NGOs protestieren: Deutschland für "gute" Streubomben
Bei einer Staatenkonferenz in Neuseeland will die Bundesregierung ein wirksames Streubombenverbot verhindern - und wird von London und Paris dabei unterstützt.
GENF taz Die Bundesregierung versucht, das von über zwei Dritteln der 192 UNO-Staaten angestrebte vollständige Verbot von Streubomben zu verhindern. Eingangs einer fünftägigen Streubombenkonferenz im neuseeländischen Wellington forderte die deutsche Delegation am Montag, den dort vorgelegten Vertragsentwurf für ein vollständiges Verbot durch fünf "technische" Ausnahmen und zwei politiche Relativierungen aufzuweichen. Frankreich, Großbritannien, die Schweiz und fünf weitere Ländern unterstützen diese Haltung, was auf scharfe Kritik bei Handicap International und anderen der 200 NGOs aus 70 Ländern stieß, die sich in der "Internationalen Kampagne gegen Streubomben" für ein Abkommen über das vollständige Verbot dieser Waffen bis spätestens Ende 2008 engagieren.
Das lückenlose Verbot von Einsatz, Besitz und Produktion aller Streubombentypen ist auch das Ziel des Anfang 2007 von Norwegen initiierten "Oslo-Prozesses", der nach Konferenzen in Peru, Wien und jetzt Wellington im kommenden Mai in Dublin mit einem Abkommen besiegelt werden soll. 129 Staaten haben sich da für ein vollständiges Verbot ausgesprochen. Die Bundesregierung will jedoch fünf Streubomben-Modelle grundsätzlich von einem Verbot ausnehmen. Zum einen Modelle, von denen maximal ein Prozent nach dem Abwurf zunächst nicht explodieren. Erfüllt wird diese geringe Blindgängerquote nach Darstellung des Bundesverteidigungsministeriums von dem bei der Bundeswehr in großer Menge vorhandenen Modell DM 1385. Es ist identisch mit dem Modell M85, das die israelischen Streitkräfte im Sommer 2006 im Libanonkrieg einsetzten. Nach einer Ende 2007 veröffentlichten Untersuchung norwegischer Militärexperten explodierten im Libanon allerdings über zehn Prozent der liegen gebliebenen M85 erst nach dem Krieg und forderten seitdem hunderte Opfer unter der Zivilbevölkerung. Eine Fehlerquote von über zehn Prozent konstatieren die norwegischen Militärexperten auch für Streubomben mit Selbstzerstörungsmechanismen, die ebenfalls nicht verboten werden sollen. Weiters verlangt die Bundesregierung Ausnahmen für Streubomben, die vor dem Aufschlag nicht mehr als zehn eigenständig explodierende Submunitionskörper verstreuen, und solche, die von tief fliegenden Kampfhubschraubern mit Raketen auf Ziele in Sichtnähe abgeschossen werden. Ausgenommen sollen fünftens auch Streubomben mit Hitzesensoren sein, die Fahrzeuge identifizieren können.
Darüberhinaus fordert die Bundesregierung, daß ein Abkommen erst nach einer längeren Übergangsphase in Kraft tritt, damit Staaten ihre Bestände durch andere Waffen ersetzen können.
Der in Wellington vorgelegte Vertragsentwurf verbietet künftigen Unterzeichnerstaaten jegliche Unterstützung von Nichtunterzeichnern beim Einsatz von Streubomben. Die Bundesregierung fordert die Aufweichung dieser Bestimmung, weil sie darin eine Gefahr für die "Interoperationalität" und Kooperationsfähigkeit verbündeter Streitkräfte (zum Beispiel in der NATO) sieht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trump erneut gewählt
Why though?
Pro und Contra zum Ampel-Streit
Sollen wir jetzt auch wählen?
Harris-Niederlage bei den US-Wahlen
Die Lady muss warten
US-Präsidentschaftswahlen
Die neue Epoche
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Protest in Unterwäsche im Iran
Die laute Haut