piwik no script img

Abschreckung in der ErstaufnahmeEndstation hinterm Zaun

In Bramsche-Hesepe bei Osnabrück sitzen zahlreiche Kosovo-Albaner bis zu ihrer Abschiebung fest – Alban Megjuani ist seit April dort. Für ihn fühlt es sich an wie ein Gefängnis.

Zum Nichtstun verdammt, zur „freiwlligen Ausreise“ genötigt: Für Alban Megjuani ist der Weg durch eine Lücke im Zaun eine der wenigen Optionen im Leben.  Foto: Allegra Schneider

Bramsche-Hesepe taz | Aufmerksam beobachtet der Sicherheitsmann hinter einem Tresen den Monitor. Geteilt in mehrere kleine Kacheln zeigt er grau-blaue Bilder von Überwachungskameras: Von Abschnitten des Doppelzauns mit Stacheldraht, von dem mit Bäumen eingefassten Besucherparkplatz mit dem Behördenschild samt Bundesadler, von der Schranke am Eingang. Sie ist heruntergelassen. Wer auf dem Gelände der niedersächsischen Landesaufnahmebehörde in Bramsche-Hesepe einen Flüchtlinge treffen will, muss sich bei einem der uniformierten Männer im Wärterhäuschen melden und den Ausweis abgeben.

Lässig schlendert Alban Megjuani in Schlappen und knielanger Basketball-Sporthose den Weg zum Haupteingang hinunter, der einmal über das Gelände der ehemaligen Kaserne führt. Das Ausmaß erinnert daran, dass es einst für militärisches Gerät konzipiert wurde. Auch der Zaun mit dem verrosteten Stacheldraht stammt wohl noch aus jener Zeit, ersetzt wurde er nur an der repräsentativen Seite des Haupteingangs, zwei Meter hoch.

Wie viele Tausend Kosovo-Albaner, die seit dem vergangenen Winter ihr Land verlassen haben, machte auch Alban Megjuani sich nach Deutschland auf, in der Hoffnung auf ein besseres Leben, einen Job, medizinische Versorgung, eine Perspektive. Megjuani spricht fließend deutsch, 2002 war er schon einmal hier, ein Jahr lang, mit 19. Im April kam er wieder, seitdem hat ihn die Landesaufnahmebehörde in Bramsche-Hesepe einquartiert.

Auf dem Weg zu seinem Zimmer am östlichen Rand des Geländes jagen Kinder auf Fahrrädern vorbei, Männer sitzen auf den Eingangstreppen vor den Wohnblöcken und rauchen. Es ist einer der ersten Sonnentage dieses Sommers. Von den Gittern der Feuertreppen und zwischen den Bäumen sind Wäscheleinen gespannt, trocknen T-Shirts, Hosen, Kinderkleidung.

Megjuani zeigt auf ein großes weißes Zelt, von der Art, in der sonst Dorffeste veranstaltet werden. „Sogar dort drin leben Familien“, sagt er. Durch die trüben Plastikfenster sieht man mehrstöckige Metallbetten. Über 1.000 Menschen leben auf dem Gelände, vor allem aus dem Kosovo.

Bramsche-Hesepe liegt etwa 20 Kilometer nordwestlich von Osnabrück und ist neben Friedland und Braunschweig einer von drei Standorten der niedersächsischen Landesaufnahmebehörde. „Wegweiserkurse mit Sprachateliers“ für die Erstankömmlinge soll es hier geben, vor allem aber „Perspektivgespräche“ – in Bramsche-Hesepe setzt man auf „Förderung der freiwilligen Rückkehr“: Menschen, von denen angenommen wird, dass sie kein Bleiberecht erhalten, sollen überzeugt werden, Deutschland zu verlassen. Bramsche-Hesepe ist hier Vorbild: Mitte Juni beschlossen Bund und Länder, Flüchtlinge aus dem Balkan künftig nicht mehr auf die Gemeinden zu verteilen, sondern in besonderen Lagern unterzubringen.

Weil der Platz in Bramsche nicht mehr reicht, wurden neue Container aufgestellt. Megjuani ist entsetzt über die Zustände, vor allem in Haus Nummer 35. Er hätte es gern gezeigt. Doch der Sicherheitsmann winkt ab. „Nur zu Herrn Megjuani“, so habe es sein Chef gesagt. Offizieller Auftrag der Sicherheitsleute sei es, die Privatsphäre der Bewohner zu schützen, heißt es aus dem Innenministerium. Für Megjuani dagegen ist Privatsphäre ein Fremdwort. „Wir machen immer Musik auf dem Zimmer an, damit die Securitys nicht lauschen können“, sagt einer von seinen Mitbewohnern.

„Wir kämpfen mit ihnen ums Territorium“, sagt Megjuani. Der Zaun sei ein Beispiel: Immer wieder machen die Bewohner Löcher hinein, nach einiger Zeit verrammelten die Sicherheitsleute sie wieder. Sogar einen Tunnel habe es mal gegeben. Tatsächlich ist an der Rückseite des Geländes, hinter Bäumen und Büschen, ein metergroßes Loch im Zaun. Unaufhörlich schlängeln sich Bewohner mit Einkaufstüten hindurch – es ist eine Abkürzung zum nächsten Supermarkt. Megjuani versteht gar nicht, dass man den Haupteingang benutzt.

In seinem Zimmer lebt er mit sieben Männern, alle sind Kosovo-Albaner. Einer von ihnen ist krank. Zum Schlafen hat er ein Bettlaken vor die untere Ebene des metallenen Stockbetts gespannt, um etwas abgeschirmt zu sein. Der Raum ist spartanisch eingerichtet: beigefarbene Wände, Linoleumboden. Die paar Stühle um einen Tisch sind von jener Sorte, bei der Haltbarkeit vor Bequemlichkeit geht. Die fünf Sperrholz-Schränke müssen sie sich teilen. „Ich habe mir einen ganzen genommen“, sagt Megjuani. Eine Winterjacke hängt darin, ein Sweatshirt, eine Jeans.

Im Kosovo lebte er bei seinen Eltern, unweit des großen Kraftwerks in Obilić, etwa zehn Kilometer vor der Hauptstadt Priština. „Mein Vater arbeitet dort“, sagt Megjuani, aber bald gehe er in Rente. Dann müsse die ganze Familie von 200 Euro im Monat leben und das reiche nicht. Magjuani hat sich seit dem Abitur nur mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen. Die Arbeitslosigkeit im Kosovo ist hoch, vor allem unter jungen Menschen. „Dort gibt es keine Perspektive“, sagt er. Die Korruption, der bis heute schwelende Hass zwischen Serben und Albanern – das ganze Land erinnere ihn an den Krieg. Erst jetzt, sechzehn Jahre später, träume er von den schrecklichen Erlebnissen. „Ich kriege Kopfschmerzen davon“, sagt er.

Doch aus dem Kosovo, so erklärte es Bundeskanzlerin Angela Merkel erst am vergangenen Dienstag, habe man „so gut wie keine Chance, einen Asylantrag genehmigt zu bekommen“ – obwohl dort bis heute deutsche Soldaten stationiert sind, und unabhängig davon, ob man Serbe, Albaner oder Mitglied der Roma-Minderheit ist, die im Kosovo massiv diskriminiert wird.

„Die Roma“, sagt einer von Megjuanis Mitbewohnern, die hätten im Krieg auf der Seite der Serben gekämpft und das habe er nicht vergessen. Megjuani widerspricht: In ganz Südosteuropa gebe es diese Romaphobie. Nicht die Serben, sondern Milošević sei der Gegner gewesen. Er hält nichts von dieser Art des ethnischen Nationalismus. Doch hier in Hesepe spielt das eine Rolle: Wenn Kosovo-Albaner und Serben auf einem Zimmer landeten, gebe es Probleme, sagt er. Auf dem gesamten Gelände hielten die jeweiligen Gruppen zusammen. Bei Schlägereien würden die Sicherheitsleute sich raushalten.

Er war noch nicht im Gefängnis, aber so wie hier stellt er es sich vor. Wenn jemand Zahnschmerzen habe, würde der Zahn einfach gezogen, sagt er, und nicht repariert. Den ganzen Tag über mache er nichts, er darf nicht arbeiten. Megjuani holt einem Teller aus dem Kühlschrank. Ein paar Kartoffeln, Reis und rote Tomatensoße, daneben ein gräuliches Oval, das aus Hackfleisch sein könnte. Er habe so etwas noch nicht gesehen. Die rote Soße dagegen gebe es jeden Tag. „Die schmeckt“, sagt er. Abends gebe es oft nur ein Scheibe Brot mit Wurst oder Käse. Oft habe er Hunger, wenn er ins Bett gehe – aber das sei gut: „Meine Freundin sagt, ich soll abnehmen.“ Er lacht. Vieles nehme er mir Humor, aber hier sei es nicht besser als im Kosovo.

Offiziell heißt es, die Menschen blieben im Durchschnitt nur etwa zwei Wochen in der Einrichtung. Einer der Zimmerbewohner lebt seit fünf Monaten hier. „Ankunft 4. Februar“ steht auf seinem gelben Ersatzausweis. Ein Freund von Megjuani kommt herein. Als Professor an der Universität von Priština hat er Elektrotechnik gelehrt, jetzt sitzt auch er in Bramsche-Hesepe fest. Er wohnt in Haus 35. Dort hält er es nicht aus, kann nicht schlafen. Die anderen im Haus seien aggressiv, jede Nacht gebe es Randale.

Das Gebäude sieht aus, als wäre es kurz vor dem Abriss. In den Eingangstüren ist das Glas zerschlagen, aus dem Rahmen ragen die scharfen Kanten. Die Scherben sind grob in den Ecken des Flurs zusammengehäuft. Ein Mädchen radelt mit ihrem Fahrrad daran vorbei.

Irgendjemand habe die Fenster am Tag zuvor kaputtgeschlagen, sagt Megjuani. In einem Zimmer im unteren Flur sitzen acht Männer um einen Metalltisch. Auch auf den unteren Ebenen der Stockbetten hocken Männer, nach vorn gekrümmt, um sich die Köpfe nicht zu stoßen. Auf dem Tisch ein Aschenbecher, ein paar Kaffeetassen, eine Dose mit Eistee-Granulat. Der Zigarettenqualm mischt sich mit dem Geruch von Männerschweiß. Obwohl es draußen heiß ist, bollert die Heizung – der Thermostat steht auf null, sie lässt sich nicht abschalten. Der Raum, mit den fünf, sechs Meter hohen Decken erinnert an eine Herrenumkleide in einer Sporthalle. Licht fällt nur durch die schmalen Klappfenster, knapp unter der Decke – sie sind zu hoch, um einen Blick nach draußen zu erlauben. An der Wand hat einer fein säuberlich das Sternbild Orion aufgetragen, „Milano“ steht über dem linken Hochbett und über der Tür in großen roten Lettern „Albania“.

Einer greift in eine Tüte mit Tabak, verteilt ihn auf einem Zigarettenpapier und rollt es hin und her, ganz sorgfältig, bis die Zigarette in Form ist. Er habe eine sehr gute Ausbildung genossen in Deutschland, sagt er: „Im Zigarettendrehen.“ Er lacht ein bisschen. Auch die anderen rauchen. Eine nach der anderen. Für ihre „freiwillige Rückkehr“ sind sie bald reif.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!