Urlaubsversuch: Paradise lost
Die Karibikinsel Trinidad ist tropisch schön, unkonventionell mit ihrer Multikulti-Mischung, aber nicht unbedingt jedermanns Geschmack
Er sei ein Schwerenöter, behauptete S. Ich dachte, es ginge ihm schlecht, und schlug einen Urlaub vor. Beispielsweise auf Trinidad, meiner Lieblingsinsel in der Karibik. Tropisch schön mit Robinson-Stränden, unkonventionell mit ihrer Multikulti-Mischung aus Indern, Schwarzen, Arabern und Chinesen und das Leben als Dauerparty. Das ist natürlich naiv schön gemalt wie jede Postkartenidylle. Aber ich wollte ihm mein ganz persönliches Paradies zeigen.
Regen prasselt auf die Erde. 100 Prozent Luftfeuchtigkeit. Drückende Schwüle. Das Atmen fällt schwer. Das dünne Hemd klebt auf der Haut. Selbst der Gecko an der Wand der Strandbar verzieht sich unter die Dachbalken. S. wischt sich stöhnend den Schweiß von der Stirn. Er atmet schwer, spricht kaum, schaut grimmig. Das einheimische Bier ist ihm zu dünn und zu warm. So stelle ich mir einen Schwerenöter vor. Wir sind in Trinidads Hauptstadt Port of Spain. Soziale Gegensätze, Drogenumschlagplatz und Kriminalität kleben am Image der Hafenstadt. S. findet sie obendrein "extrem schäbig", wie er nach langem Schweigen sagt. Er vermisse Kultur. Kein Haus, kein Bauwerk, das ihn überzeuge.
Ich fasle von der Kreativität, von der Lebendigkeit, vom Karneval. Die Vorbereitung dafür läuft gerade auf Hochtouren. In den Lagerschuppen Port of Spains proben Steelbands. In den Mas Camps, wo die Kostüme, Themen und Motive für den Karneval entworfen werden, wird hektisch gearbeitet. S. findet den Tineff kitschig. Zu Hause höre er ja auch nicht Blasmusik, so sein kurz angebundener Kommentar zur Steelband, die wir besuchen. Dann schweigt er wieder.
Zum Glück begegnen wir einem Deutschen in einer Bar. S. spricht mit ihm. Der Deutsche bezeichnet Trinidad als "schizophrenes Paradies". Er erzählt von Koks, das hier billig ist, von den Männern, die zig Freundinnen haben, und den unehelichen Kindern, die bei den Frauen bleiben, von der Gewalt in der Familie. S. analysiert irgendetwas von einer polymorph-perversen, kindlichen Entwicklungsstufe und wirft mir abschätzige Blicke zu. Seit zwei Tagen fasst er mich nicht einmal mehr an!
Eine Paddeltour mit Roger, einem einheimischen Tour Guide, in die Nariva-Sümpfe inklusive Dinner in einer Hütte vor Ort ist ein Versuch, trotz alledem ein bisschen Spaß zu haben. S. sitzt hinter mir im Boot und ist total entnervt, weil wir keinen gemeinsamen Paddelrhythmus finden. Im Dschungel schreit Furcht erregend ein Brüllaffe. Ich fürchte nur, S. könnte mich mit dem Paddel erschlagen. Unser Führer Roger - "Ey man" - ist ein cooler Reisebegleiter, von der natürlichen und kulturellen Vielfalt des eigenen Landes fasziniert. Er führt uns zu einem armseligen Gotteshaus in den Sümpfen, wo die Bewohner ohne Strom und fließend Wasser leben. Es trägt Kreuz, Halbmond und ein Hindusymbol. Es wird von allen drei Religionen benutzt. S. findet die Armut auf der Insel der Öldollars beschämend. Er schwärmt von den Moscheen Istanbuls. Wir fahren zum Dinner in die Hütte. Das Wasser zum Kochen schöpft die Hausherrin aus der Regentonne, in der nicht nur Mücken schwimmen. Mich ekelt das Essen. S. verlangt Nachschlag. Behauptet, dass es ihm das erste Mal richtig gut schmecke, nennt mich geschmäcklerisch.
Allerletzter Versuch: Tobago. Die kleine Insel ist Trinidads Hinterland: dörflich, umrahmt von Traumstränden wie Englishmen Bay oder Pigeon Point. Palmen bis ans Meer und eine Vollmondnacht - wir schauen schweigend in den Mond. Open-Air-Disko in Buccoo. Das Fischerdorf hat es dank dem vorgelagerten Korallenriff zu bescheidener touristischer Bedeutung gebracht. Das Riff ist inzwischen wegen Übernutzung teilweise gesperrt. S. lächelt milde. Sunday School nennen die Leute auf Tobago das sonntägliche Dorffest. Ausgehfein treffen sich hier Männer im besten T-Shirt, Frauen in hautengen Trikots und einige Urlauber. Bis in die frühen Morgenstunden hämmern Funk, Calypso, Soul aus den Boxen. Die Stimmung ist aufgeladen, die Luft alkohol- und marihuanageschwängert. Fleischmarkt und Fleischbeschau. Schwarze Männer fordern mit Vorliebe weiße Touristinnen - mit oder ohne weiße männliche Begleitung - auf. Sie versprechen leichte Beute. S. geht aufs Klo. Ich tanze. S. geht ohne Kommentar alleine ins Hotel zurück. Dort hat er sich auf die Couch gebettet.
Paradise lost. Wir reisen ab. Wir haben uns danach noch einmal zum Austausch der Fotos getroffen. Seine neue Freundin war auch dabei. Ein Schwerenöter, ein Schürzenjäger eben, tröstete ich mich, nachdem ich den Begriff Schwerenöter endlich nachgeschlagen hatte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!