Parteitag der FDP: German Übermut
Die FDP präsentiert sich auf ihrem Parteitag mit neuem Motto und Mitmach-Stil. Ansonsten gibt es nicht viel Neues, dafür umso mehr Jubel.
BERLIN taz | In Minute 39 können die Delegierten aufatmen. 38 Minuten redet ihr Parteichef da schon. Er sprach von Frühförderung in Kitas, einer Willkommenskultur für Einwanderer und den Chancen der Digitalisierung. Jetzt, in Minute 39, schaltet Christian Lindner endlich auf Attacke.
„Das Gros der kalten Progression beansprucht der Fiskus für sich! Der Soli wird zur Dauerabgabe! Die Erbschaftssteuer wird umgebaut in eine Vermögenssteuer!“, sagt er und seine Miene, die Stirnfalten und die zusammengepressten Augen, lassen erahnen, was er davon hält. Dann macht er den Sack zu und ruft in den Saal: „Das ist eine vorsätzliche Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft!“ Die Delegierten jubeln. Sie erkennen ihre FDP also doch noch wieder.
Ganz selbstverständlich war das nicht vor dem Parteitag, der von Freitag bis Sonntag in Berlin stattfand. Ein neues Logo und neue Farben hatte sich die FDP schon zu Jahresbeginn verpasst, auf dem Parteitag sollten neue Schwerpunkte folgen. Alles Teil eines Vierjahresplans, mit dem die Liberalen zurück in den Bundestag wollen.
Vor eineinhalb Jahren hatten sie sich an gleicher Stelle auf den Weg gemacht. In der ehemaligen Bahnhalle in Kreuzberg, in der sie nun ihren Parteichef mit 92,4 Prozent der Stimmen im Amt bestätigten, tagten sie im Dezember 2013 schon einmal. In vier Jahren an der Regierung hatte die FDP zuvor alles für ihren Niedergang getan: zu viel Klientelpolitik, zu wenige Themen abseits des freien Marktes, zu wenig Empathie für die Schwachen. Der Ruf war ruiniert, für die Liberalen reichte es bei der Bundestagswahl nur noch zu 4,8 Prozent der Stimmen.
Viel Spott
Um das Image wieder aufzupolieren, hat die FDP im vergangenen Jahr eine neue Werbeagentur engagiert. Eine der besten des Landes, ebenfalls aus Kreuzberg, deren erste Spuren auf dem Parteitag zu besichtigen sind: Zwischen das Blau und Gelb der FDP hat die Agentur lila Farbtupfer gesprenkelt. Sie sollen Einfühlsamkeit vermitteln, Menschlichkeit und Frische. Genauso wie das neue Motto der Partei, das hinter dem Rednerpult prangt: „German Mut“. Für den Slogan ernten die Liberalen im Internet zwar prompt Spott, von rechts (zu viel Anglizismus) wie von links (zu viel Deutschtümelei). Eines hat die Werbeagentur aber geschafft: An den Rainer-Brüderle-Mief der alten FDP erinnert optisch nichts mehr.
Und inhaltlich? Am Samstag bringt Lindner seinen Leitantrag ein: 14 Seiten, deren Grundlage er auf Regionalkonferenz gemeinsam mit der Basis erarbeitet hat. Ein neuer Mitmach-Stil – der auf den zweiten Blick aber doch nicht viel Neues bringt.
Der Leitantrag fordert „eine Steuerbremse im Grundgesetz“ – wie das Bundestagswahlprogramm 2013. Er fordert, das Arbeitsverbot für Asylbewerber komplett abzuschaffen – wie das Wahlprogramm 2013. Und er fordert, das Klima durch effizientere Technologien statt durch verantwortungsvollen Verbrauch zu retten – wie das Wahlprogramm 2013.
Neues Thema: Bildung
Und doch ist etwas anders als früher, als Christian Lindner am Samstagmittag redet. In Minute 24, eine Viertelstunde vor der Erbschaftssteuer, wechselt der Parteichef das Thema. Er kommt auf die 80.000 Jugendlichen zu sprechen, die pro Jahr die Schule abbrechen. „Was ist das für eine Chancengerechtigkeit? Was haben die für eine Perspektive?“, fragt der FDP-Chef. Dann trägt er das Bildungsprogramm seiner FDP vor: Unterricht auf dem Tablett-PC, bessere Lehrerausbildung, Sprachförderung schon im Kindergarten. Neu ist auch das nicht. Neu aber ist, dass Lindner über kein Thema so lange spricht wie über die Bildung.
So sieht sie also aus, die neue FDP: Der Kern bleibt der Alte. Die Unternehmer und Gutverdiener sollen weiter liberal wählen. Für 5 Prozent reicht das aber nicht. Also streut die Partei ihre Themen breiter. Dazu ein neuer Anstrich und junges Spitzenpersonal: Bei den Wahlen in Bremen und Hamburg reichte das zuletzt für Achtungserfolge.
Und im Bund? Ein Indiz liefert das Foyer. Die Sponsoren des Parteitags haben dort ihre Stände aufgebaut: Volkswagen und Vattenfall, der Verband der Privaten Krankenversicherungen und der Glücksspielindustrie. Es ist voll wie eh und je – insgesamt 33 Aussteller, die ihr Geld in die Partei stecken. Sie also erwarten sich noch etwas von der FDP.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Trumps Personalentscheidungen
Kabinett ohne Erwachsene
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein