Schulung zum Thema „Flucht“: Die richtige Sprache finden
In einem Alpendorf arbeiten Autoren in einer Summer School zum Thema „Flucht Zuflucht“. In der Nähe müssen Flüchtlinge täglich Grenzkontrollen ertragen.
„Wir lassen die Menschen allein, die Not, Krieg, Gewalt, die Sorge ums eigene Leben, oder um das der eigenen Kinder dazu bewegen, alles zurückzulassen und zu fliehen, sich auf ein Wagnis einzulassen, von dem sie nicht wissen können, wohin es sie in dieser Welt bringen wird, auf welche Menschen sie treffen werden.“ Mit diesen Worten eröffnete Theater- und Hörspielautorin Maxi Obexer die Summer School „Flucht und Zuflucht“ in Schloss Velthurns. Eine Woche lang trafen sich dort zehn TheaterautorInnen, um in täglichen Workshops an ihren Texten zu feilen.
Die Sommerwerkstatt brachte Persönlichkeiten wie die Frauenrechtsaktivistin Monika Hauser, den aus Eritrea Geflüchteten und in der Schweiz für Menschenrechte kämpfenden Samuel Kidane oder die Literaturwissenschaftlerin Irene Kacandes in dem kleinen Südtiroler Mittelgebirgsort Feldthurns zusammen.
Maxi Obexer und Marianna Salzmann, zwei Dramatikerinnen, die sich schon in vielen Texten mit Flucht und Migration beschäftigt haben, stellten das Fluchtthema in den Mittelpunkt der von ihnen organisierten Summer School. Ihr Ziel ist vor allem: Das künstlerische Schreiben wieder vermehrt zu einem politischen Denken und Schreiben zu machen; Literaten und vor allem Dramatiker können mit ihren Texten aufrütteln und bewegen, jenseits von moralisierenden Botschaften oder politischem Aktivismus. Denn die Frage stellt sich: Von wem lassen wir uns die Schicksale und Gesichter der Flüchtigen und Marginalisierten erzählen, in welcher Sprache kommen diese Geschichten auf uns nieder?
Nur weil Schriftsteller mit ihren Texten und Werken nicht imstande sind, politische Regime und herrschende Systeme zu stürzen, sei das kein Grund, untätig zu sein, betonte Marianna Salzmann, Hausautorin am Maxim Gorki Theater in Berlin.
Eine prächtige Kulisse
Das Renaissance-Schloss Velthurns wird oft als prächtige Kulisse für Hochzeitsempfänge und Konzerte der örtlichen Musikkapelle genutzt, aber kaum für Veranstaltungen dieser Art. Ausgewählt hat den Ort Maxi Obexer; Feldthurns ist ihr Herkunftsort und immer öfter kehrt sie aus Berlin dorthin zurück. Im so beschaulichen Südtirol von Flucht und Zuflucht zu sprechen, hat Obexer besonders gut gefallen.
Das Dorf mit seinen 2.700 Einwohnern liegt auf 850 Meter Meereshöhe genau über jener Transitroute im Eisacktal, die Südtirol von Norden nach Süden durchschneidet. Im Tal rauschen Lkws unaufhörlich über die Autobahn, fahren Waren- und Personenzüge in Tunnels unterm Berg durch und bringen Touristen, Pendler und immer öfter auch die Flüchtigen weiter, Letztere aber oft nicht ans Ziel.
Denn in Bozen, der Landeshauptstadt, werden die Menschen aus Eritrea, Syrien oder dem Irak von trilateralen Polizeikontrollen aus den Zügen geholt. Die Etappen der Fluchtreisenden sind bekannt: Lampedusa, Sizilien, Mailand oder Rom und von dort weiter über die Schweiz oder über die Brennergrenze nach Deutschland, England und Skandinavien, den Zufluchtsorten vieler. In Bozen oder spätestens am Brenner jedoch ist vorerst Schluss damit. Deutsche und österreichische Polizeibeamte patrouillieren die Züge auf der Strecke zwischen Trient und dem Brennerpass nach Flüchtlingen ab, holen sie aus den Abteilen und übergeben sie den italienischen Kollegen.
Der Wurzel auf der Spur
Diese Praxis gibt es seit 2001, in ihrer jetzigen verschärften Anwendung ist sie jedoch äußerst fragwürdig und zudem gesetzwidrig. Die Migranten sollen Italien nicht verlassen, seit dem Dubliner Abkommen gilt das Ersteinreiseland – Italien – als zuständig für die Asylanträge. „Keiner hält Menschen auf, die dem IS entkommen wollen, dem Hunger oder dem Krieg“, kommentiert Bozens Polizeigewerkschafter Mario Deriu die unentschlossene Haltung Europas zum Exodus von Süden nach Norden. Er und seine Kollegen der Bahnpolizei stoßen mittlerweile an ihre menschlichen Grenzen angesichts der täglich in Bozen Strandenden: Frauen mit Kindern, alleinreisende Jugendliche, Männer.
Im Mai 2015 hat eine Freiwilligenorganisation eine Erstversorgungsstelle am Bahngleis 1 in Bozen durchgesetzt; Essen, Trinken, warme Sachen zum Anziehen und eine kurze Rast werden den Erschöpften angeboten.
Die Kultur- und Sozialanthropologin Monika Weissensteiner ist eine der Aktivistinnen an den Bahnhöfen von Bozen und dem Brenner. Sie kennt die Lage vor Ort genau, sieht die untätige Politik und die Hilfsbereitschaft der Zivilbevölkerung, begleitet Flüchtige mit Rat und muss zusehen, wie viele im absurden Asylsystem Europas hängenbleiben. Sie ist eine der Vortragenden während der Summer School in Feldthurns, wo sie von ihren konkreten Erfahrungen berichtet, von den Kriterien für Asylsuchende, die idealerweise Folternarben nachzuweisen hätten, um als glaubwürdig zu gelten.
Das Credo von Monika Weissensteiner ist, der Wurzel von Gewaltentstehung auf die Spur zu kommen um zu verstehen, unter welchen Bedingungen Gewalt vermeidbar ist. Das geht Hand in Hand mit der Intention der Summer School. Verstehen, verständlich machen und es weitergeben, das machen die einen als Aktivisten, die anderen als Autoren und wieder andere als Wissenschaftler.
„Paramemoir“ und „brain scan“
Irene Kacandes sprach in Feldthurns von der Entstehungsgeschichte ihres Buches „Daddy’s war“, einer Spurensuche um wahre und falsche Erinnerungen innerhalb ihrer griechisch-amerikanischen Herkunftsfamilie. Warum sollte man traumatisierende Ereignisse an die Oberfläche bringen, und wird durch Erzählen und Aufschreiben wirklich jemand heil, die Geschichte wieder gut? Anhand ihrer Paramemoir-Methode erklärte die Literaturwissenschaftlerin, wie aus erinnerter und erzählter Familienchronik, Interviews und wissenschaftlicher Analyse ein „brain scan“ entstehen kann, der viel mehr aussagt und preisgibt als eine einfache Biografie.
Seine traumatischen Erlebnisse trug Samuel Kidane vor, der seit sieben Jahren in der Schweiz lebt und aus Eritrea geflüchtet war. Wie viele tausend andere, mit Menschenschmugglern durch den Sudan und Libyen übers Mittelmeer und weiter nach Norden. Von den zwei Jahren Warten auf die Genehmigung seines Asylantrags sprach er auch, eine schreckliche, psychisch stark belastete Zeit, sagte er.
Flucht und Zuflucht eine ganze Woche lang, auch in den Gesprächen mit der Frauenrechtsaktivistin Monika Hauser, oder bei Elisabeth Tauber, die ihre ethnologischen und persönlichen Kenntnisse zur Situation der Sinti und Roma preisgab. Der Kreis, in dem die Vorträge gehört wurden, blieb klein und intim und vor allem den Workshopteilnehmenden vorbehalten. Diese arbeiteten am Vormittag in Kleingruppen mit den Tutorinnen Maxi Obexer, Marianna Salzmann und Kathrin Röggla, hörten am Nachmittag Impulsvorträge und arbeiteten an ihren Texten.
„Ein konzentriertes Format, das uns eine sehr intensive Auseinandersetzung mit den Vortragenden ermöglicht hat“, wertet etwa die Autorin und Performerin Maria C. Hilber ihre Teilnahme. „Wie konstruiere ich Realitäten und wie kann ich als Künstlerin (post)traumatische Arbeit an Gesellschaften anschließen?“ Diese Fragen haben sich bei ihr aufgetan. Mehdi Moradpour, Theaterautor und Übersetzer, brachte seinen neuen Theatertext ein Stück weiter: „Polieren und feilen, ohne zu glätten, Klarheit schaffen, ohne die lebendigen Uneindeutigkeiten zu relativieren.“
An das Veränderungspotenzial von Literatur glauben, das sei eigentlich das Wichtigste, meinte Maxi Obexer zum Abschluss der Summer School. Jeder wie er könne, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
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