: Kleine Geschenke
Die große Koalition erwägt kleinere Steuersenkungen, um am Ende die große Steuererhöhung zu rechtfertigen
VON HANNES KOCH
Die große Koalition will ihr Paket aus Sparen und Steuererhöhungen mit ein paar Bonbons garnieren. Als die Spitzenkräfte von Union und SPD gestern Mittag zu ihrer voraussichtlich vorletzten Verhandlungsrunde ins Konrad-Adenauer-Haus der CDU in Berlin schritten, enthielten ihre Papiere einige Nettigkeiten. Diese allerdings waren noch „strittig“, wie es im Verhandler- Jargon heißt – ob sie heute beim letzten Termin Eingang in den Koalitionsvertrag finden, hängt vom Gesamtpaket ab.
Im Abschlusspapier der Arbeitsgruppe Steuern aus Union und SPD steht der Vorschlag, den Grundfreibetrag für alle Steuerpflichtigen anzuheben. Heute beträgt er 7.664 Euro und könnte auf 8.000 Euro oder mehr steigen. Für diesen Jahresverdienst muss niemand Steuern zahlen. Die Erhöhung begünstigt vor allem Geringverdiener – und würde einen gewissen Ausgleich schaffen für die Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen, die die große Koalition vor allem den Beschäftigten und Verbrauchern zumuten will. Nachteil der Steuersenkung: Mit ihr würden den Bürgern rund 1,3 Milliarden Euro zurückgegeben – wenig im Vergleich zu den 16, 24 oder 32 Milliarden Euro, die man ihnen durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf der anderen Seite abnimmt.
Ein ähnliches Zeichen des Verständnisses für die Verbraucher könnten die Koalitionäre bei der Mehrwertsteuer setzen – wie Roland Koch, Chefverhandler der Union in Sachen Finanzen, bereits einmal ins Gespräch brachte. Dort steht zur Entscheidung, den geringeren Satz, der unter anderem für Lebensmittel gilt, von 7 auf 5 Prozent zu reduzieren. Nahrungsmittel werden dadurch billiger – theoretisch. In der Praxis erscheint das allerdings fraglich: Vermutlich wird Aldi nicht die Preise senken, weil der Steuersatz zurückgeht.
Gestern zeichnete sich ab, dass Union und SPD ihr gemeinsames Programm für die kommenden vier Jahre heute noch verkünden – inklusive der saftigen Erhöhung der Mehrwertsteuer. Dass sie kommt, ist nicht mehr strittig, die Modalitäten allerdings schon. 2 oder 3 Prozent, bereits 2006 oder erst 2007? Ein Prozent nimmt den Konsumenten und bringt dem Staat rund acht Milliarden Euro. Auch der reduzierte Satz der Mehrwertsteuer von 7 Prozent dürfte für viele Produkte der Vergangenheit angehören. „Wenn wir das bei Schnittblumen und Hundefutter jetzt nicht schaffen, wann dann?“, fragte man sich bei der SPD.
Während der künftige Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) mit den zusätzlichen Milliarden vor allem das Defizit in den öffentlichen Haushalten decken wollte, hat Kanzlerin in spe, Angela Merkel (CDU), darauf gedrängt, wenigstens mit einem Teilbetrag des Sozialabgaben zu reduzieren. Das soll die Kosten der Arbeit drücken und Firmen animieren, Beschäftigte einzustellen. So wird es nun vermutlich auch kommen: Um 1 bis 2 Prozent könnte der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung sinken, den Beschäftigte und Unternehmen je zur Hälfte zahlen. Ein Prozent bedeutet eine Entlastung um rechnerisch sechs Milliarden Euro.
Ungeklärt ist, wie stark die soziale Ausgewogenheit im Programm der Koalition betont werden soll. Hier liegen die größten Streitpunkte. Die SPD will, um das Paket besser verkaufen zu können, einen Zuschlag auf die Steuer für hohe Einkommen, die so genannte Reichensteuer, durchsetzen. Die sei allerdings nur „schwer verkraftbar“, weil besonders der Mittelstand belastet würde, heißt es bei der Union. Außerdem auf der sozialdemokratischen Wunschliste: eine höhere Erbschaftssteuer für Immobilien und große Vermögen.
Fest steht wohl, dass die Mehreinnahmen bei der Steuer den größten Teil der Deckungslücke im Bundeshaushalt füllen sollen. Denn auch vieles, was als „Streichen von Subventionen“ daherkommt, ist in Wirklichkeit eine Steuererhöhung – etwa die Reduzierung des Sparerfreibetrages und der Pendlerpauschale (siehe Spalte).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen