Skepsis und Hass im Westen: Kenia kommt nicht zur Ruhe
Im Westen Kenias, wo die ethnischen Säuberungen von Oppositionsanhängern gegen Kibaki-Unterstützer am heftigsten waren, herrschen weiter Angst vor neuer Gewalt.
BURNT FOREST taz Es sind sicher 200 junge Männer, bewaffnet mit Messern, mit Pfeil und Bogen, mit Dolchen und Knüppeln. Sie sind wütend, und sie wollen zur nahen katholischen Kirche ziehen, in der rund 1.000 Flüchtlinge Schutz gefunden haben. "Die Kikuyus in der Kirche haben unseren Mais gestohlen. Wir werden ihn zurückholen!", ruft einer. Eine Spezialeinheit der Polizei versucht die Meute zu beruhigen.
Die Polizei in Kenia ist am Mittwoch in mehreren Städten gewaltsam gegen Demonstranten der Opposition vorgegangen. Trotz eines Verbots hatte Oppositionsführer Raila Odinga zu dreitägigen Kundgebungen an 42 Orten aufgerufen.
Polizeisprecher Eric Kiraithe erklärte, die Beteiligung an den Demonstrationen sei landesweit niedrig - was Beobachter dem starken Regen zuschreiben.
Aus Angst vor Gewalt wurden in Nairobi Büros und Geschäfte geschlossen. Tausende Angestellte verließen in Autos und zu Fuß die Innenstadt, nachdem die Polizei Tränengas gegen einige Demonstranten eingesetzt hatte. In den Elendssiedlungen Kibera und Mathare versammelten sich hunderte junge Männer, die von der Polizei vertrieben wurden. Der oppositionelle Abgeordnete Fred Gumo erklärte, die Polizisten hätten drei Demonstranten in Kibera mit Schüssen verletzt.
Auch in der Küstenstadt Mombasa kamen mehrere hundert Menschen zusammen, die Polizei setzte Tränengas und Schlagstöcke ein.
Aus Kisumu im Westen Kenias wurden rund 1.000 Demonstranten gemeldet, die einen Sarg mit dem Namen von Präsident Kibaki durch die Straßen trugen. "Uns werden unsere Rechte verweigert", sagte ein Kundgebungsteilnehmer. "Wir wollen der Welt nur unsere Missstände zeigen."
Die Jugendlichen vom Volk der Kalenjin haben ihre Kikuyu-Nachbarn verjagt und ihre Häuser angezündet - und jetzt werfen sie ihnen Diebstahl vor. "Einige der Flüchtlinge kamen unter Polizeischutz zu den Trümmern ihrer Häuser zurück, um die nicht verbrannten Sachen zu holen. Einzelne haben die Gelegenheit benutzt, um von uns Mais zu klauen", erklärt der 23-jährige Ben Molit. "Wir konnten nichts tun, weil sie Polizeischutz hatten. Aber jetzt holen wir unser Eigentum zurück."
Burnt Forest ist Kriegsgebiet. Der kleine Ort im Westen Kenias ist seit den umstrittenen Präsidentenwahlen vom 27. Dezember Schauplatz grausamer Gewalt gewesen. Menschen wurden in Stücke gehackt oder lebendig verbrannt. Bauernhöfe gingen in Flammen auf. Burnt Forest liegt in der Provinz Rift Valley in einer Region, wo die Mehrheit der Bevölkerung zum Volk der Kalenjin gehört, das bei den Wahlen mehrheitlich für Oppositionsführer Raila Odinga stimmte. Eine Minderheit aber gehört zur größten kenianischen Ethnie der Kikuyu, die den Amtsinhaber Mwai Kibaki bevorzugte. Nachdem der am 30. Dezember unter dubiösen Umstanden zum Wahlsieger erklärt wurde, ging die Opposition landesweit auf die Straße, und in einigen Regionen ging sie auf Jagd gegen die Kikuyu, eben auch in Burnt Forest. In ganz Kenia sind knapp 700 Menschen getötet und eine Viertelmillion vertrieben worden.
Ben Molit hilft seinem Vater auf dem Bauernhof. Er studiert für das Lehramt, aber jetzt sind die Universitäten geschlossen. "Ich habe nichts gegen Kikuyu", sagt er. "Aber sie sollen ihre Finger von unseren Sachen lassen." An der Welle der Gewalt habe er sich nicht beteiligt. Aber er kann sie verstehen. Seine Augen suchen Kontakt mit denen seiner Freunde um ihn herum, während er redet. "Ich kann mir vorstellen, wie wütend die Nachricht von Kibakis Sieg die Menschen machte. Die Kikuyus gingen schließlich provozierend tanzen auf der Straße. Wir von der Opposition wussten aber, dass unser Mann Raila Odinga gewonnen hatte."
Nicht nur Kikuyus wurden angegriffen. Auch Kalenjins, die Kibaki gewählt hatten, verloren ihre Häuser und wurden verprügelt. Die Angreifer wussten ganz genau, wer Kibaki und wer Odinga gewählt hatte. Und auch Anhänger der Opposition starben bei Racheangriffen. Während Ben Molit seine Gesichte erzählt, wandert eine kleine Gruppe Kikuyu mit ihrem Hausrat die andere Straßenseite entlang. Sie laufen den Hügel herab zur katholischen Kirche. Die jungen Männer rufen ihnen nach: "Geht nach Othaya!" - das Heimatdorf von Mwai Kibaki.
Der Kommandant der Polizei, der inzwischen nach dem angeblich gestohlenen Mais gesucht hat, kommt zurück und sagt: "Wir haben jemanden verhaftet und euren Mais sichergestellt." Die Jugendlichen jubeln. Dann sagt einer: "Wir trauen euch nicht. Wir wollen den Mais sehen!" Der Kommandant verspricht es. Es gibt viele Gerüchte, dass Kenias Polizei ebenso gespalten ist wie die Bevölkerung. Manche sollen bei der Plünderung von Kikuyu-Häusern mitgeholfen haben, andere haben Kikuyus geschützt und bei deren Rache weggeschaut. Inzwischen ist im Westen Kenias überall Militär zu sehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!