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Kolumne ParallelgesellschaftDie Achillesferse von Golo Mann

Jan Feddersen
Kolumne
von Jan Feddersen

Die HeldInnen der Achtundsechziger waren bereit, einiges zu opfern.

G olo Mann war der Erste, der mir einfiel, in Sachen Kurras und Achtundsechzig und all that jazz, der neulich mal wieder abschepperte. Dort die Miesen, die Ordinarien einer hetzerischen Presse und ihrer Staatsapparate - also Springer und alle anderen -, hier die Guten, die alles immer nur nett meinten, obzwar sie den Blick fürs Ganze verloren hatten. Aber weshalb dachte ich an Golo Mann, den Sohn von Thomas und Katia M., den Historiker, der sich aufs Erzählen verstand und später auf politische Bande mit Franz Josef Strauß?

taz

Jan Feddersen ist taz-Redakteur.

Es hatte mit einer Ausstellung im Schwulen Museum in Berlin zu tun - und mit einer Biografie von Tilmann Lahme über den im Gegensatz zu seinem Bruder Klaus missachteten Spross, die gerade erschienen war - genau deshalb. Weil Golo Mann tatsächlich auch die bundesdeutsche Geschichte der Vorachtundsechzigerzeit als eine erleben musste, die ihm unfreiheitlich und intrigant vorgekommen sein musste. Autor Lahme recherchierte und fand heraus, dass Golo Mann einen Lehrstuhl in Frankfurt am Main nicht erhalten sollte, und zwar namentlich auf Betreiben Theodor W. Adornos und Max Horkheimers. Die allerletzten Umstände dieser Verhinderungsaktion sind nicht ganz genau beleuchtet, aber man erspürt das abfällige Klima, das einem wie Golo Mann von Seiten der Stars des bundesdeutschen Neobildungsbürgertums entgegengeschlagen sein muss. Denn Mann hatte eine Achillesferse, das wussten Adorno & die Seinen: seine Homosexualität.

Nichts anderes als diese führten jene in denunziatorischer Absicht ins Feld, um Golo Mann zu diskreditieren. Der nämlich habe sich in psychiatrischer Behandlung befunden, was ja ohnehin kein Ausweis von bürgerlicher Sattelfestigkeit ist - die nichts anderes meint als das stabile Talent, sich selbst glorifizieren zu können -, außerdem könne man einen wie ihn nicht an die heranwachsende Elite des Landes lassen, nicht wahr!

Dass gerade homosexuelle Männer der Nachkriegszeit in Sonderheit unter dieser Scheinliberalität der besseren, gewogenen Kreise zu leiden hatten, dass einer wie Golo Mann - der nach allem, was man weiß, auch kein leichter Charakter war, aber andererseits, wer wäre das schon? - gerade Hilfe nötig hatte, um sich ihrer zu wehren, liegt auf der Hand.

Will sagen: Man lese das Buch von Lahme, man besuche die Ausstellung - und wer dann noch davon sprechen möchte, dass Achtundsechzig und seine HeldInnen die besonders Guten waren, muss nicht mehr ernst genommen werden. Karl-Heinz Kurras und all die anderen waren die fühlbar bedrohliche Seite dieser Zeit; die anderen, die Wohlgesinnten, das waren jene, die verliebt waren in ihre Ersatzväter (wie Horkheimer et alii) und dafür jeden zu verraten bereit waren, der sich, freilich mit einer falschen Meinung aus Sicht unserer Kreise, auf Eigensinn in eigener Sache offen zu berufen kaum traute.

Achtundsechzig war nötig, ohne Frage; Kurras war ein Mielketyp, einer, so weiß man, wie es ihn damals überall gab, als Tankwart oder Doktor, mit oder ohne großem Latinum; Golo Mann und viele andere, die sich in den Siebzigern den Konservativen zuzurechnen begannen, wollten bloß vom plattmachenden Furor der Selbstbesoffenheit jener Achtundsechzigerkreise nicht erfasst werden. Das war ihre Tragik.

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!

6 Kommentare

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  • A
    anke

    IHRE Tragik? Tut mir leid, Herr Feddersen, aber auf die grandiose Idee, Golo Mann und all die anderen, "die sich in den Siebzigern den Konservativen zuzurechnen begannen", könnten tragische Figuren sein, kann wohl nur jemand kommen, der dem "plattmachenden Furor der Selbstbesoffenheit" schon zum Opfer gefallen ist, das nicht wenige Achtundsechziger mit sehr vielen Leuten anderer "Kreise" geteilt zu haben scheinen und offenbar noch immer teilen.

     

    Tragik ist, wenn ein Ereignis zugleich Mitleid (mit dem Betroffenen) und Furcht (um uns selbst) erweckt. Behauptet jedenfalls das Lexikon, und es bringt den Begriff gleich im Anschluss in Verbindung mit dem Wort "erschütternd". Und nun frage ich Sie, Herr Feddersen, dreierlei: Wen hat Golo Manns Hinwendung zu den Konservativen erschüttert? Wer hatte Angst deswegen? Und außerdem: Wer also mag bedauernswert und erschreckend zugleich wirken auf seine Mitmenschen? Golo Mann? Äh...

     

    Nein, ich kann Golo Mann weder bedauern, noch macht er mir Angst. Ich will und ich kann (meinetwegen auch umgekehrt) nichts schreckliches daran finden, wenn jemand weder mit einer Frau noch mit einem Mann "zusammen" ist. Sex ist eine der schönsten NEBEN-Sachen der Welt und die Entscheidung, einen Bogen zu machen darum, ist so gut wie jede andere. Man braucht sie nicht zu verstehen und man braucht sich erst recht nicht damit zu identifizieren, wenn man nicht mag. Man braucht sie eigentlich bloß zu akzeptieren. So man denn dazu in der Lage ist.

     

    Schlimm (wenn nicht gar tragisch) finde ich es bloß, dass es der angeblichen "Linken" gelungen zu sein scheint, Golo Manns Eigensinn ganz am Ende seines Lebens doch noch zu brechen. Wenige Tage vor dem Tod noch Zweifel zu hegen, muss die Hölle auf Erden sein. "Ich hab' mich nicht oft verliebt. Ich hab' es sehr oft für mich behalten, das war vielleicht ein Fehler", soll Golo Mann gesagt haben kurz bevor er starb. Und wenn ich den 68-ern (genau wie allen übrigen Egoisten dieser Welt) etwas wirklich übel nehme, dann ist es das: Sie bringen es einfach nicht über ihr verkrüppeltes Herz, die Menschen so zu nehmen, wie sie nun einmal sind (Klaus Mann über seinen Bruder Golo: grotesk). Sie brauchen permanent die Bestätigung der eigenen Großartigkeit, und sei es auch nur dadurch, dass sie einem alten, kranken aber immerhin ziemlich bekannten Mann seinen Seelenfrieden stehlen um eines kurzfristigen Triumphes willen.

     

    Ist das links, Herr Feddersen? Vielleicht doch. Schließlich: Links ist das Gegenteil von rechts und das genau ist das Beste, was man über die selbsternannten "Linken" und ihren Hang zum Missbrauch sagen kann: Sie sind das Gegenstück zu ihren Eltern. Gut? Nein, gut sind sie deswegen nicht. Nur anders schlecht. Tragisch, finde ich. Nichts wie weg also, denn zu helfen ist ihnen ja doch nicht. Und wenn man sowieso nichts tun kann, sollte man es den Opfern nicht noch schwerer machen, als sie es ohnehin schon haben mit sich und der Welt.

  • L
    Linksman

    Wie langweilig:

    Dieser Herr Feddersen betreibt 68er-Bashing mit der Homophobie-Keule (andere Nebelkerzenwerfer tun dies mit angeblichem "Antiamerikanismus" bzw. "Antisemitismus").

     

    Das Problem:

    Korruhns Buch klärt auf, dass Golo Mann gar nicht homosexuell war, sondern asexuell.

    Feddersen erklärt erstmal alles zum Homo, was nicht bei drei auf dem Baum ist.

    Und er kann nicht recherchieren.

     

    Fatal auch - gerade für die Gay-Community:

    Feddersen pflegt hier das alte Zerr-Selbstbild der Homosexuellen als "ewiges Opfer".

    ("Homokummer? - Opfernummer!")

    Wer sowas ständig kultiviert, läuft Gefahr, aus dieser Rolle auch nicht wieder herauszukommen.

     

    Dass die "taz" jemanden, der über einen peinlichen Schlager-Grandprix hirnrissige Bücher verfasst, zum "politischen Kommentator" aufpumpt, zeigt, wie überflüssig sie ist.

  • BK
    Bertram Kraus

    Am "Mach dein Ding"-

    Projektstammtisch wirds cerebral

    bisweilen ein wenig suboptimal,

    also hinein in den Ring

    mit dem Liquor aus Selbstbetroffenheit

    gegen den Furor der Selbstbesoffenheit

    Biedermeier ist King.

     

    Welch überraschende Neuigkeit wird hier referiert: Golo Mann wurde von Adorno und Horkheimer ausgebootet, weil schwul und konservativ...

    Adorno und Horkheimer waren keine moralischen Über-Menschen. Sie konnten treten und spucken. Uiii, soviel Enthüllungsjournalismus ist sonst nur im Fokus oder Spiegel-Online zu haben.

    Mal im Ernst, wenn Herr Feddersen auch nur ein bißchen Ahnung von den Besetzungsverfahren der Lehrstühle an deutschen Hochschulen hätte, wüßte er das Berufungen immer auch vor dem Hintergrund (hochschul-)politischer Strategien und Entscheidungen gefällt wurden und werden.Und

    das Hauen und Stechen zum Handwerk gehört, was sowohl für links als auch für rechts gilt.

    Wichtiger wäre vielleicht der Hinweis gewesen, dass Golo Mann intellektuell doch eher als 2.Reihe gesehen wurde.

  • N
    NoMaam

    Alles, was sich nicht der Mode unterwirft, wird immer schon von den Mitläufern attackiert als gestrig. Wer die bürgerliche Selbstgerechtigkeit widerlich findet, der findet immer noch, seine eigene riecht besser. Und wer sich selbst und dann auch anderen unbequem wird, weil er sich's so einfach nicht machen will, der wird von den Spießern jeder Fraktion immer niedergemacht. Die Linken können das ebenso gut wie die Rechten. Das hat der Autor schon sehr richtig erkannt.

  • R
    reblek

    Dass Feddersen jede Gelegenheit nutzt, die Linke (im allerweitesten Sinn und Unsinn) in welcher Form auch immer zu diskreditieren, ist bekannt. Ich empfehle zu Golo Mann die Lektüre von Wolfgangs Korruhns "Hautnah" mit einem Beitrag über ein Gespräch mit Golo Mann (S. 153-167), in dem Manns Adoptivtochter Beck-Mann zitiert wird (S. 166): "Es ist schon mal behauptet worden, dass er (Becks Mann) ein Verhältnis mit Golo gehabt hätte, es stimmt aber nicht. Golo ist ein Mensch ohne jedes Geschlechtsleben." Darauf Korruhn: "Das meinen Sich nicht im Ernst." Beck-Mann: "Aber das hat er Ihnen doch andeuten wollen mit dem, was er Ihnen erzählt hat. Er war niemals mit einer Frau zusammen, aber auch niemals mit einem Mann." Aber das passt wahrscheinlich nicht besonders gut in die Geschichtsklitterung von Feddersen.

  • JP
    Joachim Petrick

    Lieber JAN FEDDERSEN,

    das Wunder von Wandel, Wenden, Aufbrüchen geschieht ja nicht, weil der „Neue Mensch“ auf den Plan getreten, sondern dadurch, dass der Alte Egomane im jungen Menschen als Nucleus der Neuen Zeit, seiner Möglichkeiten menschlicher Kommunikation trotzig, aufmüpfig, eigensinnig wie frischwärts anpassungsbereit und –fähig munter zugeneigt, Lust auf neue Gedanken & Kleider, auf neue öffentliche und private Räume, Bindungen, Entbindungen entdeckt.

    So auch die 68er, die ihre Väter/Mütter am Anfang im Gefolgschaftswahn für eine Sache, Idee, Bindungen, Führerfiguren leidenschaftlich mitreißend wie denunziativ menschlich verwerflich übertreffen wollten, den die Väter/Mütter sich als gebrannte Kinder ihrer Zeit nicht mehr trauten, oder diesem Gefolgschaftswahn in Parteien, Gewerkschaften, Verbänden, Kirchen, Stiftungen, Schießsport- wie Schrebergartenvereinen, kulturellen Nischen, hüben & drüben, klammheimlich bis unheimlich in den Nebeln der neuen Zeit nachhingen, als gelte immer noch die vorherige Zeit und deren Rückkehr, deren nahende Ankunft als Maß aller Dinge.

    Die 68er können folglich „hart aber fair“ nicht daran gemessen werden, wie diese im Jahre 1968 als Verkörperung der jugendlich angereicherten wie erzieherisch autoritär verordneten Ahnungslosigkeit waren, sondern wie diese danach bis heute, mit einem Rucksack etlicher Ahnungen versehen, geworden sind und zu diesen Ahnungen „Zunge zeigend“ stehen.

     

    Hätte es die 68er bereits 1949 auf deutschem Boden gegeben, so wären diese Partei gewesen, wie andere Parteien auch, um sich aus dem Rest- Kuchen „Deutsches Reich“ per Teil- Instandsetzung ein eigenes Stück Saatsbildung zu gönnen, wie die SED mit der DDR, die CDU/CSU/SPD/FDP mit der Bundesrepublik Deutschland.

     

    Insofern erfolgte nach dem Berliner Mauerbau vom 13. August 1961 mit der Erfindung des Kampfbegriffes 68er ein weiterer innerer Mauerbau, der systemübergreifend querköpfig durch den gesamten Ost- Westblock ging und in Deutschland neben der „DDR“ einen weiteren „Staat“ im „Nirgendwo“ ohne Anerkennung vor der Geschichte bis heute schuf!, oder?

    Der Staat DDR ist ohne Gänsefüsschen und Winseln per aufrechtem Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland nach Art. 23 GG 1990 untergegangen. Der Staat der 68er verbleibt, lokal & global, weiterhin in Gänsfüsschen und harret seiner Anerkennung im Irgendwo und -wie!, oder?

    Fazit:

    Golo Manns Achillesferse war, das er sich in Zeiten der vagabundierenden Staatsbildungen auf deutschem Boden 1949 von Alliierten Gnaden nicht gegen den Willen seines Vaters Thomas Mann aufgerafft, für Seinesgleichen einen Staat zu bilden, der mit der DDR bereits zu Zeiten Helmut Schmidts als Bundeskanzler am 03. Oktober 1981 der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 23 GG beigetreten wäre, um die Danziger Solidarnosz in der VR Polen ermunternd für die EU zu gewinnen! Oder?

    tschüss

    JP