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Nebensachen aus AnkaraZum Feldzug lieber mit Baggern

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Türken und Türkinnen orientieren sich eindeutig an US-Vorbildern. Wenn Geld da ist, wird konsumiert. Warum dann nicht im Nordirak lieber Shoppings Malls errichten, statt Soldaten dorthin zu schicken

In der Türkei liegt EInkaufen schwer im Trend. Warum nicht auch den Nordirak mit dem türkischen Shopping-Virus anstecken, statt drauf los zu ballern? Bild: dpa

V or wenigen Tagen war ich nach längerer Zeit mal wieder in der türkischen Hauptstadt Ankara. Das ist ein Trip, den jeder Türkeikorrespondent wenn möglich vermeidet, aber wenn das ganze Land von einem möglichen Krieg im Nordirak spricht, muss man die Stimmung bei den Volksvertretern vor Ort einholen.

Um es vorweg zu sagen: Die Parlamentarier wirkten ziemlich entspannt. Seit dem Treffen von Tayyip Erdogan mit US-Häuptling George W. Bush scheint es, als wäre ein Schalter umgelegt worden. Von ständigem Kriegsgeschrei zurück zum business as usual. Selbst Oppositionsführer Deniz Baykal, bis vorgestern noch Einpeitscher für den Einmarsch, will plötzlich eine politische Lösung und entdeckt den Charme der wirtschaftlichen statt der militärischen Durchdringung des Nordirak.

Würde Baykal gelegentlich mit offenen Augen durch Ankara laufen, hätte er längst auf diese Idee kommen können. An allen großen Ausfallstraßen drehen sich die Baukräne, eine Shoppingmall größer als die nächste, wird aus dem Boden gestampft. Ikea, Bauhaus oder Carrefour sind dabei, um auf dem offenbar lukrativen Markt ihren Schnitt zu machen. Der Bau von riesigen Einkaufszentren verspricht in der Türkei weit höhere Renditen als in old Europe oder den USA .

Das liegt daran, dass türkische KonsumentInnen sich eindeutig an US-Vorbildern orientieren. Die Sparquote ist gleich null - wenn mal Geld da ist, wird es auch ausgegeben. Angeheizt wird der Konsum von Banken und Einkaufsketten mit freigiebig verteilten Kleinkrediten, auch an wenig solvente Kunden, subprime credits also, von denen man ja im Prinzip weiß, dass das dicke Ende früher oder später kommt. Noch aber werfen einem die Banken Kreditkarten im Wert von 2.000 bis 3.000 Euro praktisch nach, und solange man zumindest einen Teil dieses Kredits im Laufe des Monats wieder ausgleicht, wird die Laufzeit praktisch unbegrenzt verlängert.

Vor den Toren Ikeas zerstäubt denn auch jede nationalistische Welle. Parolen wie "Kauft türkisch" oder "Grenzen dicht für ausländische Ware", würde bei den kaufwütigen Massen auf völliges Unverständnis stoßen. Warum also nicht im Nordirak nachmachen was europäische, US- und japanische Konzerne im eigenen Land vormachen. Baggerführer statt Soldaten schicken ist letztlich effektiver und vor allem lukrativer. Für die Türkei kann der Nordirak eine Goldgrube sein. Hungrige Konsumenten gibt es in Massen, Geld für den Aufbau ist reichlich vorhanden und je besser das Geschäft läuft, umso weniger wird man gewillt sein, antiquierten "Terroristen" wie der PKK zu erlauben, das Business zu stören. "Die Zeiten von Che Guevara sind vorbei", merkte Iraks Kurdenführer Talabani jüngst an. Klügere Leute in der Türkei hatten das schon lange kapiert, jetzt hatte offenbar auch Deniz Baykal mal Zeit für eine Stadtrundfahrt und zog die richtigen Schlüsse daraus. Nicht Bush, sondern vermutlich die Baukräne haben ihn eines Besseren belehrt.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei

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