Sprachkenntnisse und Zuwanderung: Verhinderte Ehen
Das Zuwanderungsgesetz könnte bald vor dem Verfassungsgericht landen. Der Grund: Ehepartner, die nach Deutschland nachziehen wollen, müssen Sprachkenntnisse vorlegen.
BERLIN taz Es ist ein bisschen wie in der Sage von den zwei Königskindern. Sina Hätti, 21, und Teddy West, 26, lieben sich, seit vier Jahren sind sie ein Paar, inzwischen sogar mit Trauschein. Doch sie können nicht zueinanderfinden. Ursache dafür ist freilich weniger das Meer wie in der Sage, und auch nicht die rund 6.000 Kilometer, die zwischen Hättis Heimat Hamburg und Wests kleinem Dorf Kibuk in Westkenia liegen. Es trennt sie: die deutsche Bürokratie.
Die Situation für Einwanderer in Deutschland hat sich weiter verschlechtert. So ist das Arbeitslosigkeitsrisiko von Migranten doppelt so hoch wie in der restlichen Bevölkerung, heißt es im 7. Bericht über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer, den die Integrationsbeauftragte der Regierung, Maria Böhmer (CDU), am Mittwoch vorlegte. Dramatisch ist die Lage auf dem Ausbildungsmarkt. Die Vermittlungschancen ausländischer Jugendlicher sind weiter gesunken, der Anteil ausländischer Azubis in den Betrieben hat sich von 1994 bis 2006 auf rund 4 Prozent halbiert. 40 Prozent der ausländischen Jugendlichen bleiben ohne Berufsausbildung. "Ein alarmierender Befund", heißt es in dem Bericht. Und auch in der Schule sind die Probleme groß: Rund 18 Prozent der Ausländerkinder verlassen die Schule ohne Abschluss. In Deutschland leben 15 Millionen Einwanderer und deren Kinder, davon rund 7 Millionen ohne deutschen Pass.
Seit Ende August müssen ausländische Ehepartner, die zu ihren Frauen oder Männern nach Deutschland ziehen wollen, "einfache Deutschkenntnisse" nachweisen, wie es offiziell heißt - und das schon in ihrem Heimatland. Ohne Zertifikat kein Visum. So will es das neue Zuwanderungsgesetz.
Für Hätti und West bedeutet das, auf unabsehbare Zeit eine Fernbeziehung führen zu müssen. Die Soziologiestudentin kann es sich nicht leisten, ständig nach Kenia zu fliegen. "Die Situation ist unglaublich belastend", sagt Hätti. Für einen Sprachkurs müsste Teddy West in die 600 Kilometer entfernte Hauptstadt Nairobi ziehen und seinen Job aufgeben - unmöglich. Hätti hat bereits vor dem Bundestag protestiert. Reaktionen von Politikern? Fehlanzeige.
Die ursprüngliche Idee hinter der Gesetzesverschärfung war, die Zahl der "Importbräute" zu verringern. Frauen also, deren Ehen unter Zwang entstanden. Frauen, die in Deutschland von ihren Männern abhängig sind, weil sie kein Deutsch sprechen. Frauen, die als schlecht integrierbar gelten. Deswegen wurde des Mindestalter beim Ehegattennachzug auf 18 erhöht und der Sprachtest eingeführt. "Mit dem frühen Spracherwerb im Herkunftsland sorgen wir dafür, dass sich nachziehende Ehegatten von Anfang an besser bei uns zurechtfinden können", lobte die Integrationsbeauftragte Maria Böhmer (CDU) am Mittwoch bei der Vorstellung des aktuellen Ausländerberichts nochmals das Gesetz.
Die Probleme sparte sie aus. Menschen aus Staaten, mit denen es erleichterte Visa-Abkommen gibt, sind von der Regel ausgenommen: aus der EU, den USA oder Japan etwa. Die Türkei, deren Staatsangehörige die Deutschtests vorweisen müssen, hat das Gesetz deshalb von Anfang an als diskriminierend kritisiert, schließlich stammten im vergangenen Jahr etwa 10.000 der 40.000 nachziehenden Partner aus der Türkei.
Doch nicht nur bei deutsch-türkischen Paaren sorgt das neue Zuwanderungsgesetz für Unmut. Auch die Ehe von Oliver Kilter, 38, aus Essen und seiner kolumbianischen Frau Johana, 26, leidet darunter. "Ich verbringe mehr Zeit im Flugzeug als sonst wo", sagt Kilter. Anfang Oktober haben die beiden standesamtlich in Kolumbien geheiratet, nun würden sie gerne noch kirchlich in Deutschland heiraten, um dann hier zu leben. Doch auch hier verzögert der Sprachtest den Nachzug. Johana wohnt in Pereira im Nordwesten des Landes. Das nächste Goethe-Institut ist rund 350 Kilometer entfernt in der Hauptstadt Bogotá.
Juristen haben wegen Fällen wie diesen Bauchschmerzen mit dem Gesetz. "Für einige Familien werden unzumutbar hohe Hürden aufgebaut", sagt der Rechtswissenschaftler Thomas Groß von der Universität Gießen. Das Gesetz steht seiner Meinung nach mit dem vom Grundgesetz garantierten Schutz von Ehe und Familie im Konflikt.
Auch in der großen Koalition gibt es Bedenken. Der Innenausschuss-Vorsitzende des Bundestags, Sebastian Edathy (SPD), sagte bereits im Juli, als das Gesetz verabschiedet wurde: Es sei verfassungsrechtlich "nicht unproblematisch", wenn nur von Ehepartnern aus bestimmten Ländern Sprachkenntnisse verlangt würden. "Ich bin sehr gespannt darauf, wie diese Frage in Karlsruhe beantwortet wird", sagte Edathy damals - und stimmte dennoch für das Gesetz.
Vor dem Verfassungsgericht ist das Zuwanderungsgesetz zwar noch nicht gelandet. Doch die ersten Klagen stehen nun an. Rechtsanwalt Volker Ratzmann, der gleichzeitig Fraktionschef der Grünen in Berlin ist, reicht gleich für drei seiner Mandanten, deren Ehepartner in der Türkei leben, Klage ein. Es könnten Musterfälle werden. "Ich habe nichts gegen eine verpflichtende Teilnahme an einem Sprachkurs", sagt Ratzmann. "Aber die kann man im Inland machen - und besser." Zwangsverheiratungen könne man mit dem Gesetz ohnehin nicht verhindern: "Nur weil man Frauen zwingt, eine Prüfung zu bestehen, können sie sich danach nicht besser zur Wehr setzen."
Auf eine Entscheidung der Gerichte möchten viele Betroffene aber nicht warten. Oliver Kilter hat seiner kolumbianischen Frau Johana einen Sprachkurs der Deutschen Welle auf den iPod geladen in der Hoffnung, dass sie dadurch schnell genug Deutsch lernt, um den Test zu bestehen. Doch im ersten Versuch ist sie nun durchgefallen. "Ich hatte mir gewünscht, dass Johana bis Weihnachten in Deutschland ist", sagt er. Ein Wunsch, der unerfüllt bleibt.
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