piwik no script img

IsraelNoch kein Lebenszeichen

Die Entführung von zwei israelischen Soldaten lieferte den Anlass für den Libanonkrieg. Sie sind bis heute nicht befreit worden.

Entführte israelische Soldaten: Niemand möchte von der Möglichkeit reden, dass sie vielleicht schon längst tot sind. Bild: dpa

Ehud Goldwasser und Eldad Regev waren auf Patrouille an der Nordgrenze Israels, als die Schüsse fielen. Es war kurz nach neun Uhr, und im gesamten Grenzbereich waren Explosionen zu hören. Ehuds Mutter Micki erzählt, dass Kameraden Goldwasser noch rufen hörten: "Wir sind getroffen worden." Der Jeep der Reservisten war zum Ziel einer Panzerrakete geworden, die beiden Soldaten wurden entführt. Das alles geschah am Morgen des 12. Juli 2006 und war Anlass für eine Offensive der israelischen Armee am Abend. Der zweite Libanonkrieg hatte begonnen.

Der Krieg ist mittlerweile Geschichte. Doch von Goldwasser und Regev fehlt noch immer jedes Lebenszeichen. Acht Soldaten kamen damals bei dem Überfall ums Leben. Auch bei dem Fahrzeug von Goldwasser und Regev wurde viel Blut gefunden. Das lässt auf schwerste Verletzungen schließen. Von der Möglichkeit, dass auch die beiden den Angriff nicht überlebt haben, will offiziell niemand reden. Als Israels Ministerpräsident Ehud Olmert in einer unüberlegten Stellungnahme einmal der der Halbsatz herausrutschte: "Wenn sie überhaupt noch am Leben sind", bekam er harsche öffentliche Kritik.

Doch auch wenn es möglich wäre, ein Lebenszeichen von Goldwasser und Regev zu erhalten, es hätte seinen Preis. Laut der palästinensische Zeitung al-Ayam verlangt die Hisbollah die Freilassung der in Israel inhaftierten libanesischen Häftlinge, allen voran von Samir Kuntar. Um ihn ging es der Hisbollah bei dem Angriff auf die israelischen Soldaten.

Als 17-Jähriger hatte der Aktivist der Palästinensischen Befreiungsfront PLF vor 28 Jahren die "Nasser Operation" kommandiert, eine Protestaktion gegen das israelisch-ägyptische Friedensabkommen. Die vier Männer von Kuntars Kommandos waren mit einem Schlauchboot an der israelischen Küste bei Naharia gelandet. Auf der Flucht vor der Polizei stürmte Kuntar die Wohnung der Familie Haran. Er nahm Vater Danny und seine vierjährige Tochter Einat als menschliche Schutzschilde, bevor er Danny vor den Augen des Mädchens erschoss, dem er anschließend mit dem Gewehrkolben den Schädel einschlug.

Zur gleichen Zeit versteckte sich die Mutter Smadar Haran mit der zweijährigen Tochter in einem Ablageraum über dem Schlafzimmer ihrer Nachbarin. Aus Angst, die Tochter könne sie durch ihr Weinen verraten, erstickte sie das Kind.

"Kuntar ist nicht mein Privathäftling", sagt die inzwischen neu verheiratete Haran-Kaiser über einen möglichen Gefangenenaustausch, der "zum Glück nicht meine Entscheidung ist".

Auch die Angehörigen der entführten Soldaten haben keine Entscheidungsgewalt. Deshalb sucht Goldwassers Ehefrau Karnit das Gespräch mit den Mächtigen. Sie wandte sich persönlich an den libanesischen Präsidenten Émile Lahoud, den sie im Verlauf einer UN-Generalversammlung in New York traf.

Ganze zehn Monate waren Karnit und Ehud Goldwasser verheiratet, als der Soldat entführt wurde. Seitdem geht sie in die Öffentlichkeit, präsentierte sich auch dem deutschen Fernsehpublikum, damit die beiden Entführten nicht in Vergessenheit geraten. Die Angehörigen von Eldad Regev hingegen, Vater und drei Brüder, bleiben der Öffentlichkeit eher fern. Eldad, dessen Mutter starb, als er noch ein Kind war, studierte bis zu seiner Einberufung Jura und lebte mit einem seiner Brüder zusammen.

Während die israelischen Medien regelmäßig über Verhandlungen mit der Hamas berichtet, die vor gut einem Jahr den israelischen Soldaten Gildad Schalit nach Gaza entführte, ist von Kontakten zur Hisbollah nur indirekt zu hören. Für die Vermittlung sei die Bundesrepublik zuständig, wehrte der italienische Ministerpräsident Romano Prodi diese Woche die Fragen von Journalisten in Jerusalem ab.

Unter deutscher Vermittlung war es schon im Januar 2004 zur Befreiung mehrerer hundert arabischer Häftlinge gekommen, die die Hisbollah im Tausch für den israelischen Drogenhändler Elchanan Tennenboim und die toten Körper dreier Soldaten gefordert hatte. Die Hisbollah hatte bis zum Zeitpunkt der Übergabe keine Angaben zum Schicksal der drei Entführten gemacht.

Möglich also, dass Goldwasser und Regev doch noch leben und irgendwann freikommen. Denn offenbar kommt Bewegung in die Verhandlungen. Kuntar, so berichtete diese Woche al-Ayam, habe in seiner Zelle kürzlich zum zweiten Mal Besuch von Ofer Dekel bekommen. Dieser war Vizechef des inländischen Geheimdienstes Shin Beth und ist derzeit Sonderbeauftragter des israelischen Premierministers in der Geiselangelegenheit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!