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Kommentar GesundheitsfondsKopfpauschale durch die Hintertür

Matthias Lohre
Kommentar von Matthias Lohre

Der zentrale Kassenbeitrag wird nicht zu mehr Gerechtigkeit führen. Im Gegenteil: Der Fonds ist nutzlos, teuer und womöglich gar fatal.

U lla Schmidt beherrscht die Kunst der Autosuggestion. Während Opposition, Krankenkassen und selbst die Experten der Regierung den Gesundheitsfonds für misslungen halten, lobt die Ministerin ihn und seinen wichtigsten Bestandteil: den einheitlichen Beitragssatz. Nun ist es offiziell, dass er bei mindestens 15,5 Prozent liegen wird. Neun von zehn Kassenmitgliedern werden ab Januar mehr zahlen müssen. Jetzt wird offenkundig, was bereits absehbar war: Der Fonds ist nutzlos, teuer und womöglich gar fatal.

Nutzlos deshalb, weil er nicht zu einer Verbesserung der Gesundheitsversorgung der Bürger beiträgt. Selbst seine Schöpferin, die schwarz-rote Koalition, gibt zu: Der Fonds bildet nur einen Sockel. Auf ihn kann eine spätere Koalition eine sogenannte Bürgerversicherung (SPD, Grüne) oder eine Kopfpauschale (CDU/CSU) stellen. Bis dahin kostet er nur Zeit und Geld. Und falls die schwarz-rote Koalition 2009 in die Verlängerung geht, wird dieser Stillstand andauern.

Teuer ist der Fonds unter anderem deshalb, weil Ulla Schmidt zu seiner Durchsetzung eilig viele Interessengruppen mit Milliardensummen ruhiggestellt hat. Die Ärzte bekommen mehr Geld, ohne dass sie mehr leisten müssen. Hauptsache, sie zetteln keine Protestaktionen in ihren Wartezimmern an. Die Kliniken werden bezuschusst, ohne die Länder dabei in die Pflicht zu nehmen.

Fatal ist die Festlegung des Beitragssatzes durch den Bund. Warum um Himmels willen soll es den Wettbewerb zwischen den Kassen anfachen, wenn alle denselben Beitragssatz haben? Ebenjener Beitragssatz war bislang ein effizientes Mittel der Kassen, um einander Mitglieder abzujagen und gut zu haushalten. Und was ist mit dem Versprechen der Ministerin, künftig komme es noch mehr darauf an, welche Dienstleistungen eine Kasse biete? Weil der künftige Beitragssatz mit 15,5 Prozent sehr knapp gehalten ist, werden Kassen bald alles vermeintlich Überflüssige kürzen müssen. Dem werden auch Präventions- und Aufklärungsprogramme zum Opfer fallen. Schon bald könnten Kassen gezwungen sein, Zusatzbeiträge von ihren Versicherten zu verlangen. Das wäre ein Sieg der Kopfpauschale durch die Hintertür.

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Matthias Lohre
Schriftsteller & Buchautor
Schriftsteller, Buchautor & Journalist. Von 2005 bis 2014 war er Politik-Redakteur und Kolumnist der taz. Sein autobiographisches Sachbuch "Das Erbe der Kriegsenkel" wurde zum Bestseller. Auch der Nachfolger "Das Opfer ist der neue Held" behandelt die Folgen unverstandener Traumata. Lohres Romandebüt "Der kühnste Plan seit Menschengedenken" wird von der Kritik gefeiert.
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4 Kommentare

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  • H
    Hikaro

    An Nick Williams: was heißt hier, ich kann das Gejammere nicht mehr ertragen! Deine 10% sind doch lächerlich, das sind 6,50 mehr im Monat. Aber schau Dir mal die Durchschnittsverdiener an, da sind das dann 20-25 Euro mehr pro Monat. Macht übers Jahr 300.- Euro. Und Dein Beitrag war eben von diesen Leuten gesponsort, drum war er bei Dir nicht höher bei gleicher Leistung. Und glaubst Du, bei uns ist nicht alles teurer geworden? Also erst mal Gehirn einschalten und keine blöden Kommentare abgeben. So sieht die Realität aus.

  • M
    MarkBar

    ...und da dieser (niedrigerere) Beitragssatz der kommenden Wahl geschuldet ist und vorhersehbar nicht reichen wird, kommt mit Sicherheit auch noch die Zuzahlung. Für immer weniger Leistung.Wer sind die Gewinner dieses Systems? Sicherlich die einflußreichsten Mitspieler: Ärzte und Pharmafirmen. Ihre Gewinne gehen immer mehr zu Lasten der weniger verdienenden. Schamlos.

  • NW
    Nick Williams

    Bald kann man das Gejammer über die Kassenbeiträge wirklich nicht mehr ertragen.

    Wer studentisch krankenversicht ist, hat bisher € 59,65 gezahlt und bekommt seit 1.9. auf einmal € 66,04 abgebucht. Die Krankenkassen haben es noch nicht mal für nötig befunden, ihre Mitglieder über diese saftige Erhöhung von immerhin 10% des Beitrages in Kenntnis zu setzen! Ich möchte gerne mal sehen, was es für einen Aufschrei gegeben hätte, wenn das mit den ganzen Leuten passiert wäre, die jetzt wegen 20 Euro im Jahr rumheulen!

    Kleine Rechnung: nehmen wir einen "reichen" Studierenden, der den neuen Baföghöchstsatz von € 585 bekommt. Dann macht die Erhöhung schon über 1% aus. Ach ja, dann noch die Studiengebühren: die hauen dann (insofern man sein Studium bei fehlender Jobsicherheit nicht mit einem Schuldenberg abschließen möchte) gleich mit 14% rein, + teurere Semestertickets und Bahnfahrkarten, stetig steigenden Mensapreisen, Mieten auf Rekordhöhe, und auch Studierende zahlen inzwischen mehr für Lebensmittel, haben aber trotzdem meist Besseres zu tun, als die ganze Zeit nur zu jammern.

    Klartext: hört auf mit dem wilden Gejammer oder wehrt Euch richtig, aber dann bitte Schluss mit dem Geflenne.

  • V
    vic

    Aktuell beträgt mein Beitrag 13,8%. Ich bin im Hausarztmodell und muss in jedem Quartal zwingend zum Arzt (Ersparnis allein hierfür 40 Euro).

    Diese REFORM bedeutet für mich;

    künftig ca. 2% Beitragserhöhung und das Hausarztmodell (40 Euro) fällt weg.

    Ich verachte diese Regierung zutiefst.