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„Die EZB verschärft die Lage“

Bargeld Die Europäische Zentralbank muss dafür sorgen, dass die Bürger in Griechenland an ihr Geld kommen, fordert der Ökonom Heiner Flassbeck

privat
Heiner Flassbeck

64, war 1998 bis 1999 Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Von 2003 bis 2012 war er Chefvolkswirt der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung.

taz: Herr Flassbeck, die EZB hat die Nothilfen für die griechischen Banken, die sogenannten ELA-Kredite, auf dem bestehenden Niveau eingefroren und nicht erhöht. Welche Folgen hat das für Griechenland?

Heiner Flassbeck: Den griechischen Bürgern wird der Zugang zu ihren Bankkonten verwehrt. Sie kommen nicht mehr an ihr Eigentum, weil die Banken nicht liquide sind. Die Leute sind unsicher über die Zukunft der Währungsunion und wollen ihr Geld abheben. Ich halte es für falsch und vermutlich für illegal, dass die EZB das verweigert. Es gehört zum Recht jedes Bürgers in jedem Land, dass er sich seine Einlagen bei der Bank vollständig auszahlen lassen kann. Aufgabe der EZB ist, das zu garantieren.

Griechenlands neuer Wirtschaftsminister Giorgos Sta­thakis fordert von der EZB weitere ELA-Kredite, damit es Spielraum für Verhandlungen gibt. Soll die EZB das erfüllen?

Ja, auf jeden Fall. Die Forderung ist richtig. Die EZB versucht sich durchzumogeln, sie hat die Notkredite nicht zurückgefahren, aber eingefroren. Das reicht nicht. Was die EZB macht, ist fundamental falsch. Sie verschärft die Lage in Griechenland dramatisch. Die Barmittel fehlen, Lieferanten verlangen bereits Vorkasse. Die Wirtschaft droht vollends zusammenzubrechen.

Kann die EZB die gewährten Nothilfen von 89 Milliarden Euro fällig stellen?

Das kann sie nicht. Sie hat die Aufgabe, die Funktionsweise der Währungsunion zu gewährleisten, die Liquiditätsversorgung herzustellen und zu sichern. Bis jetzt hat sie es vermieden, politischen Druck auszuüben. In Zypern hat sie noch mithilfe der ELA-Kredite Druck ausgeübt, damit sich das Land dem Memorandum der Troika beugt. Das hat sie jetzt wohlweislich vermieden. Vermutlich auch, weil der Europäische Gerichtshof festgestellt hat, dass die EZB keine allgemeine Wirtschaftspolitik betreiben darf, sondern nur Geldpolitik.

Ökonomen wie ifo-Chef Hans-Werner Sinn oder Marcel Fratzscher vom DIW sagen, dass die EZB keine weiteren Notkredite gewähren soll oder kann.

Die haben nicht verstanden, was eine Währungsunion ist. Die EZB ist auch die Notenbank Griechenlands, nicht nur der 18 anderen Euroländer. Sie hat dafür zu sorgen, dass dieses Land in einer schwierigen Situation liquide bleibt. Wenn mehr abgehoben wird von den Banken, muss mehr Geld bereitgestellt werden.

Aber immer mehr Stimmen machen Druck und werfen EZB-Chef Mario Draghi Insolvenzverschleppung vor.

Das ist Blödsinn. Es ist Aufgabe der EZB, Liquidität herzustellen. Wenn Hacker irgendwo in Europa Banken lahmlegen und Leute über Nacht an ihr Geld wollen, dann muss die EZB auch Bargeld zur Verfügung stellen.

Ökonomen argumentieren, dass die EZB Griechenland kein Geld mehr geben darf, weil die Banken pleite sind. Ist das falsch?

Verlieren Banken Einlagen, ist das nicht unbedingt dramatisch, wenn sie Rückgriff auf die Zentralbank haben. Kredite, die sie vergeben haben, können sie natürlich nicht sofort verflüssigen. Dann würde die Wirtschaft zusammenbrechen. Erst wenn die Kredite faul werden, wird aus der Liquiditätskrise eine Solvenzkrise, dann sind sie tatsächlich pleite.

Das passiert doch gerade?

Ja. Weil wir es provozieren. Weil seit Jahren eine unsinnige Politik von außen aufgezwungen wird. Jetzt reiten wir das Land noch weiter in die Depression, weil die EZB nicht ihr Mandat erfüllt.

Welche Politik wäre nötig?

Richtig wäre, nicht weiter zu kürzen und zu sparen, sondern Geld auszugeben. Das kann man Marshallplan oder Investitionsprogramm nennen. Die Gläubiger müssen dem Land Luft zum Investieren lassen.

Interview: Anja Krüger

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