piwik no script img

Rot-grüner AtomausstiegKonsens oder Nonsens

Erst zwei AKWs wurden seit dem 2002 vereinbarten Ausstieg abgeschaltet. Durch Gabriels Forderung, alte Reaktoren früher stillzulegen, dürften neuere länger laufen.

Einer von zwei stillgelegten Reaktoren: das ehemalige AKW Stade. Bild: ap

BERLIN taz | Bisher konnte die deutsche Atomindustrie mit dem "Atomkonsens" gut leben. Die 2002 von der rot-grünen Regierung mit den Unternehmen getroffene Vereinbarung hat ihnen in den letzten Jahren einen ungestörten Betrieb ihrer Reaktoren ermöglicht. Und die im Gegenzug vereinbarte Begrenzung der Laufzeiten hatte bislang nur wenig Konsequenzen. Tatsächlich stillgelegt wurden mit Stade und Obrigheim nämlich nur zwei vergleichsweise kleine Atomkraftwerke. Alle übrigen Reaktoren sind - sofern sie nicht wegen Störfällen oder Wartung heruntergefahren sind - weiterhin am Netz.

In den letzten vier Jahren änderte sich die Zahl der Reaktoren nicht. Dabei sollten nach den ursprünglichen Plänen in dieser Legislaturperiode mindestens drei AKWs stillgelegt werden. Dass es dazu nicht kam, liegt zum einen am Gesetz: Dies nennt nämlich keine Daten, zu denen die Reaktoren abgeschaltet werden sollen, sondern Strommengen, die sie noch produzieren dürfen. Diese wurden so berechnet, dass sie theoretisch jedem Kraftwerk eine Laufzeit von 32 Jahren zugestehen. Wenn sie aber mit verringerter Leistung laufen oder ganz stillstehen, verschiebt sich die Abschaltung entsprechend nach hinten. Zum anderen haben die Betreiber durch Pannen, aber auch durch extralange Revisionen erreicht, dass Biblis A und B sowie Neckarwestheim die Wahl überleben.

Wenn das Gesetz unverändert bliebe, wäre damit aber voraussichtlich Schluss: Mindestens fünf bis sieben Reaktoren hätten bei Normalbetrieb bis 2012 die ihnen zustehende Strommenge aufgebraucht. Darum legen die Konzerne großen Wert darauf, dass die Laufzeiten verlängert werden. Und falls Union und FDP die Regierung stellen, werden sie ihnen diesen Wunsch auch erfüllen. Genau wie von Umweltverbänden schon 2002 kritisiert, hätte der Ausstieg nur so lange gehalten, wie er den Unternehmen nützt.

Wenn die SPD an der Regierung bleibt, will sie am Ausstieg hingegen festhalten. Nun hat Umweltminister Sigmar Gabriel zudem angekündigt, die Abschaltung älterer Atomanlagen zu beschleunigen. Die sieben ältesten Reaktoren (Biblis A und B, Neckarwestheim 1, Brunsbüttel, Isar 1, Unterweser und Philippsburg 1) sowie das neuere, aber besonders pannenanfällige AKW Krümmel sollen früher als geplant vom Netz gehen. Wenn die Betreiber dazu nicht freiwillig bereit sind, müsste man dies zur Pflicht machen, sagte Gabriels Sprecher Michael Schroeren.

Im Gegenzug dürften allerdings, so sieht es der Atomkonsens vor, neuere Kraftwerke länger laufen. Wenn die ältesten sieben Reaktoren plus Krümmel Anfang nächsten Jahres vom Netz gingen, so würde deren verbleibende Strommenge genügen, um ein modernes AKW 15 Jahre länger am Netz zu lassen. Weitere 10 Betriebsjahre sind noch vom nie in Betrieb gegangenen Reaktor in Mülheim-Kärlich zu verteilen. Falls diese Strommengen auf alle neun Kraftwerke verteilt würden, die nach Gabriels Plänen am Netz bleiben dürften, würde sich das Ende der Atomkraft um 3 Jahre nach hinten verschieben - auf etwa 2025. Damit steht der Plan im Widerspruch zum SPD-Wahlprogramm, in dem es heißt: "Wir steigen bis 2021 komplett aus der Atomenergie aus."

Umweltverbänden geht Gabriels Forderung denn auch nicht weit genug. Sie fordern, störanfällige Reaktoren ohne Strommengen-Übertragung und Kompensationen stillzulegen. "Der Atomkonsens ist doch von der Gegenseite längst aufgekündigt worden", sagt etwa Wolfgang Ehmke von der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg. "Es ist unverständlich, dass Gabriel daran festhält." Auch die Verbände mischen sich darum aktiv in den Wahlkampf ein: Am 5. September demonstrieren sie in Berlin für einen schnelleren Ausstieg. MALTE KREUTZFELDT

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • B
    BOSwell

    @ vic Was für eine unglaublich schwache Polemik!

  • S
    Sakralpunker

    @ von vic

    Bärbel Höhn hat vielleicht schon den Beratervertrag der deutschen Atomlobby in der Tasche. Mit Garzweiler hat sie schon einmal zusammen mit Michael Vesper ein ganzes Dorf der Braunkohle geopfert nur um ihren Ministerposten in NRW zu retten.

  • B
    BOSwell

    @ Nigrede: geht's eigentlich noch dümmlich-polemischer? versucht hier ein/e linksparteianhänger/in das selbstwertgefühl aufzubessern indem er/sie die "konkurrenz" schlecht macht? oder wie ist das zu deuten? das wäre ja leider kein einzelfall. - statt dass die leute mit ähnlichen ansichten endlich aus den fehlern der gegenseitigen selbstzerfleischung lernen, ohne z.b. auch hitler nie an die macht gekommen wäre (weil dann sozialdemokratInnen und kommunistInnen die kleineren von den größeren übeln besser unterschieden hätten und die energie viel mehr auf ihre wahren feinde gerichtet hatten)

  • B
    BOSwell

    @ vic: so eine unglaublich billige polemik ist echt schwach.

     

    jede/r einigermaßen politisch informierte mensch weiß dass bündnis90diegrünen - mehr und schon länger als jede andere partei des bundestages gegen atomenergie sind. das selbstverständliche muss mensch doch nicht bei jeder gelegenheit nochmal sagen, oder? das wäre dann so langweilig wie die verbal-pleonasmen die es in der politik mehr als genug gibt. gut, dass bärbel höhn u.a. nicht auf diesem niveau sind.

  • N
    Nigrede

    @vic:

     

    Da wird ja auch schon ein schwarz-grünes Bündnis erarbeitet - im Falle des Falles würden die Grünen auch auf ein "Atomstrom ist Öko-Strom" umschwenken, wenns sein muss. Was geht uns auch Afrika an, wir kümmern uns ja nichtmal um die Wismar-Geschädigten - und wenns mal wieder zum GAU kommt, sind eh alle tot.

     

    Da strahlt der Grüne!

  • BR
    Bleed Ranner

    Es entsteht der Eindruck, dass von den Atomkraftgegnern nicht etwa pragmatische Lösungen gesucht werden, sondern die "Bosse" bekämpft werden sollen. Quasi die Fortsetzung des Klassenkampfes mit modernen Mitteln. Die Atomkraft ist da nur ein Mittel (von vielen) zum Zweck.

    Das sieht zwar immer wieder gut aus, hilft aber keinem wirklich weiter.

  • V
    vic

    Gestern in D-Radio Kultur;

    Bärbel Höhn (stellvertretende Fraktionsvorsitzende der grünen Bundestagsfraktion, zuständig für die Bereiche Umwelt, Energie, Verbraucherschutz, Landwirtschaft, Tierschutz, Bauen und Verkehr),

    redet ganz selbstverständlich über Laufzeitübertragung.

    Von Atomausstieg kein Wort.