Tour de France: Der Visionär ohne Durchblick
Bob Stapleton ist Team-Chef von T-Mobile. Als Neuerer gestartet, hechelt der millionenschwere Pionier des US-Mobilfunkmarktes den Betrugsmeldungen nur noch hinterher.
MAZAMET taz Bob Stapleton ist ein Optimist aus Überzeugung. Der freundliche Kalifornier sieht gewöhnlich auch dort noch Grund zur Hoffnung, wo andere nur noch Trümmer erkennen können. Aber selbst Stapleton ist nach zehn Monaten im Profiradsport zurückhaltend geworden. "Ich muss zugeben, dass ich mir das alles einfacher vorgestellt hatte", sagt der Manager des T-Mobile-Rennstalls zu seinen Anstrengungen, das Dopingproblem in diesem Sport oder wenigstens innerhalb seiner Mannschaft in den Griff zu bekommen. Dabei weiß Stapleton an diesem Abend noch nicht einmal, dass die letzten Monate im Vergleich zu dem, was in den kommenden Wochen auf ihn zukommen wird, noch gar nichts waren. Es ist der Abend der dritten Tour-Etappe, und Stapleton sitzt an der Bar eines typischen Tour-Mannschaftshotels, einem beliebigen Holiday Inn an irgendeiner Autobahn irgendwo in Belgien. Gerade zehn Minuten vorher war Stapleton wieder mit jenem Problem konfrontiert worden, das er glaubte, im Handstreich loszuwerden, als er in den Profi-Radsport einstieg. Fernsehreporter haben Belege für systematisches Doping bei der Mannschaft Mapei im Jahr 2001 gefunden. Zu der Zeit waren zwei aktuelle Fahrer von T-Mobile bei Mapei unter Vertrag, und jetzt wollen die Journalisten wissen, was Stapleton zu unternehmen gedenke.
Stapleton ist das Jagdfieber leid, das sich in den deutschen Medien seit der Jan-Ullrich-Affäre aufgebaut hat, er hat merklich die Nase voll davon, auf jedes Gerücht reagieren zu müssen. Aber er tut es trotzdem in der für ihn typischen ruhigen und verbindlichen Art. Er unterstütze selbstverständlich jede Form des investigativen Journalismus, lobt er die Reporter. Er wolle jedoch die Vergangenheit ruhen lassen. Die beiden jungen Männer täten heute alles, was innerhalb des Anti-Doping Programms bei T-Mobile von ihnen gefordert werde, und das sei alles, was für ihn im Moment zähle. Einer der beiden Fahrer, die damals bei Mapei waren, heißt Patrik Sinkewitz.
Kein Blick mehr zurück
Die Politik, nur noch nach vorne und nimmer mehr zurückzuschauen, ist neu für Bob Stapleton. Als er sich entschloss, im vergangenen Jahr das Team T-Mobile zu übernehmen und es in eine Modell-Truppe für die Post-Ullrich-Ära, in ein Vorbild der Sauberkeit, Fairness, Offenheit und Transparenz zu verwandeln, wollte er noch alles wissen, alles aufklären. Die Art und Weise, wie die Institutionen des Radsports mit den Ermittlungen der spanischen Behörden gegen den Dopingarzt Eufemiano Fuentes umgingen, gibt Stapleton zu, habe ihn jedoch gelehrt, dass die Widerstände dagegen, die Vergangenheit zu bewältigen, einfach zu groß sind.
Hemopure: Michael Rasmussen ist in Verdacht geraten, mit dem aus Rinderblut gewonnenen Mittel nachgeholfen zu haben. Hemopure wird von der US-Firma Biopure hergestellt. Es ist bisher nur in Südafrika zugelassen und soll Verletzten mit starkem Blutverlust helfen, wenn keine Transfusion möglich ist. Auch anämischen Patienten wird es verabreicht. Hemopure ist ein Hämoglobin-Präparat. Die Patienten bekommen weder Vollblut noch rote Blutkörperchen, sondern nur den isolierten Sauerstoffträger Hämoglobin ins Blut gespritzt. Das erhöht die Kapazität des Blutes zum Sauerstofftransport. Noch ist der leistungssteigernde Effekt umstritten. Der große Vorteil: Hemopure muss nicht gekühlt in Kühlschränken von Dr. Fuentes gelagert werden. Es hält sich über Monate bei Zimmertemperatur. Es kann nur mit aufwendigen Bluttests nachgewiesen werden. Obacht! Heftige Blutdruckausschläge und Nierenversagen werden als Nebenwirkungen diskutiert. Ausrede des Tages: "Ich habe mir mit einer Salbe den Hintern eingerieben." Lance Armstrong 1999 nach einem Kortisonbefund.
Gesamtwertung nach der 13. Etappe: 166. und Letzter: Wim Vansevenant (BEL) + 2h03:35; 165. und Vorletzter: Anthony Charteau (FRA) 1h58:34; 164. Rik Verbrugghe (BEL) 1h57:08; 163. Nick Nuyens (BEL) 1h56:42; 162. Aliaksandr Kuschynski (BLR) 1h55:10; 161. Geraint Thomas (GBR) 1h54:41; 160. Sven Krauss (GER) 1h53:02; 159. Thor Hushovd (NOR) 1h50:36; 158. Stéphane Augé (FRA) 1h50:08; 157. Bram De Groot (NED) 1h49:41
Deshalb redet sich Stapleton zu Beginn der diesjährigen Tour noch ein, bei seinen Reformvorhaben auch ohne den Schritt der Vergangenheitsbewältigung auszukommen. Er redet sich ein, dass die handelnden Personen im Radsport aus Einsicht zum Umdenken fähig sind und dass er sie schon davon überzeugen wird, den richtigen Weg einzuschlagen, den nämlich, den T-Mobile vormacht. Den Weg, pro-aktiv und weit über das Regelwerk hinausgehend den Beweis der Sauberkeit zu erbringen. Den Weg, in Wort und Tat keine Zweifel über den Willen zu einem Doping-freien Sport aufkommen zu lassen und so die Herzen von Sponsoren, Fans und Journalisten zurückzugewinnen.
Als Beweis für die Wandelbarkeit der Einstellungen, für die Reformierbarkeit des verkrusteten Systems mit seinen mafiosen Strukturen, sieht Stapleton Rolf Aldag, seinen Partner an der Spitze des Teams. Aldag habe endgültig begriffen, dass die Dinge im Radsport nicht mehr so sein müssen, wie sie immer waren, dass es auch anders geht. Dass man nicht mehr das eine sagen und das andere tun muss, dass es auch ohne Lügen und Betrügen und Mauern geht. Mittlerweile sei Aldag einer der überzeugtesten Botschafter des neuen Wegs. Und wie Aldag will Stapleton einen Radsportler der gerne sogenannten alten Generation nach dem anderen missionieren. Gerade erst habe er, wie er stolz erzählt, ein produktives Gespräch mit seinem Kollegen Patrik Lefevere geführt, dem belgischen Radsport-Patriarchen, dem die Brüsseler Tageszeitung Het Laatse Nieuws "30 Jahre Doping" als Fahrer sowie als Teamleiter nachgewiesen hatte.
Entrümpler wird müde
Für Bob Stapleton ist der Glaube an die Zukunft eine beinahe religiöse Überzeugung. Er hat viele Pläne, detaillierte Pläne. Wären da nicht diese Widerstände, die Fraktionen und Fehden, der Traditionalismus und Provinzialismus im Radsport, würde Stapleton innerhalb von "ein paar Monaten", wie er sagt, "diese an sich wunderbare Disziplin" auf den Kopf stellen. Er hat sich sogar schon genau überlegt, wie. Das Doping in den Griff zu bekommen, wäre nur der erste Punkt auf seiner Liste, der erste Schritt, den Sport zu einem "Prämium-Produkt" zu machen, zu einer der "fünf populärsten Sportarten der Welt", wie er sagt. Dann käme der Teil, der Stapleton wirklich interessiert.
Wenn er davon spricht, was man mit dem Radsport alles machen könnte, dann wird der braun gebrannte Endvierziger, selbst leidenschaftlicher Hobby-Rennradfahrer, lebendig. Erst würde er diesen ganzen Wust an Rennen, den es jetzt von Februar bis November gibt, entrümpeln und daraus eine überschaubare Saison machen. Die müsste einen Höhepunkt haben, eine Art Endspiel. Das alles soll dann aus einer Hand vermarktet werden. "Jedes einzelne Rennen verkauft heute seine eigenen Fernsehrechte", sagt er, "das ist unglaublich. Es ist völliger Zufall, in welchem Land man welche Rennen zu sehen bekommt. Jeder Veranstalter im Radsport und jede Mannschaft kocht ihr eigenes Süppchen, und alle arbeiten gegeneinander." Wie die Formel 1 oder die US Football-Liga NFL möchte Stapleton den ganzen Radsport zu einem einzigen Konzern zusammenfügen, zu einem milliardenschweren Sportunterhaltungsprodukt.
Stapleton ist zuallererst Unternehmer. Ende der Achtzigerjahre war er mit seiner Firma Vociestream einer der ersten Mobilfunkanbieter auf dem US-Markt. Vor sechs Jahren verkaufte er Voicestream für 50 Milliarden Dollar an T-Mobile. Bis 2003 arbeitete er noch im Vorstand von T-Mobile USA mit und trug dazu bei, die Marke auf dem amerikanischen Markt zu etablieren. "Dort hat der Konzern ein viel besseres Image als in Deutschland", erzählt er stolz.
Als das geschafft war, zog sich der 48-Jährige mit dem Geld aus dem Voicestream-Deal ins Privatleben zurück. Er wollte Zeit mit seinen Kindern verbringen und das Leben in seinem Heim in San Luis Obispo an der nordkalifornischen Pazifikküste genießen. Doch das Pendeln zwischen Strand und dem Weingut der Familie füllte ihn nicht lange aus. Und so zögerte er keine Sekunde, als sich für ihn die Gelegenheit mit dem Profi-Radsport auftat. "Der Radsport hat ein immenses ungenutztes Potenzial", beschreibt der Marketingmann seine Motivation. Dieses Potenzial herauszukitzeln, war für einen wie ihn eine unwiderstehliche Gelegenheit. Ein Team zu managen, war für ihn von Anfang an nur ein erster Schritt. Stapleton wollte mehr, er dachte in größeren Zusammenhängen. Er wollte, wie schon auf dem Mobilfunkmarkt, eine ganze Branche revolutionieren.
Abschied vom Aufbruch
Zehn Tage später steht Bob Stapleton am T-Mobile-Mannschaftsbus auf einem Parkplatz am Messegelände von Marseille, umringt von mehreren Dutzend Reportern, und es steht ihm der Schweiß auf der Stirn. Und das liegt nicht nur an der südfranzösischen Sommerhitze. Am Vormittag war bekannt geworden, dass die Dopingprobe von Patrik Sinkewitz Hinweise auf die Einnahme von künstlichem Testosteron enthielt. Sinkewitz war einer jener jungen Männer, die die saubere Zukunft von T-Mobile und somit den Anbruch einer neuen Zeitrechnung im Radsport verkörpern sollte. Die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender haben umgehend ihre Übertragungen eingestellt. Die T-Mobile-Konzernspitze in Bonn sendet Signale, dass die weitere Förderung des Radsports nicht länger vertretbar ist.
Stapletons große Pläne scheinen mit einem Mal Makulatur zu sein. Sie kommen über den ersten Schritt, das Produkt Radsport für die Vorstandsetagen von Senderketten und Sponsoren sowie für die Familien vor den Fernsehgeräten sauber und respektabel zu machen, offenbar nicht hinaus. Doch der Macher, der einst einen Milliardenkonzern aufgezogen hat, tut sich noch schwer damit, das zu akzeptieren. "Der positive Test von Patrik ist doch ein Beweis dafür, dass unser System funktioniert", verteidigt er sich. "Wir sehen das als Bestätigung und gehen entschlossen unseren Weg weiter." Doch das klingt ein wenig nach Durchhalteparole. "Der Radsport ist ein wesentlich unangenehmeres Umfeld als die Geschäftswelt", gibt Stapleton dann auch ein wenig später zu. "Es gibt so viele Faktoren, die man nicht kontrollieren kann."
Weitere zwei Tage später wird bekannt, dass der Führende der Tour, Michael Rasmussen, unter starkem Dopingverdacht steht. Die Veranstalter der Rundfahrt bezichtigen den Radsportverband, die Verdachtsmomente zurückgehalten und gezielt während der Tour lanciert zu haben, um das Rennen zu torpedieren. Der Radsportverband reagiert, indem er die Tour-de-France-Führung als "paranoid" bezeichnet. Seit Monaten sind die beiden Parteien über Vermarktungsfragen zerstritten und reden nicht mehr miteinander. Keiner glaubt, Rasmussen aus dem Verkehr ziehen zu können. Der Radsport ist ganz offensichtlich nicht zu retten. Bob Stapleton wird derweil mit Sicherheit Augenblicke haben, in denen er sich insgeheim an den kalifornischen Strand zurücksehnt. Oder in die geordnete Welt von Konzern-Vorstandsetagen. Zugeben würde er das allerdings nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen