US-Forscher erfand Ergebnisse: Schmerztherapie-Studien gefälscht
Zwölf Jahre lang fiel es nicht auf, dass ein international renommierter Schmerzforscher manipulierte oder erfundene Studien veröffentlichte.
Die Schmerzforscher sind erschüttert. Scott Reuben, Professor am Baystate Medical Center in Springfield in Massachusetts und bis vor kurzem ein international renommierter Schmerzforscher hat 21 seiner Studien gefälscht. Viele seiner Empfehlungen wurden auch in Deutschland im Klinikalltag umgesetzt. Angesehene Fachmagazine hatten Reubens Arbeiten publiziert. Jetzt stellt sich heraus, dass Reuben die Ergebnisse seiner Studien teilweise gefälscht, teilweise komplett frei erfunden hat.
Man kam Reubens Machenschaften rein zufällig auf die Spur. Im Mai vergangenen Jahres entdeckte ein leitender Angestellter des Baystate Medical Centers Ungereimtheiten in Reubens Arbeiten.
Eine Routineprüfung ergab, dass Reuben für zwei klinische Studien keine nötigen Formulare der teilnehmenden Krankenhäuser besaß. Bei einer anschließenden Untersuchung stellte sich heraus, dass es bei 21 Studien über die Wirksamkeit von Schmerzmitteln keine nennenswerte klinische Forschung gibt. Die älteste Veröffentlichung stammt aus dem Jahr 1996.
Doch es kommt noch schlimmer: Reuben pflegte offenbar ausgezeichnete Kontakte mit der Pharmaindustrie. Sein Betrug habe "gewerbliche Züge" angenommen, erklärte der Anästhesist Volker Wenzel, Universität Innsbruck, gegenüber der Süddeutschen Zeitung. In der Kritik steht unter anderem der Pharmakonzern Pfizer. Er gewährte Reuben insgesamt fünf Forschungsdarlehen. Zudem war Reuben als bezahlter Sprecher für das Unternehmen tätig.
Zuletzt beschäftigte sich Reuben mit zwei Pfizer-Medikamenten - dem Entzündungshemmer Celebrex sowie dem Antikrampfmittel Lyrica. Reuben attestierte beiden Medikamenten eine hohe Wirksamkeit. Allein zehn von Reubens fragwürdigen Studien wurden in dem Fachmagazin Anesthesia & Analgesia veröffentlicht.
Der Redakteur Paul White geht davon aus, dass Reubens Arbeiten zum milliardenschweren Verkauf potenziell gefährlicher Schmerzmittel geführt haben. In Reubens Publikationen befindet sich auch das 2004 vom Markt genommene Schmerzmittel Vioxx. Allein in den USA hat das Medikament bei bis zu 140.000 Menschen zu schweren Schäden der Herzkranzgefäße geführt. Auch unter Celebrex ist es zu einer erhöhten Anzahl von Herzinfarkten gekommen.
Nach Bekanntwerden der Fälschungen werden nun sämtliche Leitlinien zur Akutschmerztherapie - herausgegeben von der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Schmerztherapie - durchsucht und die Ergebnisse von Reubens Arbeiten gelöscht.
Die deutschen Schmerzspezialisten zeigen sich bestürzt, weisen jedoch daraufhin, dass der Einsatz der betroffenen Substanzen in Deutschland nicht oder nicht nur auf den Arbeiten Reubens beruht. Reuben ist derzeit beurlaubt und von jeglichen Forschungsarbeiten und Lehrtätigkeiten befreit.
Der Fall Reuben erweckt Misstrauen gegenüber der klinischen Forschung. Er wirft Fragen auf. Wieso konnte ein Wissenschaftler über zwölf Jahre lang Studien fälschen, ohne dass dies auffiel? Warum veröffentlichten renommierte Fachmagazine über einen so langen Zeitraum gefälschte Forschungsergebnisse?
Scott Reuben ist jedoch kein Einzelfall. Gemäß einer Veröffentlichung des Fachmagazins Nature wird nur ein Prozent aller Betrugsfälle aufgedeckt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen