Kolumne Landmänner: Verliebt, verlobt und ein bisschen verheiratet
Wir haben das Abendland, den Orient, die menschliche Zivilisation ins Wanken gebracht: mein Mann und ich sind zum Standesamt.
H eiraten macht gleich viel mehr Spaß, wenn die Standesbeamtin aussieht wie Evelyn Hamann, das Trauzimmer früher mal eine Krankenhauskapelle war und die Trauzeugen als Erstes nachfragen, ob man die "Location" denn auch für "Shootings" mieten könne - und die Standesbeamtin dann tatsächlich antwortet, dass an diesem Ort schon mal eine Folge der RTL-Serie "GZSZ" gedreht wurde.
Aber mal toternst: Wir haben es getan! Mein Freund ist jetzt mein Mann und wir sind zwar nicht verheiratet, dafür aber eingetragen lebensverpartnert, amtlich beglaubigt vom Standesamt Neukölln. Und das geht? Diese Frage hatte mir mein Bruder im Vorfeld gestellt. Und ja, es geht. Nur wie genau, das wussten wir ja vorher auch nicht.
Der Staatsakt, vorbereitet dereinst von der rot-grünen Bundesregierung, nahm seinen Anfang an einem spätsommerlichen Abend auf dem Lande vor zwei Jahren. Eben noch hatten wir uns über die Gasrechnung unterhalten und im nächsten Moment sagte mein nunmehr Angetrauter: "Eigentlich könnten wir doch auch heiraten." Der Satz stand dann erst mal etwas sperrig im Raum wie ein monströses Diskursmöbel, auf dem der Papst, Norbert Geis und Volker Beck herumturnen.
Martin Reichert ist Redakteur der sonntaz.
Dann war erst mal keine Zeit. Zwei Jahre lang! Erst als wir gemeinsam Urlaub hatten, konnte es losgehen mit der Dokumentenbeschaffung, deren Höhepunkt eine Fahrt mit der Fähre zum Bürgeramt Caputh bei Potsdam war, in dessen Archiv sich der Beweis für die Existenz meines Mannes befindet. Das Zertifikat meiner selbst konnte ich hingegen problemlos per E-Mail in Westdeutschland anfordern.
Zur Anmeldung im Standesamt Neukölln erschienen wir kurz vor knapp und lasen im Warteraum die behördliche Brautbroschüre, die dank rot-roter Landesregierung sogar ein Unterkapitel "Eingetragene Lebenspartnerschaft" enthält, in dem die reichhaltigen Pflichten und die im Vergleich zur "richtigen Ehe" wenigen Rechte noch einmal aufgelistet sind - dem Finanzamt und der Rentenversicherung ist unser neuer Familienstand egal, aber wenn es um Versorgungspflichten geht, sind wir voll gleichberechtigt, immerhin.
Als wir dann im Amtszimmer den Antrag unterschrieben, wurde mir bewusst, dass wir mit diesem Schritt im Begriff waren, das Abendland, die westliche Welt, den Orient, die menschliche Zivilisation an sich, den Vatikan und Wolfgang Bosbach von der CDU ins Wanken zu bringen. Eine "Homo-Ehe"! Zwischen dem Wohl der Menschheit und Armageddon liegt nur ein hauchdünnes Blatt Papier vom Finanzamt Neukölln: Wenn wir wie verheiratete Heterosexuelle Steuervorteile hätten, würde die bürgerliche Ehe und die Familie als Keimzelle des Staates in sich zusammensacken wie ein Souflée. Man muss als Homo schon aufpassen, was man macht, eine falsche Bewegung und schon bricht die fragile Mehrheitsgesellschaft zusammen.
Als es dann so weit war, machte Evelyn Hamann jedoch einen sehr entspannten Eindruck, hantierte mit ihren Stempeln, die Fernbedienung für die Technics-Stereoanlage stets in Griffweite ("Hamse Ringe? Wollnse Musik?"). Die Trauzeugen digitalisierten das Geschehen und walteten ihres Amtes per Unterschrift - mein Freund und ich hatten nichts weiter zu tun, als "Ja" zu sagen. Fertig.
Am Abend, kurz bevor die Trauzeugen zum rustikalen Essen in unserem brandenburgischen Dorf erschienen, rief ich meinen Bruder an, um ihm mitzuteilen, dass es wirklich geht. Wir tranken zusammen ein Glas Moselwein, den meine Eltern uns geschenkt hatten. Nun ist es also amtlich: Wir halten zusammen, in GZSZ.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen