Sprachkurs fürs Visum: Türkische Männer pauken Deutsch
Ein Besuch im Goethe-Institut Istanbul zeigt: Die Teilnehmer der Sprachkurse entsprechen nicht den Erwartungen der Berliner Politiker. Statt junger Bräute lernen dort viele Männer.
ISTANBUL taz Özgür J. ist der Typ des erfolgreichen Jungunternehmers. Mit knapp 30 ist er im Import-Export-Geschäft tätig, kennt sich ein bisschen aus in der Welt und will möglichst schnell vorwärtskommen. Dass er nun zwei Monate lang mehrmals in der Woche im Goethe-Institut sitzen und Deutsch lernen muss, hält er für eine Zumutung. Nicht weil er die Sprache nicht lernen will, sondern weil das Ganze "uneffektiv" ist, wie er sagt. "Wenn schon, sollte man es richtig machen. Nach zwei Monaten kann man doch immer noch nicht richtig Deutsch sprechen."
Damit hat er wohl recht, aber für die Prüfung am Ende des Kurses wird sein Deutsch sicher reichen. Denn darum geht es. Alle 20 Kursteilnehmer lernen Deutsch, weil das neue Zuwanderungsgesetz der Bundesrepublik vorschreibt, dass Ehepartner aus dem Ausland erst dann ein Visum bekommen, wenn sie Grundkenntnisse in der Sprache nachweisen können. Özgür hat schon vor ein paar Jahren eine Türkin aus Deutschland geheiratet, die dann zu ihm nach Istanbul kam, aber schon bald wieder zurückwollte. "Sie konnte sich hier nicht integrieren", sagt er, "darum muss ich jetzt dorthin."
Das Gesetz der großen Koalition hat am Bosporus für viel böses Blut gesorgt, weil es als eine "Lex Türkei", eine spezielle Schikane gegen den Ehegattennachzug bei türkischen Einwanderern empfunden wurde. Ministerpräsident Erdogan sprach sogar von einer Menschenrechtsverletzung, wenn Familien nicht zusammenkommen könnten.
Güler O., die ebenfalls im Sprachkurs am Goethe-Institut in Istanbul sitzt, sieht das gelassener. Sie ist 25, seit drei Monaten mit einem Türken in Deutschland verheiratet und findet es "eher leicht", Deutsch zu lernen. Um ihre Zukunft in Deutschland macht sie sich ganz andere Sorgen als die Sprachprüfung. Sie ist Chefin eines Kosmetiksalons, und es geht ihr ökonomisch gut. "Ich will in Deutschland nicht von meinem Mann abhängig werden."
Nicht nur dass niemand der Kursteilnehmer sich ernsthaft wegen der Prüfung Sorgen macht, überrascht, vor allem die Zusammensetzung der Teilnehmer entspricht ganz und gar nicht den Erwartungen. Statt junger Bräute, die von ihren Eltern mit einem unbekannten Deutschtürken verheiratet wurden, sitzen überwiegend Männer um den Tisch. Von den zwanzig Teilnehmern sind nur fünf Frauen. Das, sagt Lehrerin Emine Karaca, sei zwar nicht in allen Kursen so, aber insgesamt seien es doch mehr Männer als Frauen.
Einer von ihnen ist Fatih B., der aus Bingöl, dem kurdisch besiedelten Südosten des Landes stammt. Fatih empfindet die Sprachkurse als reine Schikane. Er musste sich in Istanbul für zwei Monate bei Verwandten auf der Couch einquartieren. In der Zeit kann er nicht arbeiten und muss für den Kurs umgerechnet 650 Euro zahlen. Für jemanden, der 250 Euro im Monat verdient, eine Menge Geld. "Das Geld", meint dagegen die Leiterin des Istanbuler Goethe-Instituts, Claudia Hahn-Raabe, "ist nicht das Hauptproblem." Das überwiesen meist die Familien aus Deutschland. Die größte Hürde für die Betroffenen ist der Aufwand, an einem Sprachkurs überhaupt teilnehmen zu können. In der Türkei gibt es in Istanbul, in Ankara und in Izmir ein Goethe-Institut, doch die Mehrheit derjenigen, die zu ihren Ehegatten nach Deutschland ziehen wollen, kommt aus dem Osten des Landes. 2.000 Kilometer müssten sie oft bis Istanbul reisen, bis zu drei Monaten könne es dauern, bis man den Kurs bestanden habe.
Dennoch nimmt Hahn-Raabe die Parole der Bundesregierung, dass durch die Sprachkurse den ZuwanderInnen geholfen werden soll, ernst. Ihr Ziel ist es, die Sprachkurse "zu den Menschen zu bringen". Mit Hilfe des Goethe-Instituts sollen Lehrer aus Schulen in der Osttürkei für die Sprachkurse ausgebildet werden, um dann vor Ort in Diyarbakir, Erzerum oder Van, also da, wo die größte Nachfrage besteht, Kurse anzubieten. Als Trägereinrichtung will die Leiterin dafür die kurdische Frauenorganisation Kamer gewinnen. Diese beschäftigt sich bisher hauptsächlich damit, Frauen und Mädchen zu helfen, die bedroht werden, weil sie "die Ehre der Familie verletzt hätten". Kamer kann sich aber auch gut vorstellen, Deutschkurse nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer anzubieten.
"Damit könnte sich Kamer eine Finanzquelle erschließen, und die Betroffenen könnten nahe an ihrem Wohnort die Kurse und die Prüfung machen." Claudia Hahn-Raabe hofft, dass die Sprachkurse dann wirklich eine sinnvolle Vorbereitung für einen Umzug nach Deutschland sein werden. Viele Frauen, die sich bei den Kursen kennen lernen, wollen, so hat sie beobachtet, auch in Deutschland weiter in Kontakt bleiben.
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