Geschlechtertrennung in Saudi-Arabien: Audienz für eine Kanzlerin
Angela Merkel reist nach Saudi-Arabien und trifft sich dort mit König Abdullah zum Fototermin. Dass er sich gern mit Frauen ablichten lässt, ist Teil einer heftigen Debatte über Geschlechtertrennung.
KAIRO taz | Die deutsche Kanzlerin beim Fototermin mit dem saudischen Monarchen: Als sich König Abdullah in seinem Wüstenreich am Dienstagabend gemeinsam mit Angela Merkel ablichten ließ, war das zunächst journalistische Routine. Doch das Bild hat hohen Symbolcharakter.
Der Fototermin fällt in eine Zeit, in der die Geschlechtertrennung in Saudi-Arabien eines der meist debattierten Themen ist. Der König selbst hält sich dabei mit Worten zurück, ist es doch gerade das erzkonservative wahabitische religiöse Establishment, das seine Macht legitimiert. Aber er lässt sich fleißig mit Frauen ablichten. Furore machte vor kurzem auch ein Bild, auf dem der König in seiner weißen Robe mitten in einer Gruppe saudischer Studentinnen in ihren schwarzen Abayas zu sehen ist.
Andere versuchen gegen die Geschlechtertrennung mit handfesteren Argumenten vorzugehen. Wie jene junge saudische Frau, die diesen Monat einen Vertreter der Religionspolizei verprügelt hat. Der wollte in einem Vergnügungspark in der ostsaudischen Stadt Al-Mubarraz die Regel durchsetzen, dass sich unverheiratete Paare nicht in der Öffentlichkeit treffen können.
Der "Partner" der jungen Dame fiel in Ohnmacht, also nahm sie die Sache in die Hand. Saudische Frauenrechtsaktivistinnen waren begeistert. "So einen Widerstand zu erleben, bedeutet viel für uns", meint die Aktivistin Wajiha al-Huwaidar. Der Täterin droht zwar eine Haftstrafe, aber sie ist in Internetforen zu einer Heldin geworden.
Dort ist die Religionspolizei seit längerem in der Defensive. "Wenn sie etwas unternehmen, wird das im Internet verbreitet. Das hat dazu geführt, dass ihre Reputation am Boden ist", analysiert al-Huwaidar. Immerhin hat die Religionspolizei begonnen, an ihrem Ruf zu arbeiten.
Ihr ehemaliger nationaler Direktor wurde gefeuert. Ein anderer Vertreter, Scheich Ahmad al-Ghamdi, Chef der Kommission der Religionspolizei in Mekka, gibt Interviews, in denen er die zwangsweise vollstreckte Geschlechtertrennung als unzeitgemäß brandmarkt. Die Polizei soll neu geschult und eine Beschwerdestelle eingerichtet werden.
Aber die Angelegenheit ist noch nicht ausdiskutiert. Mehr als 1.600 saudische Frauen gingen jetzt mit einem Brief an die Öffentlichkeit, in dem sie für die Durchsetzung der Geschlechtertrennung werben. Diese aufzuheben, sei das Werk von Säkularisten, die das Böse, Unmoral und Krankheiten im Königreich verbreiten wollten, heißt es dort.
Einer der Hauptpunkte der Debatte ist die letztes Jahr eröffnete "Kaust", die "King Abdullah University for Science and Technology", in der erstmals Studenten und Studentinnen gleichberechtigt nebeneinander studieren. Dort soll auch Bundeskanzlerin Merkel am Mittwoch eine Rede halten.
Rund um die Uni, die als "Brücke zu anderen Kulturen" vermarktet wird, ist eine Art Stellvertreterkrieg um die Geschlechtertrennung ausgebrochen. Scheich Saad Bin Nasser al-Shithri, ein hochrangiger saudischer Geistlicher, hatte letztes Jahr die gemeinsame Ausbildung von Männern und Frauen kritisiert. Kurz darauf nahm der König seinen Rücktritt aus dem Rat der hohen Geistlichen an.
Die Scheichs spüren immer mehr Gegenwind. Wie der erzkonservative Geistliche Muhammad al-Nujaimi, der sich auch für eine strikte Trennung der Geschlechter in der Öffentlichkeit ausgesprochen hatte. Von ihm tauchte vor wenigen Wochen im Internet ein Video auf, das ihn auf einem Podium in einer fröhlichen Unterhaltung mit einer Frau ohne Kopftuch zeigt.
Es handelt sich um die kuwaitische Feministin Aischa al-Rascheed, die ihn aufs Korn nimmt, weil er sich zuvor immer wieder mit Studentinnen hat ablichten lassen. Seine erste Verteidigungslinie, es handle sich um Werke von Photoshop, musste er fallenlassen, nachdem die Veranstalter an der kuwaitischen Universität mit einer Klage drohten.
Aber die konservativen Scheichs geben nicht auf. Ihr neuster Vorschlag: Die große Moschee von Mekka soll eingerissen werden, denn ihr Design erlaubt, dass sich Männer und Frauen bei der Umrundung der Kaaba treffen, wie Yusuf al-Ahmad, Professor für Islamischen Recht an der Imam Muhammad Bin Saud Universität, feststellt. Er möchte, dass die Muslime den schwarzen Stein in zwei getrennten Etagen umrunden.
Das war selbst anderen Scheichs zu viel. "Was glaubt dieser kleine Universitätsprofessor, wer er ist?", fragt Muhammad al-Sahli, Imam der Al-Jowhara-Moschee in Mekka, "jenen, die ihren religiösen Pflichten in der Moschee von Mekka nachgehen, zu unterstellen, sie hätte keine hehren Motive."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bilanz der Ampel-Regierung
Das war die Ampel
Kritik an der taz
Wer ist mal links gestartet und heute bürgerlich?
Die Regierungskrise der Ampel
Schnelle Neuwahlen sind besser für alle
Die Grünen nach dem Ampel-Aus
Grün und gerecht?
Regierungskrise in Deutschland
Ampel kaputt!
Angriffe auf israelische Fans
Sie dachten, sie führen zum Fußball