: Nach vierzig Jahren das Aus
Ende Berlins ältesten alternativen Jugendeinrichtungen, dem Drugstore und der Potse in Schöneberg, droht die Schließung. Der Bezirk kann sich die Miete für ein Gebäude nicht mehr leisten, das ihm selbst einmal gehört hat. Die Eigentümer machen sich rar
von Tim Lüddemann
In der Potsdamer Straße in Schöneberg erhebt sich auf Höhe der Pallasstraße ein großes, schmuckloses Bürogebäude. Die wuchtige Fassade lässt nicht vermuten, dass sich im Gebäude linksalternative Projekte befinden würden. Erst die unzähligen im Treppenhaus an die Wand gemalten Sprüche und Tags geben einen ersten Hinweis. Gelangt man in den vierten Stock, fühlt man sich mit einem Mal in einen besetzten Altbau versetzt. Meterhohe Graffiti an den Wänden, bemalte und beklebte Möbel. Auf ausgesessenen Sofas und Sesseln sitzen Jugendliche, irgendwo schraubt jemand an einer Anlage herum, ein Hund begrüßt bellend jeden Neuankömmling.
Seit über vierzig Jahren werden die Räumlichkeiten in der Potsdamer Straße 180 von den zwei Jugendzentren Potse und Drugstore genutzt. Der Drugstore, 1972 ins Leben gerufen und damit schon eine Legende, bezeichnet sich selbst als Berlins ältestes selbst verwaltetes Jugendzentrum. Die Potse kam Anfang der achtziger Jahre hinzu. Beide Einrichtungen funktionieren organisatorisch unabhängig, arbeiten aber eng zusammen.
Alles kostenlos
„Wir haben hier mitten in Berlin einen Ort, an dem wir Jugendlichen die Möglichkeiten bieten, selbstbestimmt ihre Freizeit zu organisieren“, erzählt Elna, die sich in der Potse engagiert. „In normalen Jugendclubs funktioniert das nicht, da gibt es immer hierarchische Leitungen.“ Die 22-Jährige ist eines von drei Vorstandsmitgliedern des Jugendzentrums und koordiniert dessen Angebote und Veranstaltungen. Der Drugstore wird von dem Verein „Sozialpädagogische Sondermaßnahmen Berlin (SSB)” getragen.
Drugstore und Potse stellen ihren Gästen das gesamte Angebot kostenlos zur Verfügung, wie Patrick vom SSB erzählt. Damit wollen die beiden Einrichtungen auch grundsätzlich einen anderen Weg bestreiten. „Woanders brauchen sie bezahlte Stellen, wir machen das alles umsonst“, meint Patrick. Nils, Vorstandsmitglied der Potse, erzählt, dass sich an manchen Abenden in beiden Einrichtungen bis zu 400 Besucher befänden. Sogar ganze Festivals hätten in den Räumen stattgefunden. „So einen Ort mit so viel Platz, den du als Jugendlicher selbstbestimmt nutzen kannst, findest du nicht noch einmal“, sagt er. Deshalb und wegen der langen Geschichte wollen sie gerne bleiben. Die Hausverwaltung der Immobilie, die Dareios property management, hat dem Bezirk allerdings angekündigt, ab nächstem Jahr die Miete um 40 Prozent auf 11,50 Euro pro Quadratmeter erhöhen zu wollen. Damit wolle man den seit den neunziger Jahren unveränderten Mietpreis an die Umgebungsmieten anpassen. Oliver Schworck, verantwortlicher Bezirksstadtrat für das Thema Jugend in Tempelhof-Schöneberg, sagt, dass der Bezirk die steigenden Kosten nicht übernehmen könne.
Bizarres Dilemma
Das Jugendzentrum Drugstore ist 1972 auf Initiative von Jugendlichen entstanden und sollte als Ort für alternative pädagogische Konzepte dienen. Träger ist der Verein Sozialpädagogische Sondermaßnahmen Berlin (SSB e. V.). 1980 kam das Jugendzentrum Potse als der Jugendorganisation Die Falken nahestehenden Einrichtung hinzu.
Die Örtlichkeiten sollten von Anfang an auch obdachlosen Jugendlichen und Straßenprostituierten als Schutzort dienen. Das Angebot der Einrichtungen umfasst Bandproberäume, Siebdruck- und Fotowerkstatt, ein Aufnahmestudio und Konzertveranstaltungen, aber auch die Möglichkeit, Wäsche zu waschen und eine Dusche zu nutzen. Das gesamte Angebot ist kostenlos.
Zwar möchte er die Jugendzentren gerne in der Potsdamer Straße 180 halten, der Bezirk stünde allerdings vor einem bizarren Dilemma. „Wir können uns die Miete für ein Gebäude nicht mehr leisten, das uns selbst einmal gehört hat, und haben keine Ersatzmöglichkeit, weil wir uns in der Vergangenheit von bezirkseigenen Immobilien trennen mussten.“ Eine Lösung wäre für ihn, die Mietfläche zu halbieren, um damit den Preis zu halten. Die ansässigen Projekte müssten dann versuchen zusammenzurücken oder sich in der Nutzung zeitlich abwechseln. Der Bezirk mietet in dem Gebäude noch für den Stadtteilverein Schöneberg eine Räumlichkeit.
Bis 1987 war der damalige Bezirk Schöneberg noch selbst Eigentümer der Immobilie. Nachdem er das Gebäude in diesem Jahr an die Berliner Verkehrsbetriebe verkauft hatte, musste er von nun an selbst mieten. „Der Verkauf war damals ein Fehler“, sagt Oliver Schworck. Seither hatte es viele Wechsel der Eigentümer gegeben. Aktuell ist die Grundstücksgesellschaft Potsdamer Straße 180 GmbH als Eigentümer eingetragen, die wiederum im Besitz eines internationalen Firmengeflechts ist.
Unsichtbarer Eigentümer
Intensive Erfahrung mit der Dareios property management als auch mit der dahinter stehenden Eigentümergesellschaft hat der Mieterverein Dortmund gemacht. Rainer Stücker vom Mieterverein berichtet, dass es in einem Objekt in Dortmund Klagen der Bewohner gegeben habe, bei denen der Verein vermittelt hatte. Er erzählt von schlechter Instandsetzung und mangelnder Erreichbarkeit sowohl der Hausverwaltung als auch des Eigentümers. Stücker meint, hinter beiden Firmen stehe unter anderem der israelische Investor Amir Dayan. Dieser hätte vor circa 3 Jahren begonnen, in Deutschland aktiv zu werden. „Die Eigentümerstruktur der Gesellschaften ist sehr komplex und schlecht zu durchschauen“, meint Rainer Stücker. Zu fast jeder Immobilie würde eine separate Gesellschaft gegründet. An deren Spitze befände sich eine Firma mit Sitz im Ausland. „Ein Gespräch mit den Eigentümern ist fast nicht umsetzbar“, sagt Stücker.
Dass es nicht einfach sei mit den Eigentümern in Kontakt zu treten, muss auch Oliver Schworck einräumen. Dennoch möchte er die Verhandlungen weiterführen und hofft auf ein zufriedenstellendes Ergebnis. Er sagt aber auch offen, dass er die Wahrscheinlichkeit, den Standort zu halten, nicht für besonders hoch hält. Aus dem Umfeld der Eigentümergesellschaft heißt es dagegen, dass man großes Interesse habe, den Bezirk als Mieter zu behalten. Man hätte dem Bezirk das Angebot unterbreitet, den Vertrag zu gleichen Konditionen bis Mitte des nächsten Jahres zu verlängern. Spätestens dann wolle man allerdings den Mietpreis anpassen.
Für Katrin Schmidberger, Mietenpolitische Sprecherin der grünen Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, ist der vorliegende Fall Symptom für ein grundsätzliches Problem. „Viele soziale Projekte und Einrichtungen sind in Berlin von der Verdrängung bedroht, weil sie sich die Mieten nicht mehr leisten können“, meint sie.
Alles wird teurer
Verliere ein Kiez diese sozialen Einrichtungen, gingen damit auch gewachsene Strukturen und Angebote verloren. „Wir müssen uns fragen, wie wir das verhindern und die Einrichtungen an ihren Standorten belassen können“, so Schmidberger.
Die beiden Jugendeinrichtungen sehen ihren Fall ebenfalls exemplarisch für die aktuelle Stadtentwicklung. „Alles wird teurer und wer kein Geld hat, wird immer mehr aus der Innenstadt geschoben“, sagt Elna. Die Jugendlichen wollten eine Schließung nicht einfach so hinnehmen. „Die Eigentümer sind immer nur kurz da und kennen den Kiez überhaupt nicht“, meint Nico. „Uns dagegen verbindet eine jahrzehntelange Geschichte.“
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