Rieke Havertz über das amerikanische Justizsystem: Verhaften und wegsperren
Der Tod der Afroamerikanerin Sandra Bland wird sich niemals restlos aufklären. Die „Black Lives Matter“-Aktivistin war tot aufgefunden worden, laut Polizei soll sie sich mit einem Plastikmüllsack in ihrer Zelle erhängt haben. Eingesperrt war sie aufgrund eines Bagatelldeliktes. Und das ist, neben der Tragik ihres Todes, ein Skandal.
Verhaften, verurteilen, einsperren – so funktioniert das Justizsystem in den USA. In keinem anderen entwickelten Land sitzen im Vergleich zur Bevölkerung so viele Menschen im Knast. 2,2 Millionen sind es, ein Zuwachs von 500 Prozent in den letzten 30 Jahren. Wegsperren ist einfacher als Resozialisierung oder gar Nachsicht bei kleineren Delikten. Ein afroamerikanischer Mann ist dabei sechs Mal mehr gefährdet als ein weißer. 60 Prozent der Inhaftierten sind Minderheiten – und sie erhalten die härteren Strafen.
Die Folge sind völlig überfüllte Gefängnisse und ein überforderter Staat, der die Leitung der Gefängnisse immer häufiger an private Firmen abgibt, deren einziges Interesse Gewinnmaximierung ist. Schon der Besuch in einem staatlichen Knast ist eine Tortur, die Sicherheitsvorkehrungen sind so absurd, dass Kleinkinder bis auf die Schuhsohlen gefilzt werden und Kaugummikauen verboten ist. Dass man Inhaftierten nur hinter kugelsicherem Glas begegnet – nebensächlich.
Barack Obama ist tatsächlich der erste Präsident, der gegen diese Missstände vorgehen will. Letzte Woche besuchte er ein Gefängnis, um für eine geplante Justizreform zu werben. Unter anderem sollen überharte Strafen bei Drogendelikten verringert werden. Ein längst überfälliger Schritt, dem auch der Kongress zustimmen muss. Es darf nur nicht der einzige bleiben.
Solange Bestrafung das einzig denkbare Konzept ist, werden Polizisten, Staatsanwälte und Richter dieses Systemverständnis durchsetzen und weiterhin überhart agieren und reagieren. So wie bei Sandra Bland.
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