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Aminatu Haidar wieder zu Hause

WESTSAHARA Die hungerstreikende Menschenrechtsaktivistin darf in ihre Heimat zurück. Im Gegenzug stärkt Marokko die internationale Anerkennung seiner Westsahara-Besatzung

Westsahara-Konflikt

 1884: Westsahara Teil Spaniens.

 1975: Spanien verspricht Unabhängigkeitsreferendum. Marokko marschiert ein, Spanien zieht sich zurück. Befreiungsbewegung Polisario startet Guerillakrieg.

 1991: Waffenstillstand und UN-Stationierung. Ein Referendum scheitert an der Definition der Wahlberechtigten.

AUS MADRID REINER WANDLER

Aminatu Haidar ist wieder zu Hause. In der Nacht zum Freitag stimmte Marokkos König Mohammed VI. nach intensiven diplomatischen Bemühungen einer Rückkehr der sahrauischen Menschenrechtsaktivistin von den Kanaren nach Laâyoune zu, der Hauptstadt der seit 1975 von Marokko besetzten ehemaligen spanischen Kolonie Westsahara. „Das ist ein Sieg für das internationale Recht, die Menschenrechte, die Gerechtigkeit und die Sache des sahrauischen Volkes“, erklärte Haidar, von ihrem 32-tägigen Hungerstreik sichtlich geschwächt, als sie mit einem Notarztwagen vom Krankenhaus Lanzarote zum Flughafen gebracht wurde. Um 22.23 Uhr kanarischer Zeit hob Haidars Maschine unter dem Jubel von hunderten Freunden und Anhängern Richtung Laâyoune ab.

Die „sahrauische Gandhi“, wie die Menschenrechtlerin von ihren Landsleuten genannt wird, war am 14. November von den marokkanischen Behörden auf die spanische Urlaubsinsel Lanzarote abgeschoben worden, nachdem sie von einer Reise in den USA zurückkam, wo sie mit einem Menschenrechtspreis ausgezeichnet worden war. Seither verweigerte die 43-Jährige aus Protest jedwede Nahrungsaufnahme. Am Mittwochabend war Haidar auf eigenen Wunsch mit schweren Schmerzen und Magenblutungen ins Krankenhaus eingeliefert worden.

Auf ihrer Heimreise wurde Aminatu Haidar von ihrer Schwester Leila sowie dem Chefarzt des Krankenhauses von Lanzarote begleitet. Ein starkes Polizeiaufgebot am Flughafen in Laâyoune und im Wohnviertel Haidars sollte allzu große Freudenkundgebungen verhindern. Dennoch ließen Dutzende Haidar und die sahrauische Befreiungsbewegung Polisario hochleben und riefen immer wieder „Marokko raus!“

Was Marokko für „die humanitäre Geste“, wie Rabat die Rückkehr Haidars nennt, erhalten hat, wurde bisher nicht bekannt. Allerdings erkennen Paris wie auch Madrid in ihren jeweiligen Erklärungen ausdrücklich an, dass die Westsahara bis zu einer endgültigen Lösung des Konfliktes marokkanischem Recht untersteht. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy geht noch einen Schritt weiter: Er unterstützt den marokkanischen König in seinen Bemühungen, der Westsahara einen Autonomiestatus zu geben. Die Polisario, in Algerien ansässig, lehnt dies ab und verlangt eine Abstimmung, in der die Bevölkerung frei über Unabhängigkeit oder Zugehörigkeit der Westsahara zu Marokko entscheiden soll. Eine solche Volksabstimmung war im Prinzip 1991 vereinbart worden, aber es gab nie Einigkeit darüber, wer „die Bevölkerung“ ist. Spanien, Frankreich und die USA wollen überdies jetzt schnellstmöglich neue Verhandlungen zwischen Marokko und der Polisario unter UN-Obhut.

Der Präsident der sahrauischen Exilregierung in den Flüchtlingslagern im südwestalgerischen Tindouf, Polisario-Chef Mohamed Abdelaziz, forderte die sofortige Freilassung von sieben in Marokko inhaftieren sahrauischen Menschenrechtlern. Sie wurden im Oktober festgenommen, nachdem sie von einem Besuch in den Flüchtlingslagern in die Westsahara zurückreisten. Ihnen droht ein Verfahren wegen Hochverrats. Darauf steht die Todesstrafe. Außerdem verlangt Abdelaziz, dass die UN-Mission in der Westsahara (Minurso) künftig die Einhaltung der Menschenrechte durch Marokko besser überwacht.

Haidar hat so mit ihrem Hungerstreik die Westsahara wieder in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit gerückt. Deshalb werden mittlerweile auch in Marokko erste kritische Stimmen laut. „Man macht aus ihr eine Märtyrerin, wir haben ihr diese Rolle auf dem Tablett serviert“, heißt es in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitschrift Tel Quel.

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