Abgeordnete fordern Wahlrecht für Kinder: Sind so kleine Stimmchen
Im Bundestag wird mal wieder der Hit "Kinder an die Macht" intoniert - 46 Abgeordnete fordern ein Wahlrecht für Kinder. Aber Vorsicht! Denn die Kleinsten sind konservativer, als man glaubt.
Wenn der Sommer ordentlich verregnet ist, füllen sich die Löcher von ganz allein, nämlich mit Wasser. Doch darüber hinaus gewährt diese Jahreszeit ein gutes Klima für (angebliche) "Gedöns"-Themen, Kinder zum Beispiel. Schön wäre es, wenn die Gelegenheit genutzt würde, um intensiv über Kinderarmut zu sprechen, doch stattdessen muss man sich nun den Kopf darüber zerbrechen, ob ein Kinderwahlrecht von Geburt an sinnvoll ist oder nicht.
Schuld daran ist ein parteiübergreifender Vorschlag aus dem Bundestag, ein neuer Vorstoß von 46 Abgeordneten - darunter auch die frühere Familienministerin Renate Schmidt und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, beide SPD. Rund vierzehn Millionen Bundesbürger seien laut Antrag "allein aufgrund ihres Alters" vom Wahlrecht ausgeschlossen, womit also fast jeder Fünfte (17 Prozent!) nicht wählen dürfte.
Ein ähnlicher Antrag ist zuletzt im Juni 2005 gescheitert. Die Gegner führten seinerzeit Bedenken ins Feld: Würden im Falle eines solchen Wahlrechts die Eltern nicht im Namen ihrer Kinder so stimmen, wie sie selbst es für richtig halten?
Und richtig: Nach den Vorstellungen der Abgeordneten sollen zunächst die Eltern auch für ihre Kinder wählen dürfen, erst "später" könnten sich die Kinder dann in eine Wahlliste eintragen lassen, und zwar wenn sie sich selbst dazu für reif halten.
Was also bedeuten würde, dass Säuglinge und Kleinkinder, vornehmlich mit Essen und Schlafen beschäftigt, zunächst ihr Augenmerk weiterhin auf ihren Schnuller anstatt auf "Maybritt Illner" oder die "Tagesthemen" richten könnten - während ihre hegenden Eltern die mitunter recht kräftigen kleinen Stimmchen denjenigen Politikern zuschanzen könnten, die das meiste Kindergeld überweisen. Entsprechend dem politischen Kalkül vornehmlich (wert-)konservativer Familienrechtler, die mithilfe kitschiger "Kinder an die Macht"-Rhetorik versuchen, ihre Interessengruppe nach vorn zu bringen. Und die es zugleich weniger angenehm finden, wenn, wie schon jetzt in einigen Bundesländern, 16-Jährige auf kommunaler Ebene wählen dürfen: Die hängen dann ja womöglich bekifft an Tankstellen rum und wählen die Linkspartei!
Nein, das ist dann doch eine andere Richtung, und genau dort sitzen die eher radikaleren, auf das Prinzipielle pochenden Kinderrechtler. So wie "Krätzä", eine Gruppe von 20 jungen Menschen aus Berlin, die schon seit Jahren ein Wahlrecht ohne Altersgrenze fordert: "Oft heißt, Kinder seien zu unreif zum Wählen. Dabei geht es beim Wählen überhaupt nicht um Reife oder Kompetenz. Es werden einfach Stimmen gezählt. Und dabei zählt die Stimme des Politologieprofessors genauso viel wie die des betrunkenen, politisch uninteressierten Fußballfans."
So gesehen, ja. Und so gesehen hat auch Kinderarbeit einen emanzipativen Aspekt, sicher. Doch anders gesehen: Birgt ein Recht, in diesem Fall das Wahlrecht, wenn schon nicht de iure, dann doch moralisch auch Pflichten in sich? Und sind Kinder wirklich schon in der Lage Verantwortung zu übernehmen? Kinder füttern zum Beispiel Hamster so lange mit Radiergummis, bis sie tot im Käfig liegen. Hirnforscher geben zu bedenken, dass bei Kinder die Frontallappen, zuständig für die soziale Kompetenz, noch nicht ordentlich zusammengewachsen sind. Und außerdem sind Kinder meist konservativer als der Papst: Sie wollen jeden Tag Nudeln mit roter Soße essen, immer die gleichen Eltern haben, und sind auch ansonsten nicht gerade offen für lebensweltliche Experimente.
Bevor nun also die zukünftigen Bundestagssitzungen in die benachbarte Reichstags-Luxus-Kita verlagert werden, sollten vielleicht die sogenannten Erwachsenen dafür sorgen, dass der Karren nicht an die Wand gefahren wird. Und ihr Kinder, gebt fein Acht und geht schön spielen. Und freut euch, dass ihr überhaupt eine Kindheit habt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Einigung zwischen Union und SPD
Vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will