piwik no script img

Ethisch unbedenkliche ForschungStammzellen ohne Embryonen

Die Wissenschaft feiert die durch Reprogrammierung gewonnenen Stammzellen. Experten bezweifeln jedoch, dass diese jemals Menschen therapieren werden.

Übertragung der Körperzelle einer Frau in eine entkernte Eizelle der Spenderin Bild: dpa

BERLIN taz | Seit fast zehn Jahren wird darüber gestritten, ob Embryonen zur Gewinnung von Stammzellen genutzt werden dürfen. Die neuesten Ergebnisse aus der Stammzellforschung könnten diesen Streit jetzt beenden. Zwei Forscherteams, aus den USA und Japan, ist es unabhängig voneinander gelungen, erstmals menschliche Hautzellen so umzuprogrammieren, dass sie fast die gleichen Eigenschaften haben wie embryonale Stammzellen.

Kritiker der Stammzellforschung hoffen jetzt, dass die in den Wissenschaftsmagazinen Science und Cell veröffentlichten Ergebnisse "das endgültige ,Aus' für die verbrauchende Embryonenforschung einläuten" werden. "Künftig muss kein Embryo mehr getötet werden, um die pluripotenten Stammzellen zu gewinnen", sagt Mechthild Löhr von den Christdemokraten für das Leben.

Die Euphorie über die neuesten Ergebnisse aus der Stammzellforschung ist fast grenzenlos. Ein "riesiger wissenschaftlicher Meilenstein" sei erreicht, sagte der Stammzellforscher Robert Lanza von der US-Firma Advanced Cell Technology. Er vergleicht die erfolgreiche Umprogrammierung menschlicher Körperzellen in ihrer Bedeutung sogar mit "dem ersten Flugzeug der Gebrüder Wright".

Der Forscher Ian Wilmut, der das Klonschaf Dolly schuf, war von den Ergebnissen so sehr begeistert, dass er seine Klonversuche mit menschlichen Zellen abbrach. In seinem Labor an der Universität in Edinburgh soll künftig an der Reprogrammierung von Zellen geforscht werden.

Ob das von den Forschern an der Kioto-Universität und der University of Wisconsin in Madison entwickelte Verfahren jemals für eine Therapie am Menschen eingesetzt werden kann, ist derzeit noch ungewiss. Denn um die Körperzellen in den Ursprungszustand zurückzuversetzen, haben die Forscher sie mit Retroviren gentechnisch verändert. Retroviren haben die Eigenschaft, ihr Erbgut in das Genom einer Zelle einzuschleusen.

Die so manipulierten Zellen können sich zwar, wie embryonale Stammzellen auch, zu sehr unterschiedlichen Zelltypen entwickeln, etwa zu Muskelzellen oder Nervenzellen, es besteht aber auch ein sehr hohes Risiko, dass sie sich zu Krebszellen entwickeln. Für die Anwendung am Menschen müsste daher erst eine andere Methode zur Reprogrammierung gefunden werden.

Für die deutschen Stammzellforscher kommt der weltweit gefeierte "Durchbruch" eigentlich zu einer unpassenden Zeit. Im Bundestag wird derzeit über eine Änderung des Stammzellgesetzes gestritten. Das Gesetz erlaubt nur die Forschung mit importierten Stammzelllinien, die vor dem 1. Januar 2002 hergestellt wurden. Forscher fordern seit langem jedoch, dass ihnen erlaubt sein müsste, mit neueren Zelllinien zu arbeiten.

Die in Science und Cell vorgestellten Ergebnisse zeigen, das "es durchaus möglich ist, erfolgreiche Forschung ohne die umstrittenen embryonalen Stammzellen durchzuführen", betont die forschungspolitische Sprecherin der Grünen, Priska Hinz. Sie fordert, die Stichtagsregelung nicht zu ändern. Ähnlich lautende Argumente kommen auch aus der CDU-Fraktion.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hingegen sieht jetzt erst recht die Notwendigkeit, den Stichtag zu verschieben. Die neuen, durch Reprogrammierung gewonnenen Zellen müssten nun charakterisiert und erprobt werden. Dazu werden als "Goldstandard" die besten neuen embryonalen Stammzelllinien benötigt.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • P
    Philipp

    @Antonietta

     

    Ich weiss nicht wieviel Milliarden Kühe, Schweine, Hühner etc. getötet wurden nur damit Menschen ihren Hunger stillen. Klar dass sich darüber keiner Gedanken macht, da diese Tiere nur als Vieh betrachtet werden und nicht so kuschelig sind wie Katzen.

    Wie unverantwortlich ist es nicht auf Fleisch zu verzichten und stattdessen Gemüse und Obst als Grundnahrungsmittelersatz zu benutzen?

     

    Was wäre wenn wir anstatt Katzen, Hunde und Hasen, Kühe und Pferde primär für Tierversuche benutzen. Es wäre allen egal,weil sie keine gesellschaftsfähigen Haustiere sind.

     

    Komischerweise hast du in deiner Argumentation nicht Ratten und Mäuse miteinbezogen, die def. den Löwenanteil der Tierforschung ausmachen.

    Und warum? Weil sie in unseren Augen eine Plage sind und sie niemand haben will. Aber sind diese Tiere denn nicht auch leidensfähig?

  • DR
    Dirk Reichel

    Hallo und Guten Morgen,

    mich stört an diesem Bericht, dass die von den Medien gestreute Nachricht nicht ins rechte Licht gerückt wird.

    Das Forscherteam aus Wisconsin wird von der US-Regierung gefördert und Mr. Lanza ist die Stimme der Bush-nahen Fördereinrichtung, die genauso neokonservativ gegen Schwangerschaftsabbruch wie gegen embryonale Stammzellenforschung wettert.

    Die Republikaner benötigen für ihre Kandidatenentscheidung Rückenwind, weil die neue Rechte bei den Demokraten Clinton/Edwards, hier als Reflex auf die Tiraden gegen Schwule (Bloomberg, Guiliani) ihre Chance sieht.

    Der Bush-Clan steht vor allem diametral zu den California-Reps.

    So läßt sich dieser Erfolg klassisch als Ente verkaufen.

    Die Leserschaft möchte das auch wissen.

  • S
    Shrike

    @Antonietta

     

    Ach ja ?

    Würden Sie das auch schwer kranken Menschen ins Gesicht sagen, für die durch Tierversuche vielleicht noch eine Heilung gefunden wird ?

     

    Zur Erinnerung:

    Menschen sind diese Wesen, die zwar meist nicht so niedlich sind wie Hunde, Katzen, Kaninchen, die aber meines Erachtens nach wesentlich leidensfähiger sind als Tiere, da sie ihr Schicksal bewusster wahrnehmen.

    Darüber hinaus: Menschen - das sind WIR, was für mich in einem Akt von unerhörtem Egoismus immer noch ein Argument darstellt.

     

    Niemand macht Tierversuche aus Spaß und niemand der halbwegs anständig ist, findet sie toll.

    Außerdem kosten sie Geld, wenn sie also so nutzlos wären, gäbe es sie gar nicht.

     

    Ja, Tierversuche sind ein Übel.

    Die Alternative wäre, diese Stoffe an Menschen zu testen. Nun, DAS wäre ein größeres Übel, ganz sicher, wenn man mich und die meisten Menschen fragt. Soviel zur Moral.

  • Y
    Yann

    Im Artikel ist von "Ähnlichkeit mit embryonalen Stammzellen" die Rede. Um diese beurteilen und Unterschiede feststellen zu können, ist es von entscheidender Wichtigkeit, bestmöglich geeignete Originale verfügbar zu haben und nicht nur solche aus der Stammzell-Steinzeit von vor 2002.

     

    Deutschen Stammzellgesetz-Befürwortern, die in diesen Forschungsergebnissen eine Bestätigung für den restriktiven Umgang mit Embryonen & embryonalen Stammzellen in Deutschland sehen, muss gesagt werden: Die internationale Forschergruppe (Japan/USA) beinhaltet auch dank dieser Restriktivität keinen deutschen Zweig.

     

    @ Antonietta:

     

    Wenn Sie Ihre Kritik konkretisieren und auf Ihnen bekannte Mißbrauchsfälle fokussieren würden, könnten andere Leser Ihnen vielleicht auch zustimmen. So laufen Sie Gefahr, mit Ihrem (u. U. berechtigten) Furor nur den Eindruck einer fundamentalistischen Eifererin zu erwecken, die lieber Kinder als Mäuse sterben ließe.

     

     

     

    Mit freundlichen Grüßen.

  • Y
    Yann

    Im Artikel ist von "Ähnlichkeit mit embryonalen Stammzellen" die Rede. Um diese beurteilen und Unterschiede feststellen zu können, ist es von entscheidender Wichtigkeit, bestmöglich geeignete Originale verfügbar zu haben und nicht nur solche aus der Stammzell-Steinzeit von vor 2002.

     

    Deutschen Stammzellgesetz-Befürwortern, die in diesen Forschungsergebnissen eine Bestätigung für den restriktiven Umgang mit Embryonen & embryonalen Stammzellen in Deutschland sehen, muss gesagt werden: Die internationale Forschergruppe (Japan/USA) beinhaltet auch dank dieser Restriktivität keinen deutschen Zweig.

     

    @ Antonietta:

    Wenn Sie Ihre Kritik konkretisieren und auf Ihnen bekannte Mißbrauchsfälle fokussieren würden, könnten andere Leser Ihnen vielleicht auch zustimmen. So laufen Sie Gefahr, mit Ihrem (u. U. berechtigten) Furor nur den Eindruck einer fundamentalistischen Eifererin zu erwecken, die lieber Kinder als Mäuse sterben ließe.

     

    Mit freundlichen Grüßen.

  • A
    Antonietta

    Jedes Jahr sterben allein in Deutschland über zwei Millionen Tiere im Tierversuch, darunter auch viele Hunde, Katzen, Kaninchen und Affen. Trotz Millionen gequälter und getöteter Tiere ist noch keine der wichtigen Krankheiten wie z.B. Krebs besiegt worden. Wissenschaft nur um ihrer selbst willen ohne jeglichen Respekt vor dem Leben ist moralisch nicht akzeptabel. Zudem ist es unabhängig von dem zweifelhaften Nutzen der Tierversuche moralisch absolut inakzeptabel, unschuldige leidensfähige Lebewesen stellvertretend für uns leiden zu lassen.