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In Syrien verfolgter LyrikerGefangener Nr. 13

Der Dichter Faraj Bayrakdar saß Jahre in syrischen Gefängnissen. Er schrieb auf Zigarettenpapier, bis er freikam. Heute lebt er in Schweden.

Faraj Bayrakdar hat Assads Gefängnis überlebt. Foto: Jan Niklas Kniewel

Ich bin nicht finster. Seht ihr das nicht? Ich beleuchte die Vergangenheit und die Zukunft vor dem Hintergrund einer schwarzen Gegenwart

Es ist nicht gelungen, Faraj Bayrakdar kaputtzumachen. Vierzehn Jahre wurden ihm genommen; Jahre, in denen seine Tochter ohne ihn aufwuchs. Vierzehn Jahre in syrischen Gefängnissen.

In einer Bibliothek im hessischen Wetzlar erzählt der Dichter seine Geschichte. Zwischen Regalen mit einer großen Sammlung utopischer Literatur. Tagsüber hat er hier syrischen Flüchtlingen geholfen, ihre Leidensgeschichte niederzuschreiben. Am Ende soll ein Buch entstehen.

Man sieht Faraj Bayrakdar, der nun Anfang sechzig ist, nicht an, was er durchlebt hat. Da ist dieses schelmenhafte Lächeln, das den traurigen Blick seiner braunen Augen verdeckt, ein Lächeln, das selbst dann bleibt, wenn er von den dunklen Jahren erzählt, von denen er nicht mehr dachte, dass sie Vergangenheit werden.

Die Verhaftung 1987

Taz.Am Wochenende 6./7. Juni 2015

An diesem Wochenende treffen sich die wichtigsten Staats- und Regierungschefs zum G-7-Gipfel in Elmau. Alles wie immer? Nein, denn viele eingefleischte Protestler und Globalisierungskritiker werden zu Hause bleiben. Warum das so ist, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 6./7. Juni 2015. Außerdem: Ingeborg Rapoport wollte ihren Doktor in Medizin machen. Aber die Nazis ließen sie nicht, weil ihre Mutter Jüdin war. Jetzt hat sie die Prüfung doch noch gemacht – mit 102 Jahren. Und: Die kurdischen Kämpfer haben den Islamischen Staat aus Kobani vertrieben. Jetzt kehren die Bewohner zurück. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Der 31. März 1987 ist der Tag, an dem die dunkle Zeit begann: Es passiert in Jarmuk, dem von palästinensischen Flüchtlingsfamilien besiedelten Teil der syrischen Hauptstadt Damaskus. Heute hungern die Menschen dort wieder – Opfer desselben Regimes, gegen das der Sozialist Faraj Mitte der Achtziger kämpft.

In der Nacht marschieren Soldaten durchs Viertel. Hämmern an Türen. Stellen Fragen. Und Faraj weiß: Sie suchen ihn.

Am nächsten Morgen stehen Zivilpolizisten vor der Tür der Familie, bei der er Schutz für die Nacht gefunden zu haben glaubte – bevor er in eine andere Wohnung ziehen wollte. Er hat viele falsche Ausweise, doch es ist letztlich die Lederjacke, die ihn verrät. Die Jacke, in der ihn die Häscher des Regimes am Vorabend gesehen hatten.

Faraj Bayrakdar

Die Gedichte stammen aus Faraj Bayrakdars Lyrikband „Spiegel der Abwesenheit“, der 2013 im Hans Schiler Verlag erschienen ist (106 Seiten, 16 Euro).

Die Militärpolizei, die man auf den umliegenden Dächern postiert hat, feiert seine Festnahme mit Gewehrsalven. „Sie haben sehr lange nach mir gesucht“, sagt Faraj, der ruhig auf seinem Stuhl sitzt. Schüchtern scheint der grauhaarige Mann mit dem Schnauzer, wenn er erzählt.

Zeit schinden

Blind. Die Augen verbunden. Verhör. Über die illegale Kommunistische Arbeiterpartei, der er angehört und für deren Untergrundpublikationen er schreibt. Über Menschenrechte und ihre tägliche Verachtung durch die Autoritäten. Er weiß, dass sie foltern. Dass sie versuchen werden, über ihn an die anderen zu kommen. An seine Genossen. Dass seine Genossen Stunden brauchen werden, um ihre Sachen zu packen und in die nächste sichere Wohnung zu fliehen. Faraj versucht. Zeit zu schinden.

Als Faraj jung war, da war er Mitglied der regierenden Baath-Partei. Rasch wandte er sich ab. Mit 26 gibt er ein Journal heraus für neue syrische Lyrik. Zweimal wird er dafür 1978 verhaftet. Nach zwölf Ausgaben wird die Zeitschrift eingestellt. Offiziell steht er noch immer in der Mitgliederkartei der Assad-Partei. Das versucht der Kommandant, der ihn verhört, zu nutzen – und ihn zu ködern. „Er erzählte mir, ich könne Chefredakteur jedes Blattes werden, einen Posten in der Partei haben oder in irgendeiner Botschaft.“

Faraj kennt nur einen Genossen, der sich kaufen ließ. Er selbst lehnt ab. Sie schlagen ihn. Und foltern. „Sie nennen es den deutschen Stuhl“, sagt er, während er seine Jacke abstreift, die Ärmel seines Pullovers hochschiebt und die Haltung zeigt, in die man die Gefangenen zwingt. Ob es geflohene Nazi-Schergen oder Stasileute waren, die dem Regime die Methode lehrten, ist unklar: Der Gefangene wird auf einen leeren Metallrahmen gesetzt. Bewegliche Teile hängen daran, Rasierklingen an den Beinen. Die kleinste Bewegung, und sie schneiden. Dann wird dein Körper überdehnt. Vielen bricht das die Wirbelsäule: „Einmal zu tief eingeatmet und du bist tot.“

Elf Monate sitzt Faraj, wird gefoltert. Dann verlegen sie ihn ins Tadmor-Gefängnis – 200 Kilometer nordöstlich von Damaskus, in der Einsamkeit der syrischen Wüste. Ein Ort, von dem die Syrer sagen, dass der, der ihn betritt, verloren ist. Und jener, der ihn verlässt, neu geboren wird. Ein Königreich des Todes und des Wahnsinns, wie Faraj einmal sagt. Über vier Jahre ist er da. Nur so viel zu Essen, dass er nicht verhungert. Keine Besuche. Keine Medizin. Ein Höllenloch.

Die ersten Tage schreibst du an die Wände Monate später in dein Gedächtnis Wenn die Jahre ein ewiger, vom Pfeifen müder, über Stationen hoffnungsloser Zug werden, versuchst du etwas anderes dem Vergessen Ähnliches

Was lässt dich überleben, wenn sich die eigene Existenz auf einen Raum reduziert, umgeben von kahlen Wänden, auf die du starrst? „Wenn du überzeugt bist von deiner Moral, deinen Ideen und den Zielen, wegen derer du verhaftet wurdest, macht dich das stärker.“

Anders werden

Einmal, so erzählt er, da saß er noch in Tadmor, kam ein Offizier zu ihm in die Zelle: „Hast du deine Ansichten geändert?“ – „Keiner kann genau so bleiben wie er einmal war. Aber um sich zu verändern, muss man denken, und zum Denken braucht es Freiheit. Doch ich bin nicht frei und kann mich also auch nicht ändern“, hat er geantwortet.

Faraj hat akzeptiert, dass sein Leben von hier an totaler Willkür ausgesetzt ist. „Wenn du irgendetwas mit Bedeutung schaffst, dann scheitern deine Peiniger. Versucht, etwas zu schaffen – Bilder, Kurzgeschichten, Romane, etwas aus Holz, was auch immer. Das hilft sich zu vergewissern, dass das Leben nicht nichts ist“, sagt Faraj. Kein Nichts sein zu wollen, das ist, was sein Werk durchzieht. Und der unbedingte Wille, den Mechanismen des Gefängnisses zu widerstehen: der Entmenschlichung, der Zerstörung des Individuums, der Reduzierung auf eine Häftlingsnummer.

Er schreibt auf Zigarettenpapier. Mit Tinte, die er aus Zwiebelsäure und Teeblättern extrahiert. Zeilen über den Knast, die Liebe, die Freiheit, die er für immer verloren zu haben glaubt. Seine Besucher, die er später im Saidnaya-Gefängnis empfangen darf, schmuggeln sie heraus.

Mehr als sieben Jahre dauert es, bis Faraj ein Verfahren zugestanden wird. Sie verurteilen ihn zu 15 Jahren. Weil sich Schriftsteller, Dichter, das PEN-Zentrum für ihn einsetzen, wird es erträglicher. 1997 geben Freunde in Beirut seinen dritten Gedichtband heraus: „Dove in Free Flight“.

2000 kommt er frei, geht nach Schweden

Im Rahmen einer Generalamnestie wird Faraj 2000 entlassen. Der Damaszener Frühling hat begonnen. Das Tadmor-Gefängnis wird geschlossen.

Es gibt jetzt Mobiltelefone, Internet, die Leute kleiden sich anders und auch die Traditionen haben sich verändert. Seiner Tochter und seinem Bruder sagt er, sie müssen ihn lehren wie ein kleines Kind. Und langsam ergreift Faraj das neue Leben. Eines, das er in Syrien nicht mehr führen kann. Mit seiner Tochter geht er ins Exil nach Stockholm.

Heute kann er oft nicht schlafen, verfolgt, was in seiner Heimat geschieht, und weiß doch, dass er zu alt ist, um noch zurückzukehren. Dass er viel nützlicher dort sein kann, wo er ist. Anders als so viele, hat er es abgelehnt, sich an der Exilregierung zu beteiligen. Er wusste, dass Syrien noch nicht weit genug war für diese Revolution und dass das Regime töten würde. Und in Stockholm als Sprecher, als Politiker zu sitzen, während die Menschen in Syrien sterben, das konnte er nicht.

Trotzdem geht das Spiel weiter, blutig und verrückt, zwischen den Wölfen des Todes und den Gazellen, die nach Freiheit lechzen

2011, mit dem Beginn der Demonstrationen gegen das Regime, wird auch das Tadmor-Gefängnis wieder eröffnet.

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