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die wahrheitHelme, Hörner, Höllenhunde

Wissen, wo Thors Hammer hängt. Ein Besuch beim Berliner Berufsgermanen.

Wenn die Hobbygermanen von heute feiern, geht es genauso hoch her wie in hornalten Zeiten. Bild: reuters

Es gibt Wörter, deren Komplexität und Vielschichtigkeit eine magische Anziehungskraft besitzen: Darmsaitlinggourmet oder auch Magermilchgelage. Als ich unlängst in der Kaschemme meines Vertrauens saß und gedankenverloren vor mich hin stierte, lag dort ein kleiner Zettel auf dem Tisch und warb für "Wikingeraccessoires". Offenbar traf dieses Zauberwort eine asige Seite meiner Persönlichkeit, denn schon am nächsten Tag führte mich der kleine Zettel "Zum Germanen", der inzwischen sogar eine Internetseite besitzt: www.zum-germanen.de.

Der Germane haust im nördlichen Berlin, von dem sich die Alten seit jeher zuraunen, dass sich dort Reinickendorfer Füchse und Frohnauer Hasen "Gute Nacht" sagen. Für den globalen Wettbewerb ist der Germane an der Schnittstelle zwischen Tradition und Moderne perfekt aufgestellt. So gehörte das nördliche Brandenburg bereits vor fast 4.000 Jahren zur Gesichtsurnenkultur. Es gibt Sippen aus der näheren Umgebung, die hier schon seit mehr als 200 Generationen einkaufen. Eingerahmt wird der Germane zudem von einem Asia-Imbiss und einem Manga-Laden. Kein Wunder, dass bereits ein Drittel der Bestellungen aus dem südostasiatischen Raum kommen.

"Handliches Hifthorn, holder Herold?", frug ich alsbald, während schelmische Schellen am Scharnier der Tür mein Kommen kündeten. "Hammwa nich, Hirnwichser", entbot mir die schwarz gekleidete Fachkraft den traditionellen Gruß. "Oder vielleicht ein schönes Wikinger accessoire?" Das brach das Eis. "Ein Trinkhorn?" Ein Trinkhorn für meine Tante in Gifhorn? Ja, warum eigentlich nicht? "Und dazu einen Trinkhornständer, geschnitzt aus echtem Holz."

Und für Käptn Ahab eine Echtholzverlängerung? Ich war unschlüssig. Der Trinkhornständer sieht gar nicht mal so schlecht aus. Er stellt ein Tier dar, vielleicht einen Drachen, den Fenriswolf als Welpen, oder ist es doch der Feuer speiende Höllenhund aus den Skalden, der Vattenfjäll? Das Trinkhorn kann man in den aufgerollten Schwanz des Tieres stecken, und der Trinkhörner gibt es viele. Von der Maß bis Nulldrei ist alles dabei. Und da steht auch schon der Odintrunk, Honigbier aus der Schlossbrauerei Fürstlich Drehna. Der oberste germanische Gott blickt düster-dräuend vom Etikett, und seine umbärteten Lippen formen ein stummes "Mein Königreich für einen Fernet Branca".

Mein Wissen über Wikinger ist auf den "Asterix"-Band mit Grautvornix beschränkt: "Haben Sie Schädel?" - "Kommen nächstes Jahr ins Sortiment. Gunther von Hagens kauft hier seine Schnürhemden und Wämser. So sind wir uns näher gekommen."

Fibeln, Fransentücher, das Dekoschwert Balmung, Pfeilspitzen, ein Lederhelm für den nächsten Banküberfall oder die nächste Fetischnacht. Wahrlich, der kleine Zettel kündete Kammern voller Schätze, und die lange Reise macht wunschlos glücklich. Im Buchregal die "Edda", das "Handbuch der Elementarmagie", Heilige Runen, Magische Steine und "Im Liebeshain der Freya", auf dessen Einband die Göttin der Freiakörperkultur umrahmt von Wildsau, Katze und Hirsch ihre Dutteln präsentiert. Ihr sehnig austrainierter Bauchnabel lässt ein arschgeweihtes Tribal auf der Rückseite vermuten.

Die "Einführung in das Mittelhochdeutsche" von Thordis Hennings sucht man allerdings ebenso vergeblich wie die Germanisch-Romanische Monatsschrift aus dem Universitätsverlag C. Winter, Heidelberg. Dafür gibt es Karfunkel, das Magazin für Reenactment mit einem Hinweis auf das Mittelalterspektakel im Histotainmentpark Adventon, bei dem ein Wanderstab mit Drachenkopf nicht fehlen darf. Vortrefflich gefällt der Aufkleber "Odin statt Jesus" von der Initative "ProHeidi - für Heidentum als Wahlpflichtfach an Berliner Schulen". Das Viscose-Top ist zeitlos sexy, man sieht ihm nicht an, dass es vor mehr als 4.000 Jahren entworfen wurde.

In der CD-Abteilung heißen die musikalischen Formationen Menhir, Heidenlärm, Sava, Faun und Odroerir. Deren Tonträger "Götterlieder" verspricht "heidnischen, zum größten Teil ruhigen Metal der extra Klasse". Also genau das Richtige, um bei einem Hörnchen Odin-Wiesn-Met und einem Räucherstäbchen Marke "Elbenzauber" ein wenig im Garten der Freya zu blättern. Ob die Duftrichtungen "Nag Champa", "Mandra Gora", "Patchouli" und "Everest" wirklich alle aus dem Urtext stammen, ist unter Germanisten umstritten.

Letztlich entscheide ich mich dann für den Morgenstern für 24,90 Euro. Leider ist dieses stachelige Schmuckstück nicht für den Schaukampf geeignet. Das ist sehr schade, ein paar Leute würden ganz schön schauen. Aber wenn der Germane im April 2009 in Berlin-Pankow zum "3. Wikingerevent" bittet, bin ich dabei. Mit meinem Accessoire.

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1 Kommentar

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  • MD
    Marc-Antonio (Bernfried der Fürchterbare);)

    Ja ja der Germanen Micha!

    Micha heißt der Chef des Ladens.

     

    Würde mich ja Interessieren wie sie lieber Autor ihren Text den meinten?

    Was haben wir denn gegen ein bisschen Heimatklüngel Esoterik?!

     

    Oder war das ihre Humoreske zuneigungs- Bekundung?

    Und überhaupt glaub ich nicht dass der Mann am Tresen sie mit Hirnwichser Begrüßt hat.

    Solche Sprüche macht der nur bei Neonazis und Dumpfzecken.

    Die entweder "Sieg...Fried", oder: (versoffener weise) " Nahsis raues" Skandieren vor seinem Laden.

     

    Ich persönlich bin weder ein Fan von Braun, noch von Rot. Schwarz mag ich auch nicht sehen. Jedenfalls wen die Farben Politisch gemeint sind.

    Er sieht das Genauso.

     

     

    Und jetzt ein fröhliches:" Mögen die Götter mit euch sein!“ An alle

     

     

     

    PS:

     

    Außer Nazis, Schrumpfgermanen, Ariosophen Linksradikale und Stalimaotische-Kommunisten...etc.