Anlagenbauer Thermoselect scheitert mit Klage: EnBW muss nichts zahlen
Der Energiekonzern ist von Schadenersatz für den Müllofen Thermoselect befreit worden.
FREIBURG taz Wer die Öffentlichkeit über Probleme eines Vertragspartners informiert, muss nicht automatisch dessen Schaden ersetzen. Dies entschied gestern das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe. Damit scheiterte der Anlagenbauer Thermoselect, der von seinem Auftraggeber, dem Energiekonzern EnBW, mehr als eine halbe Milliarde Schadenersatz wegen "Verbreitung unwahrer Tatsachen" und "Verletzung von Kooperationspflichten" verlangt hatte.
Das Thermoselect-Verfahren galt einst als große Hoffnung für eine billige und umweltfreundliche Müllverwertung. Aus Müll sollte Synthesegas entstehen, mit dem Strom und Fernwärme erzeugt werden können. Das verbleibende mineralische Granulat sollte ein Baustoff sein.
Das fand auch das Badenwerk (später in EnBW umbenannt) interessant. Ab 1993 versuchte der Energiekonzern mit Thermoselect drei Anlagen zu bauen, alle scheiterten. Die größte Anlage im Karlsruher Rheinhafen hieß wegen der vielen Pannen im Volksmund bald "Thermodefekt". Nie konnte sie ihre volle Kapazität erreichen. EnBW machte Verluste. 2004 stellte der als Sanierer gekommene neue EnBW-Chef Utz Claassen (auch er ist inzwischen Exchef) den Betrieb der Thermoselect-Anlage nach vierjährigem Betrieb ein.
Die Schweizer Firma forderte deshalb 581 Millionen Euro Schadenersatz von EnBW. Damit sollten die Entwicklungskosten und entgangene Gewinne abgegolten werden.Thermoselect kann heute nur auf sieben Anlagen in Japan verweisen. Viele Geschäfte zerschlugen sich.
Nun scheiterte auch die Klage beim OLG Karlsruhe. EnBW habe aus dem verlustreichen Projekt aussteigen dürfen, so Richterin Liselotte Ernst. Das Interesse von Thermoselect an einer erfolgreichen Demonstration seiner Technik stand dem nicht entgegen. Die auf einer EnBW-Bilanzpressekonferenz geäußerte Einschätzung, die Thermoselect-Anlage sei eine "Altlast" und ein "Sanierungsfall", führe auch nicht zu Schadenersatzansprüchen. Es handele sich um "erlaubte Werturteile". Thermoselect berief sich auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahr 2006 zum Streit zwischen Filmhändler Leo Kirch und der Deutschen Bank. In einem Interview hatte der damalige Bankchef Rolf Breuer erklärt, Kirch könne nicht mit weiteren Darlehen rechnen. Damit, so urteilte der BGH, habe die Bank ihre "Loyalitätspflicht" verletzt.
Das OLG sah im Thermoselect-Streit keine derartige Loyalitätspflicht gegeben. Die Anlage sei in der Öffentlichkeit diskutiert worden. Eine besondere Pflicht zur Vertraulichkeit, wie bei einem Darlehensvertrag, bestand nicht. Vielmehr musste EnBW sogar zur Information der Anleger und des Kapitalmarkts die Öffentlichkeit über die Probleme informieren, so Richterin Ernst. Die Revision wurde nicht zugelassen. Dagegen will Thermoselect noch den BGH anrufen.
In einem anderen Rechtsstreit versucht EnBW von Thermoselect den Kaufpreis für die erfolglose Anlage zurückzubekommen. Hierüber muss noch ein Schiedsgericht entscheiden.(Az.: 8 U 164/06)
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