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Wie die Hilfe stirbt

HAITI Raoul Pecks bestechender Dokumentarfilm „Assistance Mortelle“ (Berlinale Special) zeigt den Inselstaat lange nach dem Erdbeben – und nach dem Verebben der Aufmerksamkeitswelle

Haiti ist ein gescheiterter Staat. Das sagt sich so leicht: Wir haben alles versucht, da war nichts zu machen. Zudem kursierte der Begriff failed state als Zustandsbeschreibung Haitis bereits vor dem Erdbeben vom Januar 2010, als auf einen Schlag 230.000 Menschen starben, 300.000 Schwerverletzte zu versorgen waren und mehr als 1,5 Millionen Einwohner des Inselstaats obdachlos wurden. Eine Katastrophe biblischen Ausmaßes. Pflichtbewusst setzte die Weltgemeinschaft ihre humanitäre Hilfe in Gang, schickte Spürhunde und Räumfahrzeuge, Trinkwasser und Decken. Und die Spendenbereitschaft war groß – zumindest so lange, wie die Katastrophe ein Thema in den Massenmedien war.

Der haitianische Filmemacher Raoul Peck blendet die nackten Zahlen auch in seine Dokumentation „Assistance Mortelle“ („Sterbliche Hilfe“) ein. Vor allem aber handelt sein Film konventionell, aber bestechend von dem, was seither in Haiti geschah. Als Perspektive wählt er die Sicht einer anonym bleibenden weiblichen Erzählerin, wahrscheinlich Mitarbeiterin einer Hilfsorganisation. Für ihre verzweifelte Bilanz findet Peck die richtigen Bilder: einen Barfüßigen, der, knietief im Unrat stehend, einen versifften Abwasserkanal mit der Schaufel zu reinigen versucht; eine Baggerfahrerin, die einen winzigen Teil der 850 Millionen Tonnen Trümmer beiseite räumt, während für den platt zusammengekrachten immensen Schuttberg adäquates Bergungsgerät fehlt; Obdachlose in Agonie, die auf Spielplätzen campieren; Führungskräfte, die sich nicht auf die demokratische Tradition ihres Landes verlassen können.

Vielfach rückt Peck im Verlauf von „Assistance Mortelle“ die Interessenkonflikte der konkurrierenden Hilfsorganisationen ins Bild: Verschwitzte Weiße im Casual Look, die in Meetings um die Vorgehensweise ringen; Statiker, die Gebäude besichtigen; den UN-Sondergesandten für Haiti, Bill Clinton, dessen Optimismus immer unglaubwürdiger wirkt. Peck fokussiert auf die schmutzige Seite der Politik. Er zeigt die Ankunft des Diktators Duvalier, der von ahnungslosen jungen Haitianern als Retter begrüßt wird. Er zeigt, wie die UNO nach den Präsidentschaftswahlen vom November 2010 den Präsidenten Préval fallen lässt und auf den Kandidaten Martelly setzt.

„Assistance Mortelle“ erzählt die Tragödie aus nächster Nähe. Der brüskierte Expräsident, der einer Rede Clintons fernbleibt – sein Protest versinnbildlicht mit einem leeren Plastikstuhl, der Prévals Namensschild trägt. Und er erzählt aus großer Distanz. Über Luftaufnahmen zoomt sich Peck an seine Landsleute heran und arbeitet mit Einfärbungen das Drastische heraus. Der größte Teil der Hauptstadt Port au Prince ist rot und muss abgerissen werden, die gelben Stadtteile sind erheblich beschädigt, nur ein kleiner, grün gefärbter Teil ist unbeschädigt geblieben.

Und trotzdem ist die Hoffnung nicht gestorben. Der Lehrer Paul Nemour führt Peck durch sein zerstörtes Haus. Er weigert sich, in eines der UN-Zeltlager zu ziehen. Stattdessen baut er es mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln wieder auf.

JULIAN WEBER

■ Heute, Haus der Berliner Festspiele, 14.45 Uhr; 10. 2., Cubix, 18 Uhr

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