Tagebuch Geht das noch, so einfach Urlaub machen in Griechenland? Die Dramaturgin Stefanie Carp verbringt dort wie jedes Jahr einen Teil der Theaterferien. Ihr Reisebericht aus einem Land in Rage: Sonne, Strand und Zorn
Von Stefanie Carp
Der Mann von der Autovermietung sagt: „Don‘t look Television. They are all Heil Hitler.“ Er erklärt auf Griechisch, die Medien machten Propaganda für die Troika-Politik. Dann auf Deutsch: „Ich liebe die deutschen Menschen. Ich bin in Mannheim geboren.“
Athen, 7. Juli
In Petralon, einem ehemaligen Industrieviertel, sitzen sieben Schauspieler der Blitz-Theatergruppe um einen Tisch, vertieft in die Konzeption. „Life has to go on“, sagt eine. „Was denken die Kollegen in Berlin über uns, über Griechenland“, fragt ein anderer. Sie hätten viel über die deutsche Medienpropaganda gehört. Ich gehe mit Jorgos durch tote Straßen, die vor Hitze glühen, zur U-Bahn. Der Fahrkartenautomat ist verklebt. Seit der Bankenschließung sind Metro und Busse umsonst.
„Viele Leute haben Angst und Nervenzusammenbrüche“, erzählt er. „Die Krise dauert jetzt schon so lange, und sie wird bleiben, egal ob wir im Euro bleiben oder die Drachme wieder kommt.“ Er ist stolz auf die griechische Haltung. Fidel Castro habe Tsipras gratuliert. „Ich hätte nie gedacht, dass Griechenland einmal so wichtig werden würde.“ Warum Varoufakis zurückgetreten sei? Er habe polarisiert, und Tsipras müsse jetzt konstruktiv verhandeln.
Morgen wird es die Reaktion aus Brüssel geben. Die Stadt ist am späten Abend aufgeregt. An den Kiosken stehen viele Menschen und lesen die ausgehängten und immer dünner werdenden Zeitungen. Auf der Platia Exarchion im Zentrum des Studentenviertels drängen sich junge Menschen. Auf einer Seite stehen die Schilder mit den Ochi-Parolen.
In einer Taverne treffen wir einen Freund, der einen sehr exquisiten Literaturverlag betreibt. „Als die Kapitalkontrollen kamen, habe ich erst einmal zwei neue Bücher konzipiert.“ Als Linker habe er sich verpflichtet gefühlt, „Ochi“ zu stimmen.
Er habe aber fünf Einwände gegen das ganze Referendum.
„1. Es hat polarisiert. Wir erleben in den letzten Wochen einen postmodernen Bürgerkrieg. Wer Ja-Argumente anbringt, wird als Verräter und Kollaborateur mit den Deutschen beschimpft.
2. Es war nicht genug Zeit nachzudenken, was die jeweiligen Szenarien im Detail bedeuten. Es ist auf rein emotionaler Grundlage abgestimmt worden. Und das ist, fürchte ich, die Basis von Faschismus.
3. Das, was jetzt auf dem Tisch liegt und Tsipras unterschreiben wird, ist viel härter und schlechter für Griechenland als alles, was sein Vorgänger Samaras von der Nea Dimokratia ausgehandelt hatte. Es ist sogar härter als das, was Tsipras im Juni unterschrieben hätte.
4. Der Flirt von Syriza mit der extremen Rechten und die Ähnlichkeit des Vokabulars: die vielen falschen Koalitionen, die Tsipras eingegangen ist mit der rechten Partei Unabhängiges Griechenland und mit den Stalinisten in seiner Partei.
5. Hinter dem rechten Koalitionspartner steht die Goldene Morgenröte, die offen fremdenfeindliche, antisemitische Partei. Die Neonazis kommen gerade alle frei, und dass sie freikommen, hat unsere stalinistische Parlamentspräsidentin betrieben. Aber darüber kann man mit niemandem reden. Und das macht mir Angst.“
Zum Abschied sagt er noch, dass die deutschen Banken 50 Milliarden an Griechenland verdient hätten.
Athen, 8. Juli
Aus Brüssel spielt Europa härter als erwartet zurück. Die Deutschen drohen, Griechenland aus der Eurozone zu werfen. Die Blitz-Theater-Kollegen wirken heute ernster und nervöser. „Europa duldet keine linke Regierung. Die wollen, dass Tsipras zurücktritt.“ Wir diskutieren weiter über die theatralische Umsetzung des Eskapismus. „6 Uhr früh oder die beste Möglichkeit zu verschwinden“, wird die Produktion heißen. Der Taxifahrer hört, wie ich mit einem Bekannten auf Griechisch telefoniere. „Das ist kein gutes Griechisch“, verbessert er mich. Er kommt aus Pakistan und lebt seit 15 Jahren in Athen. In den letzten sechs Jahren seien die Griechen Rassisten geworden, meint er.
„Ich komme sicher nicht mit ins Theater“, schreit mich Stavros an, als ich in seinem kleinen Keller-Studio ankomme. „Du weißt ja nicht, was hier los ist!“ Er organisiert im Nebenberuf die Zeitschrift des „Athens & Epidaurus Festivals“, das gerade läuft. „Unter uns gesagt wird die nächste Nummer gar nicht erscheinen. Loukos, der Festivaldirektor, hat keinen Pfennig mehr. Die können noch nicht mal einen Transport nach Epidauros bezahlen. Papier gibt es auch nicht mehr.“
Gestern war Stavros mit seiner Mutter im Krankenhaus, ihr Herzschrittmacher musste neu eingestellt werden. „Die behandeln nur, wenn man vorher Cash auf den Tisch legt.“
Nebenbei läuft das Radio. Ein Abgeordneter von Syriza spricht: „Hören Sie auf, Frau Merkel, Griechenland zu demütigen. Wir haben ein Zeichen gesetzt. Respektieren Sie unsere Würde“. Das Wort „Würde“ fällt in diesen Tagen häufig. Stavros sagt: „Die wollen, dass wir zu Argentinien werden. Wovon träumen die eigentlich? Die 20-Euro-Scheine sind ausgegangen. Deswegen gibt der Automat nur noch 50 Euro. Das sind die Probleme.“
Das Athens & Epidaurus Festival findet auf einem Gelände mit mehreren Fabrikhallen an der Straße nach Piräus statt. Hier scheint alles wie immer. Mehrere Vorstellungen parallel in alten, schönen Hallen. Polyglotte, freundliche junge Menschen, die den Weg weisen, ein animiertes Publikum. Gerade spricht niemand über Politik.
Später in der Taverne sagt eine Freundin von Stavros: „Banken geschlossen und Metro umsonst, das gefällt mir.“ Stavros schnaubt: „Ach so, das ist jetzt das Ergebnis unserer linken Regierung, dass wir umsonst Bus fahren dürfen und dass wir das einzige Land in Europa sind, in dem ein Neonazi im Parlament sitzt.“ Ein befreundeter Journalist ruft aus der Ta-Nea-Redaktion an: „Es scheint, wir sind noch mal davongekommen.“
Nafplio, 9. Juli
Auf dem Peloponnes. Gäste und Personal drängen sich vor den Flachbildschirmen im Hotel. Tsipras hat ein „Paket“ vorgeschlagen. Neue Fristen werden gesetzt. Strafende, sorgenvolle Merkel- und Dijsselbloem-Gesichter. Ta Nea berichtet von Straßenschlachten in Athen, es gehe um die Wiedereröffnung der Banken. „Deutsche wollen den Grexit. Frankreichs Hollande muss helfen!“ Kathimerini titelt: „Okay, Tsipras, jetzt übernimm Verantwortung“.
„Die haben sich das Geld bisher nur von den armen Leuten geholt. Die armen Leute in Griechenland haben immer viel gearbeitet und Steuern bezahlt“, sagt der Kellner auf der leeren Restaurant-Terrasse. Er ist Syriza-Anhänger. Sein Kollege auch. „Jetzt sollen die bezahlen, die uns bestohlen haben.“ Ein junger Kellner widerspricht, „Syriza verspricht alles und hält gar nichts.“ Amüsiert spottet er: „Tsipras hat nur noch wenig Zeit, wenn er Sonntag kein gutes Ergebnis bringt, werdet ihr alle gehängt; der Kollege da drüben ist auch Syriza, der auch.“ Er lacht schallend. „Hier auf der Promenade von Nafplio werdet ihr gehängt mit Tsipras und Varoufakis.“ Er krümmt sich vor Lachen. Jetzt schreien und lachen alle Kellner durcheinander in diesem Restaurant am Meer, 140 Kilometer von Athen entfernt. Der junge Kellner hat ein Stück Kordel von einem Sonnenschirm gerissen, um das Hängen zu demonstrieren.
Unter herzlichem Gejohle wünscht man uns gute Weiterfahrt.
Dimitriada, 10. Juli
Wir sind die einzigen Gäste in dem kleinen Dorf in den arkadischen Bergen. Die junge Frau in der Pension, die das Frühstück bringt, meint: „Die Griechen sind eigentlich nicht links. Schon gar nicht auf dem Land. Erst die Krise und die Politik der Deutschen hat sie nach links gerückt.“ Sie hat in Piräus studiert, wollte Lehrerin werden, fand aber keine Arbeit. So wie ihr Mann, der im Kafenion arbeitet. Sie leben jetzt gemeinsam bei ihrer Schwiegermutter. Alle Regierungen nach dem Ende der Militärdiktatur (1974) hätten die Inlandsproduktion geschwächt. Deshalb könne Griechenland auch nicht zur Drachme zurück. „Als ich jung war, wollte ich ins Ausland, hätte ich es nur getan“, schließt sie resigniert.
Im Fernseher zählt ein Syriza-Abgeordneter mit schmalem Gesicht und Bart verschiedene Maßnahmen auf, damit Griechenland nicht in fünf Jahren wieder in der gleichen Situation sei.
Satona heißt das Dorf nebenan. Mikis Theodorakis war hier im Exil, hat sich zwischen zwei Gefängnisaufenthalten von der Folter erholt. Das Hotel steht leer, das Theodorakis-Museum in der Schule musste man schließen, weil kein Geld mehr für den Wärter da war. “Da drüben hat er gewohnt“, erinnert sich ein älterer Mann, der mit einem Freund vor dem Kafenion sitzt und politisiert. Er sieht einen Krieg heraufziehen, in dem es um die Neuordnung des Nahen Ostens geht. Was das mit der Griechenland-Krise zu tun haben soll, verstehe ich nicht.
Den Kaffee dürfen wir auf keinen Fall bezahlen. „Was immer geschieht: Wir werden unsere Zigaretten rauchen und Kaffee trinken.“
Mani, 11. Juli
Auf dem winzigen Hotelfernseher sehe ich, wie Tsipras sich Notizen macht, während ihm wie einem Schuljungen von Holländern, Deutschen, Finnen Vorhaltungen gemacht werden. Die Mani-Halbinsel besteht aus steilen Bergen, Oliven, Dörfern mit Türmen aus Feldstein. Die meisten Badegäste, die ich sehe, sind Griechen. Richtung Kalamata an der Westküste von Mani wird die Landschaft freundlicher.
„Es sind ja ganz andere, die über uns entscheiden“, sagt der Mann, der in Kardomili griechische und internationale Zeitungen verkauft. „Wir werden doch alle von Banken regiert. Die Regierungen sind Marionetten. Technokraten.“ Dann fragt er mich, ob es stimmt, dass die deutsche Presse ein verzerrtes Bild von Griechenland propagiere. „Buhuh“, macht ein anderer Kunde hinter mir und legt mir die Hände um den Nacken: „Wir hassen dich, du Deutsche!“ Wir lachen. Die Besitzerin des Hotels rät uns, nachts die Fenster zu schließen. Es würde oft eingebrochen, alle wüssten, dass Touristen viel Bargeld dabeihaben.
Kardomili, 12. Juli
Heute um 17 Uhr treffen sie sich in Brüssel. Dann wird entschieden. „Mir ist es egal, wie es ausgeht“, sagt die Hotelbesitzerin, die griechische Gäste derzeit vermisst. „Wovon sollten sie auch den Urlaub bezahlen.“
Eine Freundin aus Athen ruft an: „Schäuble hat den Grexit auf fünf Jahre vorgeschlagen. Dann ist das Land kaputt! Dann sind wir Rumänien! Ich will das nicht! Die Franzosen sind die Einzigen, die Griechenland helfen wollen.“ Der kleine Ort Koroni ist am Nachmittag leer. Ein wütender Mann am Kiosk: „Der Schäuble will Europa spalten. Nach Griechenland tritt Italien aus, dann Spanien. Es geht doch um Menschen. Wir sind keine Zahlen!“
Im nächsten Ort, Finikunde, angespannte High-Noon-Stimmung. Es ist halb sechs. Eine deutsche Kleinfamilie schleicht an der Cafébar vorbei, als wollte sie unsichtbar werden. „Die Situation ist sehr gefährlich“, sagt der Wirt mit gedämpfter Stimme. „Momentan wollen auch die Finnen Griechenland rausschmeißen. Schade, da waren letztes Jahr so nette finnische Gäste hier.“
Am Abend in dem altmodischen Städtchen Pylos. Noch immer kein Ergebnis. Am Hafen spielen Kinder, schmusen Liebespaare. „Es ist aus, wir sind erledigt“, schreit auf einmal ein Mann mit riesiger, teurer Uhr und platinblonder Frau auf einen jungen Mann ein. „Hast du nicht gehört, was Merkel gesagt hat!“ – „Aber es gibt doch noch gar kein Ergebnis“, wendet der Mann ein. „Ach was, Ergebnis. Die gehören alle ins Gefängnis, der Tsipras und der andere Verbrecher, der Varoufakis!“
Eine Kroatin beschwert sich, dass die Taverne keine Weinkarte hat.
Athen, 13. Juli
Man hat sich geeinigt. Ich sehe die Pressekonferenz, die Reden von Merkel und Hollande. Sehe, wie sie alle widerlich Tsipras auf die Schulter klopfen: Siehst du, es geht doch.
Ich sehe Tsipras sprechen. Er sieht aus wie einer, der erst einmal geschlagen ist, aber nicht aufgeben wird. „Wir haben gekämpft“, sagt er. „Es war schwer. Ich weiß, dass 80 Prozent der Griechen in der Eurozone bleiben wollen, und das ist jetzt das, was möglich war. Wir werden weiterkämpfen.“ Er bedankt sich bei Kollegen und Genossen. Er sagt dann, dass dieses Mal nicht die bezahlen sollen, auf deren Schultern die Krise bisher ausgetragen worden sei, sondern die, die bisher immer davongekommen seien.
Die Vereinbarung allerdings ist niederschmetternd. Privatisierung, ein Fonds, der von Deutschen kontrolliert wird, mehr Rentenkürzung, sofortige Mehrwertsteuererhöhung in Restaurant und Hotels.
„Da wird der Tourismus einbrechen“, sagen Freunde am Telefon aus Athen. „Und Schäuble gibt noch immer keine Ruhe. Spinnt der?“ Der Hotelier, den ich vor dem Fernseher treffe, erklärt mir, dass eine sofortige Mehrwertsteuer von 23 Prozent ihn in die Pleite stürzen werde. „Ich kann doch nicht Gästen sagen, die vor Wochen gebucht haben, dass die Nacht jetzt einfach 20 Euro mehr kostet. Ich muss das also selbst bezahlen. Und das heißt, dass dieses Hotel am Ende des Sommers geschlossen sein wird.“
Über 30 wichtige Regierungsfunktionäre von Syriza sind gegen die Maßnahmen und werden sich weigern, sie durchzuführen, hören wir in den Nachrichten, während wir die Küste von Attika hinauffahren.
In dem Athener Luxusvorort Vouliagmeni spürt man auch an diesem dramatischen Tag von alledem nichts. Schöne Menschen scheinen sich in einem teuren italienischen Restaurant über alles andere als Politik zu unterhalten. Hier ist das Geld zu Hause. Hier ist man unberührbar.
Athen, 14. Juli
Er ist ein Rechter, sagt der Mann, der gerade von einem Segelboot geklettert ist. Er freue sich, wenn die Regierung jetzt kaputtgeht. Ob wir ihn nicht auf seinem Boot besuchen wollten.
Am Syntagmaplatz Demonstrationen gegen die Vereinbarung: „Unser Volk ist entschieden dagegen, sich den Drohungen und Erpressungen der europäischen Bürokratie nicht zu beugen“, heißen die Parolen. „Vom Nein zum Ja“, höhnen einige Zeitungen. Die kommunistische Rizospastis ruft zum Gegenangriff auf, um Bankrott und Ausverkauf zu verhindern.
In der Metro wird ein 24-stündiger Streik angekündigt. Die Menschen sehen traurig und erschöpft aus. „Es geht auf Psyche und Körper“, sagt Katia, mit der ich in einem Café am Stadtgarten verabredet bin. „Ich habe noch nie in meinem Leben so viel Stress, so viel Angst erlebt wie in den letzten Wochen“, sagt sie. „Ich konnte kaum noch atmen.“ Die Einheit von Europa sei ein leeres Versprechen, eine reine Geschäftsbeziehung, damit ein paar reiche Länder Geld verdienten. „Europa hilft nicht mal den Flüchtlingen, die auf den Inseln ankommen. Sie weigern sich, sie aufzunehmen.“
Katia ist Kuratorin für Schauspiel und Tanz bei der privaten Onassis-Stiftung, die ein sehr innovatives Programm unterhält und viele griechische Künstler unterstützt, auch das Blitz-Theater. Katia sagt: „Vor Athen und im Piräus stehen Container mit verfaulenden Lebensmitteln. Ich kann meinen Koproduktionsbeitrag für den ungarischen Künstler Arpad Schilling nicht bezahlen. Die Kultur wird das Letzte sein, wofür Pläne gemacht werden.“ Sie hat in Paris studiert und gearbeitet, ist gern nach Griechenland zurückgekehrt. Jetzt hat sie Angst, dass das Land isoliert wird. „Dann sitzt man hier in der Falle.“
Wieder ein pakistanischer Taxifahrer: „Manche steigen nicht ein, wenn sie meine dunkle Haut sehen. Seit Tsipras ist es besser geworden. Er setzt sich für die Rechte der Migranten ein.“
Im Teatro Technis läuft eine „Elektra“-Inszenierung eines jungen Regisseurs. Menschen drängen sich vor dem Eingang. „Es ist schwer“, sagt eine Kollegin, „wir können die Künstler nur aus den Einnahmen der Abendkasse bezahlen.“
Das Stück zeigt Elektra, Orest und Klytaimnestra in einem großen Psychiatriebett. Der Applaus ist enthusiastisch.
Auf dem Weg zur U-Bahn höre ich von der Akropolis herüber die 1. Symphonie von Theodorakis, gespielt von den Athener Symphonikern im Odeon am Fuße der Akropolis. In der U-Bahn kotzt ein betrunkenes Mädchen in eine Handtasche, die ihre Freundin ihr hinhält.
Dodekanes, 15. Juli
Im kleinen Flieger auf die kleine Insel Astypalia trifft man immer Bekannte. Dimitra kehrt zurück. Sie war für das Referendum nach Athen gekommen. Jetzt weiß sie nicht mehr, warum sie abgestimmt hat. Der Energieminister weigert sich, die Maßnahmen des Programms umzusetzen, und nicht nur er. „Keine Regierung hat es bisher geschafft, dieses Land zu organisieren.“
7. Juli: 61,1 Prozent der Griechen haben beim Referendum mit Nein gestimmt. Am Dienstag treffen sich die Euro-Staatschefs zum Sondergipfel. Es gibt ein letztes Ultimatum. Innerhalb von fünf Tagen soll Griechenland detaillierte Vorschläge für Reformen unterbreiten.
8. Juli: Die Banken bleiben weiterhin geschlossen, teilt das Finanzministerium mit. Griechische Kunden dürfen nur 60 Euro pro Tag abheben.
9. Juli: Premier Tsipras liefert neue Reformvorschläge nach Brüssel. In der griechischen Regierung regt sich Widerstand. Energieminister Lafazanis warnt vor einer Einigung, die das Volk „plündere und unterjoche“.
11. Juli: Das griechische Parlament billigt das Sparpaket der Regierung Tsipras. Es enthält die Rente mit 67, höhere Mehrwertsteuern und die Abkehr von Steuervergünstigungen auf Touristeninseln. Abends wird Schäubles Vorschlag für einen Grexit auf Zeit bekannt.
13. Juli: Nach einer Marathonsitzung einigen sich die Staatschefs der Euroländer auf ein drittes Rettungspaket. Es ist auf drei Jahre befristet und enthält 80 Milliarden Euro. Griechisches Staatsvermögen soll in einen Privatisierungsfonds überführt werden – eine deutsche Forderung, gegen die sich die Griechen bis zum Ende wehrten. Aber der Fonds wird in Griechenland und nicht in Luxemburg verwaltet.
16. Juli: Tsipras bringt eine Rentenreform durch das Parlament und erfüllt die erste Auflage der Gläubiger. Ein Viertel der Syriza-Fraktion verweigert ihm die Gefolgschaft. Vor dem Athener Parlament kommt es zu teils gewalttätigen Protesten. Am 20. Juli sollen die Banken wieder öffnen, die Kapitalkontrollen aber weiter in Kraft bleiben.
17. Juli: Der Bundestag und das österreichische Parlament billigen neue Kreditverhandlungen mit Athen. Alexis Tsipras bildet das griechische Kabinett um. Auch Lafazanis muss gehen.
In Ta Nea der Kommentar von Ilias Kanellis mit der Überschrift: „Die Theologie der Revolutionäre“. Was die , die am Syntagma rumschreien, denn vorzuschlagen hätten. Da wäre man doch gespannt, mal was Konkretes zu hören.
Am Strand gehen die Diskussionen weiter. „Die Stalinisten wollen Tsipras stürzen“, sagt eine griechische Freundin.
Auf der Straße streiten zwei Männer. Von einem wissen wir, dass er zur Goldenen Morgenröte gehört: „Die Kommunisten haben alles kaputt gemacht. Das Land war im Aufschwung.“ Dreimal kommt er mit dem Motorrad zurück, um weiter herumzuschreien.
Ein Freund aus Deutschland ruft besorgt an. Ob man denn kommen könne. Ob es genügend zu essen gebe. Eine Holländerin sagt tadelnd: Die Griechen verlassen sich eben darauf, dass sie immer gerettet werden.
Nachts in der Taverne meint Jean Eve, der Franzose: „Hollande war genauso furchtbar wie alle anderen. Wie sie Tsipras behandelt haben, unerträglich. Und Merkel will offenbar Königin von Griechenland werden.“ Er habe gelesen, dass Schäuble der Vorsitzende des Fonds in Luxemburg sei, der Teile von Griechenland privatisieren soll. Aufregung am Tisch. Die Griechen könnten unter diesen Bedingungen niemals leben, sie würden aus dem Euro rausgehen, danach die Italiener, und dann, noch vor den Spaniern, die Franzosen, meint er.
„Dann machen sie zwei verschiedene Euro“, sagt die griechische Freundin: „Das ist es, was sie wollen. Einen Nordeuropa- und einen Südeuropa-Euro. Aber warum hat Tsipras auf einmal eingelenkt und sich gewendet. Irgendetwas anderes ist da noch, was wir nicht wissen.“
Astypalia, 16. Juli
Wir, griechische, amerikanische, deutsche, französische Feriengäste auf der Insel, malen uns aus, dass es vielleicht der letzte glückliche Sommer sein wird. Dass wir in kommenden Jahren, die privatisierten und von Deutschen organisierten Strände nicht mehr bezahlen können.
Astypalia 18. Juli
„Schäuble besteht jetzt auf immer weiteren, härteren Maßnahmen“, sagt eine griechische Freundin, die in Deutschland lebt. „Klar, nicht alle Deutschen sind Schäuble.“ Aber die Propaganda der deutschen Medien über die faulen Griechen zeige ihre Wirkung. Sie hingegen sei stolz auf Tsipras. Endlich fange er an, Politiker zu sein. „Er hat zehn Minister entlassen, die die vereinbarten Maßnahmen nicht durchführen wollten.“
Ein Handwerker sagt: „Schäuble will Griechenland die Inseln stehlen. Er will über Griechenland herrschen. Wenn ich ihn hier sähe, würde ich ihn umbringen.“ Jetzt hat also Deutschland wieder einen Post-Hitler, der Südeuropa zerstören wolle.
Hoffentlich werde ich im Kafenion bald nicht mehr mit „Hallo Merkel“ begrüßt.
Stefanie Carp, 1956 in Hamburg geboren und aufgewachsen, ist freie Dramaturgin und Kuratorin. Nach Engagements in Hamburg und Basel leitete sie gemeinsam mit Christoph Marthaler das Züricher Schauspielhaus, war Chefdramaturgin an der Berliner Volksbühne und Schauspieldirektorin der Wiener Festwochen
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