Verhüllungsverbot aufgehoben: Kopftuchstreit an türkischen Unis
Keine Einigkeit beim neuen Kopftuch-Gesetz: In Istanbul und Ankara halten die Unis am Verbot fest, Provinzhochschulen lassen das Tuch dagegen zu.
ISTANBUL taz Seit Dienstag herrscht Chaos an türkischen Universitäten. An den Eingängen der meisten Lehranstalten wird heftig diskutiert, ob Kopftuch tragende Studentinnen nun passieren dürfen oder nicht. Während an den großen Unis in Istanbul und Ankara die Wachleute nach wie vor darauf bestehen, dass das Kopftuch abgenommen werden muss, konnten an Hochschulen in der Provinz erstmals Kopftuchträgerinnen passieren.
Vorausgegangen war am letzten Freitag, als die ganze Nation auf den türkischen Einmarsch im Nordirak starrte, die Unterschrift von Präsident Abdullah Gül unter die umstrittene Verfassungsänderung zur Kopftuchfreiheit. Damit ist die Änderung erst mal ein Kraft. Der Vorsitzende des Hohen Hochschulrates YÖK, Yusuf Ziya Özcan, schrieb noch am Sonntag an alle Universitäten, dass keine weiteren Regelungen mehr notwendig seien und jede Studentin so kommen könne, wie sie wolle.
Das sehen jedoch die meisten Uni-Rektoren anders. Erst mal, so ihr Argument, müsse die noch ausstehende Änderung des YÖK-Gesetzes erfolgen, in dem dann geklärt werden muss, wie ein Kopftuch getragen werden darf - also nur traditionell unterm Kinn geknotet oder in der islamistischen Form um den Hals geschlungen. Und zudem wird am Mittwoch von der oppositionellen kemalistischen CHP das Verfassungsgericht angerufen, damit die letzte Woche von der Parlamentsmehrheit beschlossenen Verfassungsänderung überprüft werden kann. Laut CHP-Chef Deniz Baykal verstößt sie gegen das Laizismusgebot der türkischen Verfassung. Die Aufhebung des Kopftuchverbots an den Unis ist auch deshalb so umkämpft, weil der säkulare Teil der Gesellschaft damit einen Dammbruch in Richtung Re-Islamisierung befürchtet.
Obwohl Gül seit seiner Wahl im August zielstrebig im YÖK wie an den höchsten Gerichten überzeugte Kemalisten gegen Anhänger der regierenden AKP austauschte, dürfte die Mehrheit des Verfassungsgerichts noch gegen eine Freigabe des Kopftuchs sein. Wahrscheinlich wird der Kopftuchstreit, der die Türkei derzeit noch mehr aufwühlt als die militärischen Auseinandersetzungen im Nordirak, bald in einem Patt zwischen Legislative und Judikative enden.
Betroffene Studentinnen sind wütend über das Hin und Her, an einigen Uni-Eingängen gab es schon Handgreiflichkeiten. Die meisten Studentinnen glauben aber, dass die Zeit für sie arbeitet und sie bald problemlos mit Kopftuch passieren dürfen.
JÜRGEN GOTTSCHLICH
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