Fast Food: "Ich esse auch Rind"
Eric Schlossers Bestseller "Fast Food Nation" und der Film dazu entfremdeten die US-Mittelschicht vom Industrie-Burger. Ein Gespräch über Essen, Kinder und die USA
"Wir haben schon andere Probleme gelöst als das, wie man einen Hamburger macht"
Eric Schlosser, 47, ist Journalist und Buchautor. Er arbeitet seit mehreren Jahren an einem Buch über das US-amerikanische Gefängnissystem, das er nun abschließen will. Er lebt mit Frau und Kindern in Kalifornien. Das taz-Gespräch wurde telefonisch geführt.
Das Buch "Fast Food Nation" (2001) war Schlossers Debut. Darin recherchierte er die Abgründe der US-Fastfood- und Fleischindustrie. Das Buch verkaufte 1,4 Millionen Mal und führte zu Veränderungen bei Ernährungsgewohnheiten von Menschen und im Sortiment von McDonald's: Seither gibt es Salate. "Chew on this" (2006, mit Charles Wilson) untersuchte das Thema im Hinblick auf die Fast-Food-Hauptzielgruppe Kinder und bereitete es für junge Leser auf. Schlosser wurde nie verklagt. Die Sicht der Fastfood-Industrie: www.bestfoodnation.com
Der Film "Fast Food Nation" Regie: Richard Linklater. Darsteller: Greg Kinnear, Ethan Hawke, Avril Lavigne, Kris Kristofferson, Bruce Willis, Patricia Arquette.
Eric Schlossers Bestseller "Fast Food Nation" entfremdete die US-Mittelschicht vom Industrie-Burger. Jetzt kommt "Fast Food Nation" in die Kinos. Ein Gespräch über Essen, Kinder, politischen Film, Al Gore und die USA
INTERVIEW PETER UNFRIED
taz: Herr Schlosser, Richard Linklater hat Ihr Enthüllungssachbuch "Fast Food Nation" über die Fleisch- und Fastfoodindustrie verfilmt - nicht als Dokumentar-, sondern als Spielfilm. Sind Sie glücklich damit?
Eric Schlosser: Ja, bin ich. Rick Linklater ist Filmemacher, ich bin investigativer Reporter, es sind nur unterschiedliche Herangehensweisen an dieselbe Wahrheit. Rick hat das getan, was Literaten schon immer machen: Fiktion aus dem machen, was in der Gesellschaft passiert. "Supersize Me" und "An Inconvenient Truth" sind Dokumentarfilme, aber sie versuchen dasselbe.
Ist die Verzweiflung so groß, dass der Aktivismus ins Kino zurückkehrt?
Das würde ich nicht sagen. Aber das Kino kann Leute auch mit dem konfrontieren, was im Moment in der Gesellschaft passiert. Linklater ist ein sehr tapferer und wirklich unabhängiger US-amerikanischer Regisseur. Im Gegensatz zu Mainstream-Hollywoodfilmen sind seine Figuren mit der amerikanischen Realität konfrontiert. Das ist ein politischer Akt. Wenn jemand in zwanzig Jahren sehen will, was heute in den USA passiert, soll er sich "Fast Food Nation" und "A Scanner Darkly" ansehen, die beiden letzten Filme von Linklater: Dann weiß er Bescheid.
In Ihrem jüngsten Buch "Chew on this" haben Sie eine sehr klare und einfache Sprache benutzt, um Kinder über Fastfood aufzuklären. Haben Sie sie erreicht?
Ja, das Buch wird jetzt in Schulen gelesen. Ansonsten kommt das meiste, was Kinder über Ernährungsfragen wissen, aus der Junkfoodwerbung oder dem Fernsehen.
Lesen die Kinder tatsächlich?
Ja. Es gibt eine Renaissance des Lesens bei Kindern. Die haben wir J. K. Rowling und "Harry Potter" zu verdanken. Ich wollte ein nichtfiktionales Buch schreiben, das Kinder und ihre Intelligenz mit dem Respekt behandelt, den J. K. Rowling hat. Das ist nämlich der Grund ihres Erfolgs.
Sie touren auch mit einem Diavortrag durch die USA. Al Gore tourte im Kampf gegen die Klimakatastrophe auch jahrelang mit einem Diavortrag.
Was ich mache, ist nicht annähernd so aufregend wie das von Al Gore. Es ist für Schulkinder einfach leichter, wenn Bilder dabei sind. Wenn ich an Universitäten spreche, lasse ich die Dias weg. Als Schreiber glaube ich immer noch an die Kraft der Worte.
Wäre es nicht ironisch, wenn der anachronistische Diavortrag ein politisches Werkzeug des 21. Jahrhunderts würde?
Ja. Aber es kann passieren. Generell gibt es in den USA eine Wiederentdeckung der öffentlichen Rede. Die Leute gehen dahin, wo die Redner sind.
Woran liegt das?
Vielleicht liegt es daran, dass die Massenmedien so konservativ sind und es so viele Übertreibungen und Hysterie gibt, dass die Leute eine authentische menschliche Verbindung suchen.
Ihre Bücher haben die Ernährung vieler Menschen verändert. Was hat Sie angetrieben, der Feind Nr. 1 der Schnellimbissketten zu werden?
Je mehr ich über die Fastfood- und Fleischindustrie erfuhr, desto klarer wurde mir, dass diese Industrie einen ungeheuren Einfluss auf die ganze USA und auf andere Länder hat. Und dass sie ein Symbol ist - für die Veränderungen der letzten dreißig Jahre, das Wachstum von Unternehmen und die schlechte Behandlung der Arbeiter, das nun die komplette US-amerikanische Wirtschaft durchzieht.
In der Literatur über Sie heißt es, dass Sie Journalisten hassen, die Sie in einem McDonalds treffen wollen?
Hass ist ein zu starkes Wort. Ich habe dort einfach schon genug Zeit verbracht. Ich bevorzuge ein echtes Restaurant, aber wenn Sie darauf bestünden, dann würde ich Sie auch da treffen.
Was wollen Sie erreichen?
Ich will, dass Leute denken. Punkt. Sehen Sie, ich betreibe einen altmodischen, investigativen Journalismus. Und wenn jemand das von der ersten bis zur letzten Seite liest, dann freut mich das - ob man mir zustimmt oder nicht.
Derweil verbreiten sich McDonalds und andere in der Welt, 50 Millionen US-Bürger, vor allem unterhalb der Mittelschicht sind übergewichtig, auch Kinder werden immer fetter. Macht Sie das nicht depressiv?
Nein. Ich schreibe über deprimierende Dinge, aber je länger ich daran arbeite, desto klarer wird mir, dass es keine unlösbaren Probleme sind. Es gibt Lösungen. Ich will nicht, dass meine Leser deprimiert werden, sondern dass sie sehen, wie vermeidbar diese Probleme sind.
Wie beim Klimawandel setzt man Hoffnung in aufgeklärte Konsumenten. Reicht das?
Ich glaube an persönliche Verantwortung, ich glaube an den ethischen Konsum, auch als Energieverbraucher.
Aber?
Aber der wahre Wandel kommt durch kollektive Aktion und nicht durch individuelle Wahl. Wir brauchen soziale Bewegungen sowohl für einen Energiewechsel als auch für einen Wandel in der Frage, wie unsere Nahrung produziert wird. Und wir dürfen beim Auswechseln vor allem eines nicht vergessen: die Regierung.
Für Deutsche sind US-Amerikaner immer so seltsam optimistisch. Wie kommt das?
Na, hören Sie mal: Ich bin 1959 geboren. Damals konnten Schwarze und Weiße nicht mal im selben Bus fahren. Während meines Lebens sehe ich einen bemerkenswerten Wandel zum Besseren. Wir haben schon ganz andere Probleme gelöst, als das Problem, wie man einen Hamburger macht.
Irgendwelche Anzeichen für eine Wende?
O ja. Es gibt mehr Widerstand gegen den Status quo als je zuvor in den letzten zehn Jahren. Da bildet sich eine Gegenkultur heraus. Die Leute durchschauen langsam die Lügen, die sie umgeben.
Sie sehen aber sicher auch Dinge, die dagegenstehen?
Ja. Die Größe der Probleme. Und wie sehr die Massenmedien Teil des Problems sind. Und wie schwierig es deshalb ist, den Leuten die Chance zu geben, mitzukriegen, was wirklich passiert. Das Hauptproblem bei allem Fortschritt bleibt die Apathie und der Zynismus unter Gebildeten.
Andererseits ist die neue Klimasensibilität wie auch die bewusste Ernährung bisher eine Sache der gebildeten Mittelschicht.
Stimmt. Als ich 1997 anfing, zu "Fast Food Nation" für den Rolling Stone zu recherchieren, hätte ich nicht gedacht, was heute alles öffentlich verhandelt wird: Fettleibigkeit, das Kindermarketing der Fastfoodindustrie, nachhaltige Landwirtschaft. Der Fortschritt ist da, und er ist gewaltig.
In der Mittelschicht.
Ja, dieser Fortschritt hat sich hauptsächlich in der gut ausgebildeten, reichen Upper Middle Class vollzogen. Wie die heute leben, das unterscheidet sich komplett von dem, wie sie vor zehn Jahren gelebt haben. Aber in der Geschichte war es oft so, dass der Wandel in der Upper Middle Class begann, und dann ging er durch die Gesellschaft.
Ist McDonalds eine Gefahr für Kinder?
Ich denke nicht, dass sie bewusst Kindern schaden wollen. Aber McDonalds ist der größte Vertreiber von Kinderspielzeug in den USA, damit sind sie auch dafür verantwortlich, dass das Essen, das sie dazuliefern, nicht ungesund für die Kinder ist. Speziell, wenn man Kinder ködert, die zwei, drei, vier Jahre alt sind. Im Ergebnis hat die Fastfoodindustrie hat einen enormen gesundheitsschädlichen und destruktiven Einfluss auf Kinder in der ganzen Welt.
Das erinnert an die Zigarettenindustrie.
Es ist genau dasselbe. Die Marketingstrategien sind übrigens auch ähnlich. Als die Upper Middle Class aufgehört hat zu rauchen, hat sich die Tabakindustrie auf die Armen und die Entwicklungsländer konzentriert. Genau das macht die Fastfoodindustrie jetzt auch. Sie haben Werbeagenturen speziell für Afroamerikaner und Latinokunden. Und sie bewegen sich aggressiv in die Entwicklungsländer hinein.
Was heißt: aggressiv?
Während sie in den USA öffentlich die gesunde Ernährung beschwören, promoten sie in China und in Asien sehr aggressiv den Verzehr von Rind unter jungen Männern und verknüpfen das mit Potenz. Ich esse auch Rind ...
... und wie fühlen Sie sich?
Das hängt davon ab, wie viel ich gegessen habe. Nein, ich esse Fleisch, und ich greife sie nicht an, weil sie Fleisch verkaufen, sondern dafür, wie sie es vermarkten.
Es gibt Menschen, die nach der Lektüre von "Fast Food Nation" nie wieder einen Industrie-Burger gegessen haben. Etwa, als sie lasen, dass ein Burger aus tausend Rindern gemacht sein kann.
Ja, in einer Fleischeinlage sind Stücke von hunderten, wenn nicht tausend unterschiedlichen Rindern. Und in den USA können diese Stückchen aus bis zu fünf Ländern kommen. Das ist der entscheidende Punkt: Das ist eine industrielle Ware. Nichts, was man jemals in der eigenen Küche machen könnte. Es ist grausam gegenüber den Tieren, es ist schlecht für die Umwelt, und es ist nicht gut für Leute, die das essen, dieses Industriefleisch.
Wo immer Fastfood hingeht, folgt Fettleibigkeit?
Ja, ob Japan, China oder Thailand: In den neuen Märkten steigt die Zahl der Übergewichtigen. Das Problem ist nicht, ab und zu mal einen Burger zu essen oder Fritten. Das Problem ist, dass sich Menschen regelmäßig von diesem industriell erzeugten, konservierten, fettreichen, kalorienreichen Zeug ernähren.
Sie machen die Kundschaft abhängig wie Drogenhändler?
Ich würde nicht sagen wie Drogenhändler. Aber sie machen 80 Prozent ihres Gelds mit 20 Prozent der Kunden. In der Branche nennt man sie Heavy Users.
Ein Wortspiel.
Es meint die Leute, die drei-, viermal die Woche zu McDonalds gehen. Das sind die, die das größte Risiko haben, krank zu werden.
Man kann da dank Ihres Buches inzwischen Salat essen und ein Wässerchen dazu trinken.
Aber das tun die Heavy Users nicht. Man muss sich ansehen, wie McDonalds die Einkommensschwachen ködert: mit dem Ein-Dollar-Menü. Da sind die ungesunden Dinge dabei: Cheeseburger, Hamburger, Softdrinks. Wussten Sie, dass die den größten Profit mit dem Verkauf von Softdrinks machen?
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