Drei Jahre nach der Wahl: Die Lage im Kongo ist kritisch
Im Kongo fanden vor drei Jahren die ersten freien Wahlen statt. Heute sind Millionen auf der Flucht. Politik und Wirtschaft stagnieren, Autoritarismus und Krieg nehmen zu.
Wenn im Kongo der Geheimdienst klingelt, muss man auf alles gefasst sein. Onesphore Sematumba nahm vorsichtshalber einen Freund mit, als die Agence Nationale de Renseignements (ANR) in der östlichen Provinzhauptstadt Goma ihm als Informationsbeauftragten des Rechercheinstituts Pole Institute eine Vorladung schickte. Er konnte aufatmen: Der ANR-Chef von Goma beschwerte sich, er sei neu in der Stadt und würde aber gern wie alle anderen wichtigen Persönlichkeiten die Publikationen des Instituts erhalten, das zu den Konflikten in Ostkongos Kriegsgebiet arbeitet.
Weniger Glück hatte letzten Freitag Golden Misabiko, Präsident der führenden Menschenrechtsgruppe Asadho (Afrikanische Menschenrechtsvereinigung) in der südlichen Bergbauprovinz Katanga. Mitte Juli hatte seine Organisation in einem Bericht die Rolle des Militärs bei der illegalen Förderung von Uran in der offiziell geschlossenen Mine Shinkolobwe enthüllt, aus der der Brennstoff für die Hiroschimabombe 1945 kam und deren hochradioaktive Erze bis heute auf den globalen Schwarzmarkt gelangen. Die ANR in der Provinzhauptstadt Lubumbashi zeigte sich interessiert und lud Asadho-Präsident Misabiko und seinen Stellvertreter Timothée Mbuya zum Gespräch. Als sie kamen, wurden sie der Subversion bezichtigt und wegen "Verbreitung sensibler Nachrichten" eingesperrt.
Mbuya ist wieder frei, aber Misabiko, 53 Jahre alt und von schlechter Gesundheit, sitzt in einer Zelle im Gerichtsgebäude von Lubumbashi. "Geheimdienst und Staatsanwaltschaft schieben sich gegenseitig die Zuständigkeit zu", sagt Mbuya. Immerhin werde Misabiko nicht gefoltert und man könne ihn besuchen. Verantwortlich für seine Festsetzung sei letztendlich Kongos Präsident Joseph Kabila, so Mbuya: "Die ANR-Leute haben uns gesagt, sie hätten Befehle von oben."
taz: Vor drei Jahren half die Bundeswehr, die ersten freien und fairen Wahlen in der Geschichte der Demokratischen Republik Kongo abzusichern. War der damalige Bundeswehreinsatz aus heutiger Sicht richtig?
Bundesverteidigungsministerium (CDU): Der europäische Einsatz hat erheblich dazu beigetragen, dass die Wahl weitestgehend friedlich verlief und das Wahlergebnis von der kongolesischen Bevölkerung akzeptiert wurde. Damit ist auch aus heutiger Sicht die Operation Eufor RD Congo ein Erfolg.
Auswärtiges Amt (SPD): Die Lage im Kongo gibt Anlass zur Sorge. Dennoch ist klar: Die Mission Eufor RD Congo hatte ein eng begrenztes Mandat. Ihr Auftrag war es, die ersten freien Wahlen im Kongo nach über vierzig Jahren Konflikt zu sichern.
Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul (SPD): Ich habe den Bundeswehreinsatz im Kongo von Anfang an befürwortet und finde ihn auch aus heutiger Sicht richtig. Im diesjährigen "Friedensgutachten" schlagen die Autoren die Ernennung eines Sonderbeauftragten für Menschenrechte im Ostkongo vor - diese Forderung unterstütze ich nachdrücklich. Es ist gerade in der jetzigen Situation unerlässlich, dass wir und andere Geber die Menschen im Kongo nicht im Stich lassen.
Winfried Nachtwei (Grüne): Die Bundeswehrbeteiligung an Eufor war richtig. Ein Großversagen war, dass sich die Bundesregierung danach aus den internationalen Bemühungen zur Friedenskonsolidierung im Kongo davonschlich. Das entwertete den Eufor-Einsatz nachträglich zu einer teuren Operation "Wasserschlag".
Marina Schuster (FDP): Die FDP-Fraktion hat schon bei der Mandatierung (die sie mit deutlicher Mehrheit abgelehnt hat) klargemacht, dass Wahlen nur ein Schritt zur Demokratie sind. Es fehlte an einem klaren Follow-up-Konzept, denn ohne den Aufbau von Polizei und einem funktionierendem Justizsystem kann das Land nicht zu dauerhaftem Frieden finden.
Drei Jahre ist es her, dass in der Demokratischen Republik Kongo die ersten freien und fairen Wahlen in der Geschichte des Landes stattfanden. Unter massivem internationalen Militärschutz, darunter 780 Bundeswehrsoldaten als Teil der EU-Mission Eufor, konnten die 60 Millionen Kongolesen erstmals über ihre Regierung bestimmen. Es siegte Amtsinhaber Kabila. International galt dies als gelungene Demokratisierung.
Heute ist von Demokratie im Kongo wenig zu spüren. Oppositionsführer Jean-Pierre Bemba, der in der Stichwahl 2006 mit 42 Prozent unterlag, wurde im Februar 2007 nach blutigen Kämpfen ins Exil getrieben und sitzt heute beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag in Haft. Das Parlament ist handzahm, seit Parlamentspräsident Vital Kamerhe im März 2009 nach Kritik an der Regierung zum Rücktritt gezwungen wurde. Die wichtigen Entscheidungen fallen nicht in den verfassungsmäßigen Institutionen, sondern im Kreis der Berater der Präsidenten, und werden über parallele Militär- und Geheimdienstapparate ausgeführt.
Die Menschenrechtsorganisation FIDH (Fédération Internationale des Droits de lHomme) beklagte Ende letzter Woche in einem vernichtenden Bericht, den sie gemeinsam mit Asadho und anderen kongolesischen Menschenrechtsgruppen veröffentlichte, die "autoritären Entgleisungen" des Regimes. Jeder, der Kritik am Präsidenten übe oder ihm gefährlich werden könnte, werde mundtot gemacht. Zahlreiche Fälle willkürlicher Verhaftung, Folter und Verschwindenlassen wurden dokumentiert.
Kongos Führung reagiert sehr empfindlich auf den Vorwurf, sie ertrage keine Kritik. Nach Veröffentlichung der Berichte von Asadho und FIDH und weiterer Vorwürfe der Menschenrechtsorganisationen Human Rights Watch und Global Witness, dass die Armee im Ostkongo Mineralien schmuggele und hauptverantwortlich für sexuelle Gewalt sei, behauptete Informationsminister Lambert Mende am Dienstag vor der Presse, die internationalen Organisationen hätten dazu aufgerufen, "die Regierung zu lynchen", mit dem Ziel der "Balkanisierung des Kongo". Zuvor hatte er den französischen RFI-Rundfunk, den meistgehörten ausländischen Sender im Kongo, unter dem Vorwurf der "Demoralisierung der Armee" abschalten lassen, weil er eine UN-Pressekonferenz übertragen hatte.
Die Hoffnung, Wahlen würden für funktionierende demokratische Institutionen sorgen, hat sich offensichtlich im Kongo nicht erfüllt. Als Kabila gewählt wurde, war die Hoffnung auch schon eine etwas andere: Wirtschaft war wichtiger als Politik. Erst einmal stand der Wiederaufbau eines von den eigenen Mächtigen ausgeplünderten Landes an. Das war wichtiger als demokratische Reformen. Investitionen in Infrastruktur und Bergbau im zweistelligen Milliardenbereich, so die offiziellen Planungen, würden auf Jahre hinaus für ein zweistelliges Wirtschaftswachstum sorgen und die Kongolesen zufriedenstellen.
Aber im Herbst 2008 brach die Weltwirtschaft zusammen und die des Kongos auch. Die meisten Investitionsprojekte liegen jetzt auf Eis. Nun stagniert nicht nur die Politik, sondern auch die Wirtschaft. Im September 2008 trat der alte sozialistische Premierminister Antoine Gizenga, eine Leuchtfigur aus den Zeiten der Befreiung in den 60er-Jahren, zurück und konstatierte ernüchtert: "Der Graben der Regression, in den unser Land gefallen ist, ist sehr tief."
Dass Reformen ausgeblieben sind, ist am sichtbarsten im Sicherheitsbereich. Soldaten und Polizisten leben im Kongo noch immer von Willkür und Erpressung. Die nationale Armee (FARDC) zeigte ihre Qualitäten am 29. Oktober 2008, als sie plündernd und mordend von der Front gegen den Tutsi-Rebellenführer Laurent Nkunda im Osten des Landes floh und die Stadt Goma um ein Haar den vorrückenden Rebellen überlassen hätte. Inzwischen sitzt Rebellenführer Nkunda in Ruanda in Haft, und seine Soldaten haben sich Kongos Armee angeschlossen, die nun gegen die ruandischen Hutu-Milizen der FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) kämpft. Die FDLR, geführt oder unterstützt von Leuten, die am ruandischen Völkermord 1994 beteiligt waren, kontrolliert weite Teile der ostkongolesischen Kivu-Provinzen durch Zerstörung ganzer Dörfer, Vergewaltigungen und systematischen Diebstahl.
Aber im Kampf gegen sie ist die Armee keineswegs besser, konstatierte vor zwei Wochen Human Rights Watch in einem Bericht mit dem Titel "Die Soldaten vergewaltigen, die Kommandanten verschließen die Augen". Allein in Nordkivu seien im Jahr 2008 4.820 Vergewaltigungen registriert worden, zwei Drittel davon an Kindern und ein Zehntel an Mädchen unter zehn. Das Hilfswerk Oxfam bestätigt, in den Orten der laufenden Armeeoperation habe "sexuelle Gewalt erheblich zugenommen".
Nicht besser ist die Lage im äußersten Nordosten des Kongo, wo die aus Uganda eingedrungene Rebellenbewegung LRA (Lords Resistance Army) ihr Unwesen treibt. Und im friedlichen Südwesten an der angolanischen Grenze landen immer wieder Lastwagen voller deportierter Kongolesen aus Angolas Diamantenminen, die in der Heimat vor dem Nichts stehen.
Immer mehr autonome bewaffnete Gruppen konstituieren sich nun im Ostkongo, meist auf ethnischer Grundlage. Um dem Schicksal Nkundas zu entgehen, wenden sie sich nicht mehr offen gegen den Staat, sondern stehen mit einem Bein in der Armee und mit einem Bein draußen. Die Grenze zwischen Armee und irregulären Milizen wird dadurch fließend, die Bevölkerung sieht keinen Unterschied zwischen Armee und Milizen und vertraut keiner Seite mehr; die Zahl der Flüchtlinge steigt.
Hinter vorgehaltener Hand gestehen internationale Diplomaten längst ein, dass die Regierung des Kongo "kein Partner" mehr sein kann. Aber noch lautet die offizielle Linie, Kongo sei eine Demokratie und verdiene Unterstützung, vor allem gegen irregulär bewaffnete Kräfte. Die Kombination von offiziell bekundeter Freundschaft und inoffizieller Enttäuschung ist eine Form diplomatischer Schizophrenie: Die europäischen Geberländer behaupten möglichst viel und tun möglichst wenig.
So gibt es jede Menge Unterstützungsprogramme für Armee- und Bergbaureform, aber sie stehen größtenteils nur auf dem Papier. Effektiver ist humanitäre Hilfe in den Kriegsgebieten, aber sie wird durch ständige Überfälle und Störungen durch die Armee und Geheimdienste behindert. Nur scheuen sich Helfer, das offen zu thematisieren. Nicht nur Kongolesen, auch die internationale Gemeinschaft scheint im Kongo zum Schweigen gebracht worden zu sein.
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