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Ausstellung in der Synagoge Celle„Plötzlich hallt mein Schritt nicht mehr“

Erst 30 Jahre nach dem Tod von Selma Meerbaum-Eisinger im Arbeitslager wurde sie entdeckt, heute zählen ihre Gedichte zur Weltliteratur.

Mit einer Freundin: Selma Meerbaum-Eisinger (rechts). Foto: Gemeinfrei

Celle taz | Die Qualität ihrer Werke, die besonderen Umstände, unter denen sie geschrieben und für die Nachwelt erhalten wurden, der gewaltsame Tod der nur 18-Jährigen in einem Zwangsarbeiterlager: Das sind die zentralen Themen der Ausstellung über die Dichterin Selma Meerbaum-Eisinger, die seit dem gestrigen Freitag unter dem Titel „Du, weißt Du, wie ein Rabe schreit?“ in der Synagoge Celle zu sehen ist.

Die älteste noch erhaltene Synagoge Norddeutschlands ist der passende Rahmen für die Wanderausstellung der Rose-Ausländer-Stiftung, die eine lebenslustige junge Frau und ihr Werk vorstellt und zugleich Einblicke in das Leben der deutschsprachigen Juden in einer immer feindlicher werdenden Umwelt bietet.

1939, als 15-Jährige, schrieb sie ihre ersten Gedichte, für einen jungen Mann namens Lejser Fichmann, in den sie verliebt war. Die Liebe blieb unerwidert. Vielen ihrer Gedichte verleiht diese Erfahrung eine melancholische Grundstimmung.

„Welke Blätter“ ist dafür ein Beispiel: „Plötzlich hallt mein Schritt nicht mehr,/sondern rauschet leise, leise,/wie die tränenvolle Weise,/die ich sing‘, von Sehnsucht schwer./Unter meinen müden Beinen,/die ich hebe wie im Traum,/liegen tot und voll von Weinen/Blätter von dem großen Baum.“

In dem Buch, das Helmut Braun, Kurator der Ausstellung und langjähriger Herausgeber und Vertrauter der ebenfalls in Czernowitz geborenen Rose Ausländer, über Meerbaum-Eisinger veröffentlicht hat, beschreibt Keren ihre Freundin hingegen als lebhaft und lebenshungrig: „Was Selma sagte, hatte Sinn oder bekam Sinn, nichts war banal oder belanglos … Sie tanzte sehr gern, war die Ausgelassenste in der zionistischen Gruppe. Sie wollte jeden Moment ausleben.“

Kaum eine Rolle spielen in Meerbaum-Eisingers Texten hingegen die dramatischen Veränderungen der Stadt, in der sie lebte. 1941 marschierten deutsche Truppen in das damals zu Rumänien gehörende Czernowitz ein. Selma und ihre Familie wurden wie alle anderen Juden gezwungen, im Getto der Stadt zu leben. Von dort wurde sie 1942 schließlich in das Arbeitslager Michailowka deportiert, wo sie am 16. Dezember entkräftet an Flecktyphus starb.

Ihre Gedichte aber konnten gerettet werden. Kurz vor der Deportation gelangte das Album zu ihrer Freundin Else Keren, die es Fichmann weiterleitete, der ihr das Album vor seiner Flucht nach Palästina aber wieder zurückgab. Fichmann überlebte die Reise nicht, sein Schiff wurde torpediert, Keren hingegen schaffte es nach Israel. Dort übergab sie die Gedichte einem ehemaligen Lehrer Selmas, der sie 1976 erstmals veröffentlichte.

Seitdem sei die so jung gestorbene Dichterin durchaus bekannt geworden, erzählt Braun – unter anderem durch die Vertonung durch namhafte KünstlerInnen: Iris Berben hat eine CD mit ihren Gedichten aufgenommen, Herbert Grönemeyer („Trauer“), Reinhard Mey („Abend“), Jasmin Tabatabei (“Ich bin die Nacht“), Sarah Connor (“Das Glück“) und viele weitere Sänger interpretieren ihre Texte.

„Die Gedichte sprechen wie bei Gedichten üblich vor allem Mädchen und Frauen an“, erzählt Kurator Braun, bei Veranstaltungen in Schulen zeigten sich aber auch junge Männer berührt. Der Erfolg der Gedichte Selma Meerbaum-Eisingers erinnert an das Tagebuch der Anne Frank – die Leser werden entlastet, weil ihnen der größte Schrecken erspart bleibt, denn über ihre Erlebnisse im Zwangsarbeiterlager konnten die jungen Frauen nichts mehr berichten.

In der Celler Ausstellung wiederum werden die Besucher dank der Berichte und Zeichnungen von Arnold Daghani mit diesem Kapitel konfrontiert. Als Mithäftling von Meerbaum-Eisinger in Michailowka dokumentierte der rumänische Maler die unmenschliche Arbeit in den Steinbrüchen, die Erkrankung von Selma, schließlich auch ihren Tod.

Ihre Ausgabe des Buchs „Das Heim und die Welt“ des bengalischen Dichters, Philosophen, Malers und Musikers Rabindranath Tagore hatte sie ihm versprochen, das einzige, das sie ins Lager mitnehmen konnte – aber die anderen Häftlinge brauchten es als Zigarettenpapier.

Mit der Ausstellung möchte Braun auch Legenden richtigstellen. So sei etwa der berühmte Lyriker Paul Celan nicht der Cousin von Meerbaum-Eisinger, sondern nur ein entfernter Verwandter – die Gedichte des jeweils anderen hätten die beiden nicht gekannt.

Und der Journalist Jürgen Serke, der Meerbaum-Eisinger 1980 mit einem großen Artikel im Stern in Deutschland bekannt gemacht hat, habe bewusst ein Zitat gefälscht – des größeren Effektes wegen. Serke hatte geschrieben, dass Meerbaum-Eisingers letzter Eintrag in ihrem Gedichtalbum mit der Zeile ende: „Ich habe keine Zeit gehabt zu Ende zu schreiben …“

Damit habe er den Eindruck erwecken wollen, als habe sie das Schreiben wegen der Deportation abbrechen müssen. „Tatsächlich geht das Zitat aber noch weiter“, weiß Braun, „und das wusste Serke.“

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