piwik no script img

Die Schriftstellerin Brigitte ReimannIkone der DDR und der Selbsthinterfragung

Sie lebte aus dem Vollen und schrieb wie besessen: Heute wäre Brigitte Reimann 75 Jahre alt geworden. Nun sind die Briefe der "Franziska Linkerhand"-Autorin an ihre Eltern erschienen.

Lebte sie noch, könnte Brigitte Reimann heute ihren 75. Geburtstag feiern. Doch gerade der frühe Tod macht sie zur Ikone. Bild: dpa

Nur noch vier Jahre, dann ist sie schon genauso lange tot, wie sie gelebt hat. 1933 wurde sie geboren, 1973 starb sie im Alter von 39 Jahren an Krebs: Brigitte Reimann, die in der DDR jung zu einer Art Literaturstar und später ein bisschen in Vergessenheit geriet, die mit ihrem Schreiben zum Aufbau des Sozialismus beitragen wollte und zunehmend an der Wirklichkeit im Arbeiter-und-Bauern-Staat verzweifelte.

Lebte sie noch, könnte sie heute ihren 75. Geburtstag feiern. Doch wie es so ist mit den Guten, die jung sterben: Gerade der frühe Tod macht sie zur Ikone. Und sie hatte auch ganz offensichtlich das Zeug dazu: als Person, die offen für ihre Überzeugungen eintrat; die als 25-Jährige von der Stasi angeworben werden sollte und diese Annäherungsversuche mutig öffentlich machte, voller Empörung, dass der geliebte Staat sich solcher Methoden bediente. Als eine von nur wenigen Frauen, die sich in der männlich dominierten Autorenszene der DDR einen Namen machen konnten. Und als Frau, die viele Männer liebte.

Sie lebte aus dem Vollen und schrieb wie eine Besessene. Erzählungen, Romane, Hörspiele, Drehbücher und daneben fast noch mehr, das nicht zur Veröffentlichung bestimmt war. Diesen privaten Zeugnissen, Briefen und Tagebüchern verdankt sich zu einem großen Teil ihr später Nachruhm. Sie spiegeln ein kurzes, intensiv geführtes Leben.

"Sehnsucht nach Liebe"

Brigitte Reimann heiratete viermal, das erste Mal mit 20 Jahren. Diese frühe Ehe war konstant gefährdet durch ihre zahlreichen Liebeleien und brach auseinander, nachdem die junge Autorin mit ihrer Erzählung "Die Frau am Pranger" quasi über Nacht prominent wurde. Die zweite Ehe mit dem Schriftsteller Siegfried Pitschmann hielt ebenfalls nur fünf Jahre und ist vor allem verbunden mit der Hoyerswerdaer Zeit der Autorin. Das Ehepaar zog 1960 in die im Aufbau begriffene Plattenbaustadt, um - dem "Bitterfelder Weg" folgend, mit dem sozialistische Autoren die "Entfremdung zwischen Künstler und Volk" aufheben wollten - unter anderem in einer Brigade mitzuarbeiten und einen Zirkel schreibender Arbeiter zu leiten. Reimann und Pitschmann schrieben in dieser Zeit zwei gemeinsame Hörspiele mit produktionsnaher Thematik für den Rundfunk, und Reimann veröffentlichte 1961 den Jugendroman "Ankunft im Alltag", der einer ganzen Literaturbewegung, der sogenannten Ankunftsliteratur den Namen geben sollte.

Mit Pitschmann war Schluss, nachdem Reimann längere Zeit eine ernster werdende Affäre zu ihrem dann dritten Mann gepflegt hatte, einem von der Universität relegierten Intellektuellen, der sich nun als Raupenfahrer in der Produktion bewährte und Reimanns Schreibzirkel besucht hatte. Aber auch diese neue Ehe war nicht von langer Dauer. 1968 wurde bei Brigitte Reimann Brustkrebs diagnostiziert. Kurz nach ihrer Operation zog sie auf Einladung des dortigen Schriftstellerverbands ins mecklenburgische Neubrandenburg. Geplant war, dass der Ehemann nachzog; doch bevor es dazu kam, verließ er sie. Zum dritten Mal geschieden und geplagt von körperlichen Beschwerden, warf die Schriftstellerin sich auf die Gartenarbeit und die Arbeit an ihrem Opus magnum, ihrem "Franziska-Roman" über eine junge Architektin, die voller Ideale ihre erste Stelle antritt, doch angesichts der tristen Realität des sozialistischen Städtebaus gründlich desillusioniert wird.

"Mein erstes und einziges anständiges Buch", schreibt Reimann im März 1972 an eine Jugendfreundin, "das muss also fertig werden, um jeden Preis." Doch sie wird das letzte Kapitel nicht mehr beenden können. Unter dem Titel "Franziska Linkerhand" erscheint der unvollendete Roman 1974, im Jahr nach ihrem Tod. In diesem Buch, formal ein 600 Seiten langer Brief an einen Geliebten, den Franziska Ben nennt, verarbeitet Brigitte Reimann auch ihre dritte Ehe. "Ich war mit Benjamin Trojanowicz verheiratet", schreibt sie im September 1969 in ihr Tagebuch. "Ich habe eine literarische Figur geliebt. (Übrigens hat mir Jon das schon vor einem Jahr gesagt, nur damals wollte ich es nicht glauben, das heißt: Er sollte meinem Bild von ihm gleichen.)"

Was Wunder, wenn sich bei dieser engen Verzahnung von Leben und Literatur das Leben allzu leicht in den Vordergrund schiebt. Das hat auch sein Gutes, denn ein interessantes, gut dokumentiertes Autorenleben kann die Rezeption durch die Nachgeborenen erheblich befördern. Im Westen Deutschlands nämlich war Brigitte Reimann lange Zeit nahezu unbekannt. "Franziska Linkerhand" erschien 1974 zwar in Ost wie West, auch in den Achtzigerjahren gab es kleinere Veröffentlichungen. Doch die richtig große, gesamtdeutsche Reimann-Rezeption setzte erst in den Neunzigern ein, als nacheinander mehrere Bände mit Briefen, die Tagebücher und erstmals die ungekürzte Version von "Franziska Linkerhand" erschienen. Dabei zog die Publikation der Tagebücher am meisten mediale Aufmerksamkeit auf sich, sie brachten es bis zu einem Auftritt im "Literarischen Quartett". Marcel Reich-Ranicki schwärmte, hier werde "die Sehnsucht nach Liebe mit einer solchen Intensität gezeigt", wie sie von deutsch schreibenden Frauen sonst nicht zu haben sei.

Ob die Tagebücher zu Lebzeiten der Verfasserin in der vorliegenden umfassenden Form publiziert worden wären, ist allerdings die Frage. Andererseits hat Reimann offenbar auch nicht verfügt, dass ihre privaten Aufzeichnungen nicht veröffentlicht werden sollten. Vielleicht rechnete sie nicht einmal mit dieser Möglichkeit. Ebenso denkbar ist aber auch, dass sie, eine große Bewunderin der Tagebücher Thomas Manns, bei allem, was sie zu Papier brachte, eine mögliche Veröffentlichung bewusst mitdachte.

Lücke in der Rezeption

Neben dem Tagebuch schrieb Brigitte Reimann unablässig Briefe, wie die zahlreichen bereits erschienenen Bände von Briefen an Freunde und Kollegen belegen (u. a. korrespondierte sie intensiv mit Christa Wolf und mit Hermann Henselmann, dem Stararchitekten der DDR). Bisher fehlte allerdings der familiäre Teil ihrer Korrespondenz. Immerhin hatte Reimann drei Geschwister, an denen sie hing, und pflegte ein herzliches Verhältnis zu ihren Eltern. Auch diese Lücke in der öffentlichen Rezeption des Lebens der Brigitte Reimann kann vielleicht als geschlossen gelten.

Die Briefe an die Eltern liegen nun mit dem Band "Jede Sorte von Glück" (Aufbau Verlag, Berlin 2008, 458 S., 24,95 Euro) bereits vor. Und diese Dokumente sind ein hochinteressantes zeitgeschichtliches Zeugnis vom DDR-Alltag, zugleich ein fesselnder, sehr privater Entwicklungsroman.

Die emotionalen Höhen und Tiefen des bewegten Reimannschen Liebeslebens kommen in den Elternbriefen naturgemäß gedämpfter daher als in den Tagebüchern. Mit politischen Äußerungen hält die Autorin sich zurück, und mit ästhetischen Erwägungen und schriftstellerischen Selbstzweifeln, an denen die Tagebücher reich sind, verschont sie die Eltern fast ganz. Dagegen spielen konkrete Alltagssorgen eine größere Rolle. Manches Mal muss "Finanzminister" Vater Reimann der Tochter mit Geld aushelfen, da Honorarzahlungen oder Stipendien auf sich warten lassen. Kleider- und Schneiderfragen zuhauf wollen mit der Mutter besprochen werden. Die Schwierigkeit, im Hoyerswerda des Jahres 1960 an einen Kühlschrank zu kommen, wird ausführlich thematisiert, und der sehnliche Wunsch der jungen Autorin nach einem Auto durchzieht einen beträchtlichen Teil des Briefwechsels.

Die inszenierte Tochter

Auch wenn man die Lebensgeschichte, zu der die Briefsammlung sich mit der Zeit formt, schon kennt, folgt man ihr gebannt.

Das töchterliche Bemühen, die Eltern stets davon überzeugen zu wollen, alles sei gar nicht so schlimm - nicht die gescheiterten Ehen, die Depressionen nicht und auch nicht der Krebs -, ist sehr anrührend und steht in eigentümlichem Spannungsverhältnis zu dem dahinterstehenden Geschehen. Die Brigitte Reimann, die sich in diesen Elternbriefen darstellt, ist eine andere als die mal himmelhoch jauchzende, mal verzweifelte, mit Literatur, Politik, der Liebe und dem Schicksal hadernde Person der Tagebücher; in den Briefen inszeniert sie sich in erster Linie als tapfere, liebevolle Tochter. Und man staunt mitunter über die Offenheit, mit der diese Frau an ihre Eltern über Gefühle schreibt, als sei dies das Normalste von der Welt.

Nachdem sie in Neubrandenburg ihren vierten Mann kennengelernt hat, einen Arzt, schreibt Reimann einen langen, überschwänglichen Brief, in dem sie ihn vorstellt: "Er ist der zärtlichste Mann, den man sich vorstellen kann; … und er bestaunt wie ein kleiner Junge meine Lippenstifte und das Band, mit dem ich abends die Haare zusammenbinde - ach, es ist einfach zum Heulen schön, und wenn mir so zumute ist, dann darf ich auch heulen, und er hält mich fest und sagt, seine Schulter sei ja dazu da, dass ich mich gehalten und gut aufgehoben fühle. Wir sind sehr glücklich - aber das muss ich wohl nicht extra versichern." Ein vielsagender Nachsatz. Eine unerhörte, vertraute Offenheit kennzeichnet diese Passage, und doch zeigt sich hier eben auch das dahinterstehende Bemühen um jenes "Versichern", der unbedingte Wille, den Eltern zu beweisen, dass es ihr gut ging.

Nicht nur in puncto DDR-Alltagsgeschichte also haben diese Briefe ihren eigenen Wert; sie fügen dem Bild der Autorin neue Facetten hinzu. Auch wenn es für das Verständnis von Literatur im Grunde egal sein sollte, welches Bild der Leser vom Autor hat, mag im Fall der Brigitte Reimann, die sich in ihrer Romanheldin Franziska Linkerhand so intensiv mit sich selbst auseinandersetzte, ein gewisser Biografismus in der Werkrezeption seine Berechtigung haben. Auf jeden Fall macht die Brieflektüre Lust auf die "Franziska". Zum Glück ist deren Taschenbuchausgabe, pünktlich zum 75. Geburtstag ihrer Schöpferin, gerade wieder lieferbar.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!