: Keine Gnade für Cansu
Ausländerbehörde will eine Mutter und ihre Tochter in die Türkei abschieben. Die zwölfjährige Schülerin, die als Baby nach Hamburg kam, würde von Vater, Bruder und Oma getrennt. Härtefallkommission lehnt Gnadengesuch von Lehrern ab
von Eva Weikert
Sie war nicht einmal drei Monate alt, als sie 1994 die Türkei verließ und nach Hamburg kam. Inzwischen ist Cansu Y. zwölf und besucht die 6. Klasse einer Osdorfer Gesamtschule. Türkisch könne sie nicht, schrieb sie kürzlich in einem Brief an Innensenator Udo Nagel (parteilos) und: „Bitte helfen Sie uns.“ Denn Nagels Behörde will Cansus Familie zerreißen: Bis Samstag muss das Mädchen mit seiner Mutter Ayla die Koffer packen und ihren hier lebenden Vater, den Bruder und die Großmutter freiwillig Richtung Türkei verlassen, ansonsten droht Abschiebung. Die Härtefallkommission der Bürgerschaft hat jetzt eine Petition für ein Bleiberecht für das Mädchen und seine Mutter abgelehnt.
Cansus Vater und ihr hier geborener Bruder Erdag leben mit einem festen Aufenthaltsstatus in Hamburg, ihre Oma ist Deutsche. Abgesehen von ihren ersten Lebensmonaten hat Cansu wie Erdag die Türkei nie gesehen. Nach Angaben des Anwalts der Familie, Thomas Diedrich, ist die Mutter Ayla Y. als Pflegerin für ihre Schwiegermutter eingesetzt. 1994 sei sie mit einem Besuchervisum hierher gekommen, das zu einem dauerhaften Aufenthalt nicht berechtige. Mehrere Gerichte hätten entsprechende Anträge abgewiesen.
Die Ausländerbehörde beruft sich in ihrer Aufforderung zur Ausreise darauf: „Die Gerichte haben ablehnend beschieden und es gibt keine Ausreisehindernisse“, so Sprecherin Ulrike Nehls-Golla. Der Sohn sei volljährig und für die Oma gebe es „andere Betreuungspersonen“.
Pädagogen von Cansus Schule warnen in einem Brief an die Behörde: Würde die „intakte“ Familie zerrissen, stürze Cansu in „ein erneutes, tiefes seelisches Trauma“. Die Lehrer erinnern an den brutalen Tod des Großvaters, den das Mädchen mitansehen musste: Ihr Opa starb 2002 während einer Razzia in der Wohnung der Familie an einem Infarkt. Ein Ermittlungsverfahren gegen Polizisten wegen fahrlässiger Tötung wurde inzwischen eingestellt.
Mit einer Petition an die Härtefallkommission nutzten die Lehrer ein letztes Mittel, um ein Bleiberecht durchzusetzen. Die Eingabe aber wurde negativ beschieden, so Kommissionsmitglied Wolfhard Ploog (CDU), weil das wirtschaftliche Auskommen der beiden nicht gesichert sei.
Diedrich lässt das Argument nicht gelten: Cansus Vater habe einen festen Job, die Großmutter, die mehr als 25 Jahre in einer Klinik arbeitete, beziehe Rente. Staatliche Leistungen habe Familie Y. „nie bezogen“, so Diedrich, ihr Auskommen aus eigener Kraft sei gesichert. Noch dazu sei die Tochter „absolut integriert“.
In einer Stellungnahme an die Bürgerschaft schreibt denn auch eine Lehrerin, Cansu bringe „hervorragende“ Schulleistungen. Senator Nagel hatte noch im März ein Bleiberecht für Kinder angekündigt, die schon lange hier sind, „Integrationswillen“ durch „gute Noten“ belegen und „in familiärer Gemeinschaft mit Angehörigen“ leben, die ein sicheres Aufenthaltsrecht haben.
Anwalt Diedrich gibt nicht auf. Er kündigte an, ein weiteres Gnadengesuch einzureichen.
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