht schon tot“, sagt Azad und meint Martina Bäurle, die Geschäftsführerin der Stiftung, die in ihren Heimatländern bedrohten Autoren und Aktivisten ein einjähriges Stipendium in Hamburg finanziert. Seine Ausreise nach Deutschland sei ein Breaking-News-Thema in Bangladesch gewesen, sagt er und fügt halbwegs amüsiert hinzu: „Man konnte unter anderem lesen, dass ich von der deutschen Regierung bezahlt werde.“
Zum ersten Mal mit Terror konfrontiert wurde Ananya Azad 2004, da war er zehn Jahre alt. Fundamentalisten stachen mit einem Messer auf ihn ein. Die Narben sind noch zu sehen. „Hier und hier“, sagt er und zeigt auf seine rechte Wange und die linke Seite seines Halses. Ein halbes Jahr zuvor war sein Vater, der Schriftsteller und Linguist Humayun Azad, der, wie heute sein Sohn, für Menschenrechte und Meinungsfreiheit kämpfte, bei einem Anschlag schwer verletzt worden. Azad Senior starb im August 2004.
Nun sei seine Zeit gekommen, sagt Ananya Azad; er wolle fortführen, was sein Vater begonnen habe. In Hamburg hat er seinen Blog reaktiviert, zuvor hatte er monatelang nur bei Facebook veröffentlicht. In den nächsten Monaten will er unter anderem die deutsche Sprache lernen und sich mit der hiesigen Regierungspolitik der letzten fünf, zehn Jahre vertraut machen.
Da habe er Wissenslücken, sagt Azad. Zudem stehen Veranstaltungen mit Reporter ohne Grenzen und Amnesty International an. Er hat viel zu tun, Nachfragen per Mail beantwortet er mal kurz nach Mitternacht, mal um sechs Uhr morgens.
Eigentlich war es Azads Ziel, an der Universität Dhaka Marketing zu unterrichten. Doch was er in einem Jahr, wenn das Stipendium ausgelaufen sein wird, machen wird, kann er noch nicht sagen. Kehrte er nach Bangladesch zurück, wäre er dort sofort mit Problemen konfrontiert. Andererseits: „Ich vermisse mein Land, meine Mutter, meine Sprache.“
Was Azad nicht vermisst, sind die schlechten Manieren vieler Landsleute. „Wenn man sich in Hamburg verläuft, reagieren die Menschen hilfsbereit und freundlich“, sagt er. „Das wäre in Dhaka nicht vorstellbar.“
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