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Fernsehen in TschechienDie Hitler-Show

In einer tschechischen Reality-Serie wird eine Familie in die Zeit der Nazidiktatur versetzt. Inklusive Plumpsklo und Soldaten in Gestapo-Uniform.

Die Uniformen in „Urlaub im Protektorat“ sollen möglichst detailgetreu sein. Foto: dpa

Die Flasche Schnaps, die da so einladend auf dem Wohnzimmertisch steht, verheißt zumindest einen guten Anfang des Abenteuers. Mit einem freudigen Aufschrei stürzen sich Vater Miloslav und Cousin Honza auf sie. Doch Oma Jarmila, familienintern „Marschall“ genannt und Mutter Ivana greifen ein. Zuerst muss das Plumpsklo besichtigt werden. „Es stinkt ja gar nicht“ sagt Ivana erleichtert. Überhaupt ist der abgelegene Bauernhof in den Beskiden, einer Bergkette, in der Mähren auf Schlesien trifft, ganz wunderbar erhalten. Und perfekt eingerichtet – im Stil der 1940er Jahre.

Denn es ist eine Zeitreise, die „Marschall“ Jarmila und Opa Jiri, Honza, Miloslav und Ivana samt ihren beiden Söhnen, dem 15-jährigen Marek und dem 9-jährigen Jakub, angetreten haben. Nach dem Vorbild der deutschen Fernsehdoku „Schwarzwaldhaus 1902“, in der eine Familie mit dem Leben im 19. Jahrhundert zurechtkommen musste, schickt das öffentlich-rechtliche tschechische Fernsehen nun ebenfalls eine Familie in die Vergangenheit. Als Entlohnung winken 60 arbeitsfreie Tage plus eine Million tschechische Kronen, knapp 40.000 Euro.

Den Haken an der Sache erfährt die Familie am Morgen nach dem Einzug, als aus dem Radio eine Stimme in altertümlichem Tschechisch erklingt: Weil das deutsche Volk mehr Lebensraum brauche, sei es heute in Böhmen und Mähren einmarschiert.

„Urlaub im Protektorat“, heißt die Show, in der das tschechische Fernsehen, pünktlich zum 70. Jahrestag des Beginns der Vertreibung der Deutschen, die Nazidiktatur im Land wieder aufleben lässt. Zweimal die Woche läuft das Format, die erste Folge sahen mehr als eine halbe Million Zuschauer, ein Marktanteil von 16 Prozent.

Tschechische und deutsche „Schweine“

„Willkommen in der Hölle“ ist das unverblümte Motto. „Wir wollen unsere Zuschauer nicht nur unterhalten, sondern auch denen, die diese Zeit nicht miterlebt haben, eine Art Geschichtsunterricht geben“, erklärt die Produzentin der achtteiligen Serie, Lenka Poláková.

Die Realityshow spielt nicht in Pilsen oder Brünn, wo auch tschechische Arbeiter die deutschen Kriegsanstrengungen durch ihre Arbeitskraft unterstützten, sondern im verlassenen und hügeligen nördlichsten Zipfel des Landes. Dort, so will es das Drehbuch, muss sich die Familie mit tschechischen Partisanen auseinandersetzen. Und mit der allgegenwärtigen Gestapo, die im Nachbarort residiert.

Außer der Familien werden alle Figuren von Schauspielern verkörpert. Wenn es dunkel wird, stehen die schon mal vor dem Haus und schießen mit Spielzeuggewehren auf Barrikaden, hinter denen Vater Miloslav und Cousin Honza zurückballern. Dabei werfen sich die Kontrahenten hochkarätige Wortbeiträge entgegen: „tschechische Schweine“ (die bösen Deutschen) und „deutsche Schweine“ (die guten Tschechen) etwa. In einer anderen Szene muss die Familie eine Gruppe deutscher Soldaten bewirten. Warum die den Weg in genau dieses abgelegene Gebirge gefunden haben, bleibt offen. Ebenso die Frage, warum die Deutschen plötzlich mit starkem tschechischem Akzent sprechen.

Ob in der Show nicht eine Diktatur verharmlost wird, der 400.000 Tschechen zum Opfer gefallen sind, fragt man sich jetzt in den sozialen Netzwerken. Schließlich könne man zwar Leute mithilfe von Plumpsklo und Lebensmittelkarten zurück in die Vergangenheit bringen, aber muss es unbedingt diese grausame Epoche sein? Viele sprechen von Respektlosigkeit und Mangel an Ehrfurcht vor NS-Opfern. Andere wundern sich, wie man Leute in eine Diktatur versetzen kann, wenn diese genau wissen, dass alles nur gespielt ist und ihnen weder KZ, noch Guillotine noch Zwangsarbeit droht.

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