Atomkraft: Früher vom Netz
Ein neuer Bericht über den Brand im AKW Krümmel bringt weitere Fragen. Das Bundesumweltministerium will neue Sicherheits-Checks für alte Meiler.
Jetzt geht es den älteren Atomkraftwerken an den Kragen. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) will eine frühere Abschaltung älterer Atommeiler als im Atomkonsens von 2000 festgeschrieben ist. Deren Restlaufzeiten könnten nach dem Konsens auf neue übertragen werden, sagte Gabriel der Sächsischen Zeitung: "Wenn alte Meiler abgeschaltet werden und jüngere dafür länger laufen, sinkt das Risiko und steigt die nukleare Sicherheit." Auch sein Staatssekretär Michael Müller (SPD) fordert jetzt eine Sicherheitsprüfung aller älteren AKWs in Deutschland.
Wenn sich "die Problematik bestätigt, muss schneller abgeschaltet werden", so Müller im Gespräch mit der taz. Grundlage für eine weitere Betriebserlaubnis für Vattenfall sei ein Beleg der Zuverlässigkeit. Müller: "Ich halte es für notwendig und angemessen, dass Vattenfall seinen Antrag auf Laufzeitverlängerung für Brunsbüttel schleunigst zurückzieht."
Atomenergie dürfe nicht länger über das Risiko irgendeines Störfalles definiert werden, sagt Müller. Angesichts der Vorfälle in Krümmel müsse immer auch der mögliche Schaden durch einen ernsthaften Unfall in Betracht gezogen werden. Dann, so Müller, käme die Politik bei der Bewertung der Gefahren durch Atomenergie zu ganz anderen Schlüssen. Kanzlerin Merkel müsse sich zum Geist des Atomkonsenses bekennen. "Und der sagt: Laufzeiten jüngerer Reaktoren dürfen nicht auf ältere übertragen werden."
Vattenfall hat mittlerweile seinen Prüfbericht zum Störfall in Krümmel veröffentlicht. Danach ergeben sich neue Ungereimtheiten. So heißt es im Bericht der Feuerwehr: "Der 1976 gebaute Trafo hat ein Betriebsgewicht von 452 Tonnen." Vattenfall hatte behauptet, dass der Trafo 23 Jahre alt ist. Falls der Bericht der Feuerwehr korrekt ist, war der Krümmel-Trafo demnach 31 Jahre alt. Erfahrungsgemäß beträgt die Lebenszeit solcher Transformatoren 20 bis 25 Jahre. Vattenfall war gestern für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Als besonders gravierend ist der Ausfall des Computersystems von Krümmel zu betrachten, der einen Verlust wichtiger Daten zur Folge hatte. "Die Auswertung der Störung war durch Probleme bei der Datenarchivierung der Prozessrechneranlage erschwert", heißt es im Bericht. Die Zeitabläufe mussten mühsam rekonstruiert werden.
Neben technischen Problemen benennt der Bericht auch menschliches Versagen. Es sei beim Bedienen der Ventile, die nach dem Ausfall einer Wasserpumpe den wachsenden Druck im Behälter senken sollten, "zu Missverständnissen" gekommen. Der Reaktorfahrer habe zwei Ventile gleichzeitig minutenlang offen gelassen, statt sie abwechselnd zu öffnen und zu schließen, wie dies der Schichtleiter wollte. Dadurch sank der Kühlwasserspiegel im Reaktor.
Mittlerweile werden in der schwedischen Mutterzentrale Konsequenzen in der Berliner Konzernspitze diskutiert. Nach einem Krisentreffen sollten Anfang dieser Woche "weitreichende Veränderungen im Organisationsablauf des Konzerns" beschlossen werden, hieß es aus Unternehmenskreisen. Auch eine Abberufung des Geschäftsführers für den Atomkraftbereich, Bruno Thomauske, sei nicht mehr ausgeschlossen. In Kiel steht heute die Befragung des Personals durch die Atomaufsicht an.
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