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BREMEN IM KRIEGUnterwegs in Afghanistan

Die Bremer Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck hat eine Woche lang Soldaten, Polizisten, Schulen, Frauenprojekte, die Universität und afghanische Politiker besucht

Das Kopftuch ist obligatorisch - auch für Marieluise Beck Bild: KAWE

Marieluise Beck, die Bremer Bundestagsabgeordnete, lässt nicht locker. "Afghanistan ist mehr als 4.000 Kilometer weg von Deutschland. Warum sollen deutsche Mütter ihre Söhne dorthin lassen und das Risiko eingehen, dass sie sterben? Sagt mir Argumente!" Beck fragt das die Lehrerinnen, die an neuen Mädchenschulen in den staubigen Vororten von Kabul unterrichten, sie fragt die Deutsch-Studenten an der Universität Kabul, sie fragt die Vertreterinnen von Frauen-Projekten, afghanische Journalisten und Abgeordnete des Parlaments. Die Antworten bleiben vage.

Auf Bitte des Auswärtigen Amtes ist die Grünen-Abgeordnete, die im Auswärtigen Ausschuss sitzt, nach Kundus geflogen. Dort soll sie begutachten, wie die Entschädigung der Opfer des Luftangriffes auf die Tankwagen im vergangenen September voran geht. Eine Woche ist Beck am Hindukusch unterwegs. Immer in gepanzerten Wagen, zu Gesprächen trägt sie selbstverständlich ein Kopftuch. Den Respekt vor den Landessitten zu vernachlässigen, kann in Afghanistan tödlich sein.

In Kundus, am Standort des deutschen "Regionalen Wiederaufbauteams", ist Beck die erste offizielle deutsche Vertreterin, die den Familienoberhäuptern ihr Bedauern über die zivilen Opfer beim Luftangriff erklärt. Bei jeder Fahrt außerhalb des Militärlagers muss sie die schusssichere Weste anlegen. "Je mehr man sich mit Sicherheitskräften umgibt, desto deutlicher macht man sich zum Ziel", sagen deutsche Vertreter von Entwicklungshilfe-Organisationen.

Aber auch sie trauen sich nicht in die Dörfer rund um Kundus, in denen am Karfreitag drei Soldaten beim Versuch, Sprengfallen zu entschärfen, erschossen worden waren. Ein klassischer Hinterhalt: Der Anruf mit dem "Tipp", dass dort ein Sprengsatz verbuddelt sei, kam möglicherweise von Taliban.

Fünf Stunden ist Beck aus Kundus weg, als die Nachricht kommt, dass in der Provinz Baghlan wieder vier deutsche Soldaten durch eine "improvisierte Sprengfalle" getötet wurden. "So viel Freundlichkeit, so viel Ernsthaftigkeit, so viel Zivilität und Verantwortung - ich bin mit dem Gefühl von Kundus weggefahren, dass Sie wissen, wofür Sie in Afghanistan sind, aber auch mit dem Gefühl, dass Sie das Recht darauf haben, dass die deutsche Gesellschaft sich hinter Sie stellt", schreibt Beck in einem Brief an die Kameraden der Getöteten.

Am Tag der Kämpfe in Baghlan besucht sie mit ihrer Delegation auch drei Schulprojekte in der Nähe von Kabul. Sie entstanden durch die unermüdliche Initiative der in Bremen lebenden Deutsch-Afghanin Leila Noor. Zum Besuch der Abgeordneten stehen die Schulmädchen Spalier, Familienoberhäupter und Dorfälteste sind gekommen. Es hat etwas Komisches, wie euphorisch die alten Männer mit ihren langen Bärten die modisch gekleidete Modeschöpferin Leila Noor aus Bremen begrüßen. Und für die Bundestagsabgeordnete haben sie eine klare Bitte: Das Schulgebäude soll aufgestockt werden. Die Zahl der Kinder, die hierhin kommen, steigt rasant.

Vor fünf, sechs Jahren war überall Aufbruchsstimmung, sagen Entwicklungshelfer, die das Land von früheren Einsätzen kennen. Heute ist die Bevölkerung gegen die Regierung Karsai. Das sagen deutsche Entwicklungshelfer, das sagen afghanische Parlamentsabgeordnete. Weil er korrupt ist, weil seine Familie in Drogengeschäfte verstrickt ist, weil er Kriegsverbrecher in seine Regierung integriert hat. Nur mit Köpfen aus der alten Zeit könne man den Staat aufbauen, hält der oberste zivile NATO-Repräsentant, der englische Diplomat Mark Sedwill, dagegen. Warum also nicht auch mit den Taliban?

Wenn die internationalen Truppen gehen, gibt es hier ein Blutbad, sagt Noor zu Marieluise Beck. Alles, was in acht Jahren Wiederaufbau geschafft wurde, stehe auf dem Spiel. Viele Afghanen haben die Bremer Abgeordnete in dieser Woche davor gewarnt.

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5 Kommentare

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  • PM
    Peter Maas

    @end.the.occupation:

     

    "Afghanische Frauen ziehen eben beim deutschen Publikum."

     

    Bei so einem coolen Durchblicker wie dir natürlich nicht. Dir sind die Leute dort nämlich scheissegal.

     

    "Dass solche Schulen - Vorzeigeprojekte, gewissermassen eine Form des Bakschish - auch ohne die Bundeswehr möglich wären - also ohne Besatzer - siehe Reiner Erös - nun ja."

     

    Warst du eigentlich in Afghanistan oder treibst du hier nur ideologische Nabelschau? Du willst uns allen Ernstes erzählen, dass Mädchenschulen und Frauenbildungsprojekte in Afghanistan möglich sind, wenn die "Besatzer" weg sind und der "Widerstand" wieder die Regeln bestimmt? Daran ist doch schon das von der SU unterstützte kommunistische Regime gescheitert, dass sie Bildung für Mädchen und Frauen durchsetzen wollten.

     

    "Bloss nicht erwähnen, warum wir uns überhaupt in Afghanistan befinden. Nicht erwähnen, dass der hunderte Millionen Euro schwere Einsatz ganz allein als eine Geste der Unterwerfung unter die imperiale Staatsraison der USA zu verstehen ist."

     

    Du reihst hier Satz an Satz, aber wo sind deine Beweise? Wenn Deutschland der imperialen Staatsräson der USA unterworfen ist, warum hat es dann keine Soldaten in den Irak geschickt? Dein Gelaber besteht ja noch nicht einmal die simpelsten Plausibilitätstests.

     

    " ... dass die BRD-Herrscher ..."

     

    Und täglich grüßt das Murmeltier. Du wiederholst gerade zum 10000. Mal ein antiimperialistisches Teach-In aus den 70ern. Deine "Iran-Analyse" lasse ich mal unkommentiert stehen - es wird langweilig.

  • M
    Martin

    Da kann man noch so viel strampelt, selbst wenn alle nur guten Willens wären: bei einer korrupten Regierung und Verwaltung, kriminell, mit Drogen- und Menschen-Handel befaßt (zb.Halbbruder Karsais), bleibt die Begeisterung der Afghanen für diese, vom 'Westen' alimentierte Verwaltung eher begrenzt! Der 'Westen', das sind dort die Verbündeten der Korruption.

  • M
    mühsam

    es befremdet an der einst trotzkistischen frau marieluise beck-oberdorf wie an vielen anderen ehemaligen linken , die zu den prokapitalistischen grünen rübergemacht sind,wie unanalytisch und kapitalismusunkritisch und mit welch blinder selbstgerechtigkeit sie glaubt, für "d i e deutsche gesellschaft" sprechen zu können, die sich etwa"hinter die deutschen soldaten" in afghanistan stellen müßte. da ist marxistiscche kriegs-analysefähigkeit gründlich abhanden gekommen!

     

    das besatzungsmächte-affirmative statement einer frau noor , wenn jene abzögen, ginge "alles kaputt, was wir hier aufgebaut haben" wird bei frau b.o. teil gegenwärtiger gehässiger kriegspropaganda , wie sie gerade roger willemsen und g. gysi bei anne will erlitten, in der sie mindestens als "nützliche idioten der taliban" verhetzt werden.

     

    frau beck-oberdorf hat offensichtlich mit niemandem aus dem afghan. widerstand(viel mehr als nur taliban)gesprochen, der eben nicht nur den korrupten einstigen us-manager karsai, sondern auch die besatzungsmächte bekämpft. sie hätte auch mit malalai joya sprechen können und i h r e m sozialen umfeld.

     

    eine so einseitige berichte aus afghanistan zu dem zeitpunkt, als laut cia-geheimpapier die deutsche mehrheit gegen den krieg gerade durch f r a u e n voten aus afghanistan trän enreich gehirn- und gemüt-gewaschen werden soll, spricht dafür, daß sie bloß billige propagandarbeitabliefern , frau beck-oberdorf.

     

    warum denken sie, nennt der im gegensatz zu ihnen noch zu imperialismuskritik fähige daniel elsberg , ein scharfer kritiker des von ihm als verbrecherisch erkannten vietnamkriegs, bushs- und o-bush-amas afghanistan: v i e t n a m istan?

  • E
    end.the.occupation

    Afghanische Frauen ziehen eben beim deutschen Publikum. Nachzulesen in dem CIA-Dokument zur Steuerung der öffentlichen Meinung der BRD.

     

    Dass solche Schulen - Vorzeigeprojekte, gewissermassen eine Form des Bakschish - auch ohne die Bundeswehr möglich wären - also ohne Besatzer - siehe Reiner Erös - nun ja.

     

    Hauptsache, die Mär von der Bundeswehr als Sozialhelfer im Auslandseinsatz kann aufrecht erhalten werden.

     

    Bloss nicht erwähnen, warum wir uns überhaupt in Afghanistan befinden. Nicht erwähnen, dass der hunderte Millionen Euro schwere Einsatz ganz allein als eine Geste der Unterwerfung unter die imperiale Staatsraison der USA zu verstehen ist.

     

    In Kunduz sterben deutsche Soldaten weder für die Freiheit der Afghanen, noch für die Sicherheit der BRD - und auch nicht für Pipeline-Trassen - sondern ganz allein um zu demonstrieren, dass die BRD-Herrscher den Anspruch der USA auf Weltherrschaft anerkennen. (Hoffend, dass sich das für sie an der ein oder anderen Stelle auszahlt...)

     

    Es handelt sich hier um den Tribut eines Vasallen. Tribut in Form einer militärisch/diplomatischen Dienstleistung - wobei das Militärische im Hintergrund steht. (Genauer gesagt besteht der Tribut in der Spende von 'Legitimität'. Durch die Bestätigung des Anspruchs der USA - die bereitwillige Übernahme der von den USA konstruierten Begründungen und Rechtfertigungen für ihre Kriege - dadurch verleihen wir den USA und deren Handlungen 'Legitimität'. Würden wir das nicht tun - uns ernstlich querstellen -, so hätte das natürlich Konsequenzen.)

     

    Aus genau demselben Grund stehen die BRD-Herrscher auch wie ein Mann hinter dem Versuch, die Phantasie-Atommacht Iran zu verhindern und ggf. anzugreifen. Der Iran bedroht weder die Europäer, noch die reale Atommacht Israel. (Der Druck auf den Iran festigt sogar das Regime bei der Repression gegen die eigene Bevölkerung.) Aber der Iran bedroht bzw. beschränkt die Interessen und die Möglichkeiten der USA im Mittleren Osten nach Belieben zu schalten und zu walten.

    Der Iran - obwohl nicht einmal Mittelmacht - stellt sich quer; stellt den Weltherrschaftsanspruch der USA infrage. Deswegen muss er bestraft werden - so wie in der Vergangenheit die Iraker, die Nicaraguaner, die Vietnamesen, die Kubaner, die Philippinos oder die Mexikaner etc. - um nur ein paar der Opfer des Expansionismus der USA zu nennen.

  • L
    Laila

    Von der Front. PK-Berichterstattung über einen Krieg, der einen Sinn erhalten soll.