piwik no script img

Offener Tisch Wenn ein Star in Tübingen auftritt, klingt das nach Abstieg. Wieso man Nudeln mit Dosenthunfisch so einem Konzert vorziehen sollteBob Dylan ist ein alter Mann

Da grüßte er noch. Dylan 1977 Foto: imago

Von Philipp Maußhardt

Zu denen, die alten Männern alles verbieten wollen, was Spaß macht, gehöre ich nicht. Auto fahren zum Beispiel oder sich im Freibad nackt ausziehen. Ich finde, auch alte Männer haben Rechte. Zum Beispiel das Recht, sich zu blamieren. Und solange sie niemandem Schaden zufügen, sollten alte Männer alles tun dürfen, was auch junge Männer tun. Singen in der Öffentlichkeit zum Beispiel. Ich schreibe das vorweg, um zu verhindern, dass einige Zeitgenossen mit mir böse sind, wenn sie weiterlesen. Es geht nicht um irgendeinen alten Mann. Es geht vielleicht sogar um einen Gott. Es geht um Bob Dylan.

Weltkünstler

Bob Dylan kam kürzlich nach Tübingen zu einem Open-Air-Konzert. Es kommen nicht viele Weltkünstler nach Tübingen zu einem Open-Air-Konzert. Das liegt zum Teil am Wetter, weil es in Tübingen oft regnet. Es liegt aber auch an Tübingen selbst, weil der Name der Stadt Tübingen auf dem Tourneekalender eines Weltkünstlers dem Image schadet. Wird ein Weltkünstler wie Bob Dylan in seiner Heimat von Freunden gefragt: „Where will you play in Europe?“, kann er eigentlich nichts anderes sagen als „Vien­na, London, Paris and Berlin“. Schon Cologne klingt nach zweiter Wahl und Tübingen nach Abstieg. Deshalb spielt ja auch nie ein Weltkünstler in der an sich sehr schön gelegenen Ortschaft am fucking Neckar.

Ich war zuletzt vor 41 Jahren bei einem Großkonzert. Damals spielte Pink Floyd in der Stadthalle von Böblingen, ich stand ganz hinten eingequetscht in der letzten Reihe, sah nichts, und am Ende des Konzerts fuhr uns die Mutter meines Freund es nach Hause, weil wir noch keinen Führerschein besaßen. Irgendwie fühlte sich alles beschissen an, doch das hatte ich längst vergessen, als ich meinem alten Freund von damals eine Eintrittskarte für das Bob- Dylan-Konzert in Tübingen zum Geburtstag schenkte.

Klar hätte ich wissen können, dass es in Tübingen oft regnet. Klar hätte ich wissen können, dass Bob Dylan ein alter Mann geworden ist, dessen Stimmbänder mit 74 Jahren nicht mehr so klingen wie damals, als wir „The Times They Are A Changin’“ mit drei Gitarrengriffen nachspielten.

Da stand ich nun triefnass, der Regen lief mir oben in den Kragen und unten zur Hose wieder heraus, ganz weit entfernt sah ich auf der Bühne ein Hutzelmännlein stehen, das weder „Guten Abend“ noch sonst ein nettes Wort zu den Tausenden von Zuhörern sagte, sondern stattdessen pflichtschuldig sein Schrammelprogramm abspulte, das, wäre es im Radio gelaufen, bei mir sofort den Druck auf die Suchlauftaste ausgelöst hätte. Ich finde, auch alte Männer sollten „Guten Abend“ sagen.

Thunfischsoße für Tagliatelle

200 g eingelegter Thunfisch aus nachhaltigem Fischfang

500 g frische Erbsenschoten

1 Stange Lauch

1 Glas Weißwein

200 g Schlagsahne

Salz, schwarzer Pfeffer, 1 TL gekörnte BrüheSchoten 10 Minuten kochen, dann die Erbsen aus der Schale drücken. Lauch klein schneiden, und in Butter andünsten. Mit Wein ablöschen, etwas einkochen und den Thunfisch zugeben. Nach 5 Minuten die Sahne angießen, Brühe einstreuen und nochmals fünf Minuten einköcheln. Erbsen beifügen und alles unter die inzwischen fertig gekochten Tagliatelle heben.

Essensreste

Irgendwann war mir alles zu blöde und ich ging mitten im Konzert mit meinem alten Freund nach Hause. 60 Euro für eine Erkältung schienen mir doch etwas zu viel. Nachdem ich heiß geduscht hatte, kochten wir etwas aus Resten, die wir noch im Regal und im Kühlschrank fanden: eine Dose Thunfisch, frische Erbsenschoten aus Nachbars Garten, eine Lauchstange und Sahne. So wurde es doch noch ein schöner Sonntagabend.

Wir legten eine alte Bob-Dylan-CD ein und versprachen uns, nie wieder zu einem Weltkünstler zu gehen.

Die Essecke: Philipp Maußhardt schreibt hier jeden Monat über seinen offenen Sonntagstisch. Sarah Wiener komponiert aus einer Zutat drei Gerichte, Jörn Kabisch spricht mit Praktikern der Küche, und unsere KorrespondentInnen berichten, was in anderen Ländern auf der Straße gegessen wird

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen