piwik no script img

Berliner VerfassungsschutzberichtLinke machen Frieden mit Autos

2009 nahm die linksextreme Gewalt sehr zu - dieses Jahr lässt sie stark nach. Trotzdem sieht SPD-Innensenator Körting "erhebliche Gewaltbereitschaft".

Kein Objekt mehr für brennende Leidenschaft Bild: ap

Feuerattacken auf Fahrzeuge sind in der linken Szene im Jahr 2010 offenbar nicht mehr en vogue. Bis Mitte Juni wurden in Berlin 81 Brandstiftungen ohne politischen Hintergrund registriert, nur bei 16 weiteren vermuten die Ermittlungsbehörden eine politische Motivation. Diese Zahlen nannte Innensenator Ehrhart Körting (SPD) am Dienstag bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes für das Jahr 2009.

Darin wird ein drastischer Anstieg linksextremistisch motivierter Gewaltdelikte in Berlin konstatiert - für das Jahr 2009. Insgesamt wurden 417 Taten registriert, fast zweieinhalbmal so viel wie im Jahr 2008. Entscheidend für die Zunahme war die extrem hohe Zahl der Anschläge auf Fahrzeuge. Sie war von 72 auf 141 geklettert, was zu heftigen Diskussionen über den Umgang mit linksextremen Gruppen geführt hatte.

Mittlerweile ist die Welle der Feuerattacken auf Fahrzeuge wieder deutlich abgeflacht. Ihre Zahl liegt im ersten Halbjahr 2010 fast 80 Prozent unter der des Vorjahres und auch deutlich unter dem Niveau von 2008. Eine "definitive Erklärung" für diesen Rückgang konnte Claudia Schmid, Chefin des Berliner Verfassungsschutzes, nicht nennen. Sie vermutete, dass sowohl Diskussionen in der linken Szene als auch der Fahndungsdruck der Polizei Folgen gezeigt hätten. Zudem sinke die Zahl der Nachahmungstäter.

Verfassungsschutz

Islamisten: Im Jahr 2009 hat es laut Verfassungsschutzchefin Claudia Schmid eine Videooffensive islamistischer Terroristen gegeben, bei der ein klarer Bezug zu Deutschland und Berlin zu erkennen gewesen sei. Im laufenden Jahr habe das merklich nachgelassen. Sorgen machen den Verfassungsschützern weiter die Salafisten, die auch mithilfe von Rappern versuchten, labile junge Menschen zu begeistern.

Rechtsextreme: Für die NPD war 2009 laut Schmid ein überaus schwaches Jahr. Sie sei ein zerrütteter Haufen. Auch der im Februar 2010 neu gewählte Landesvorstand habe das nicht ändern können. Motor der rechtsextremen Szene seien die "Freien Kräfte", die ohne feste Strukturen arbeiten und wie die Linksautonomen als schwarzer Block demonstrieren.

Scientology: Die Sekte wird von Schmid als schlecht wirtschaftendes Unternehmen klassifiziert. Es wolle vornehmlich Kunden Geld abnehmen. Die Investitionen in die Berliner Zentrale hätten sich aber nicht rentiert. Die Zahl der Mitglieder sei kaum gestiegen.

Der Bericht: Eine pdf-Datei steht unter

.

Der Innensenator wollte dennoch keine Entwarnung geben. "Die Zahl der Brandanschläge ist nach wie vor erheblich", sagte Körting. Zudem müsse man die Gewaltbereitschaft der linken Szene insgesamt sehen. So hätten auch Übergriffe auf Polizisten und politische Gegner zugenommen. "Eine Erfahrung, die wir fast tagtäglich machen", sagte Körting. Er erinnerte an den Wurf eines Molotowcocktails auf Polizisten am 1. Mai 2009, an den Feuerlöscher, der ein Jahr später von einem Haus auf Beamte geworfen wurde, sowie die Explosion bei der Demonstration gegen Sozialabbau am Samstag. Dabei waren am Rande des sogenannten schwarzen Blocks zwei Polizisten so schwer verletzt wurden, dass sie operiert werden mussten (taz berichtete).

Was genau dort explodierte, ist nach wie vor unklar. Die Untersuchungen dauern noch an, sagte ein Polizeisprecher am Dienstag. "Ob das ein Polenböller oder etwas anderes war, spielt keine Rolle", meinte Körting. Seriöse Veranstalter von Demonstration müssten sich ganz klar von solchen Gewalttaten distanzieren. "Das fehlt mir", sagte Körting mit Blick auf Samstag. Ein Sprecher des Demobündnisses hatte am Wochenende gesagt: "Wer auch immer die Tat begangen hat, schadet dem Anliegen der Demo und des Bündnisses aufs heftigste." Körting forderte, dass Veranstalter künftiger Protestzüge ihre Bündnispartner besser auswählen und gewaltbereite Gruppen ausschließen.

Die CDU hat unterdessen eine Debatte im Bundestag über den Sprengstoffanschlag beantragt. Ihr Innenexperte Wolfgang Bosbach schlug vor, dass der schwarze Block künftig vor oder hinter einer Demonstration laufen müsse, damit die Polizei Straftäter leichter fassen könne.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • H
    @Horst

    "Wäre mir jetzt ganz neu das Linke Autos anzünden, gibt es Beweise für diese Behauptung?"

     

    Naiv oder schlecht informiert.

    Es gibt nicht wenige Bekennerschreiben und auch schon Verurteilungen. Sagt dir das Kürzel "mg" etwas?

    Lediglich im vergangenen Jahr waren Polizei und Staatsanwälte etwas Schlampig bei der Beweissicherung.

  • H
    Horst

    Wäre mir jetzt ganz neu das Linke Autos anzünden, gibt es Beweise für diese Behauptung?

    Auch die Urheberschaft des "Sprengsatzes" bei der Demo ist unbekannt, es kann genau so gut eine "agent provocateur" Aktion gewesen sein.

    Das die taz, wie die Mainstreammedien, schon mal vorsorglich den Linken die Schuld in die Schuhe schieben will, finde ich enttäuschend.

     

    Leider ist der Verfassungsschutz auch nur Instrument, um durch Desinformation und Meinungsmanipulation das Hauptziel der etablierten Parteien sicherzustellen, nämlich linke Mehrheiten in Deutschland zu verhindern.

  • KE
    Karl Eduard

    Schon Lenin hat gesagt, aus dem Funken muß die Flamme schlagen, also daß es zu Karl Marx Zeiten noch keine Automobile gegeben haben soll, das können Revolutionäre nicht gelten lassen. Wir wissen auch nicht, wie viele Reit- oder Droschkenpferde damals für eine bessere Zukunft ihr Leben lassen mussten, damit wir es heute besser haben.

     

    Auf jeden Fall wird der Umweltverschmutzungsgedanke schwer vernachlässigt bei den jungen Aktivisten, die sonst nach Heiligendamm oder Genua pilgern, damit wir auch morgen noch Luft atmen können. Es sei denn, es existiert ein geheimer Plan, über Feinstaubbelastung die Krankenkassen zum Kollabieren zu bringen.

     

    Daß nach Ludwigshafen, Mölln und Rostock-Lichtenhagen die Rechten den Linken das Feuerlegen überlassen haben, ist für den Kampf gegen Rechts irrelevant. Eine Genossin hat gestern auf MV-Regio ganz klar belegt, warum die Linke gewaltfrei ist, weil sie selbst Gewalt niemals anwenden würde und welchen weiteren Beweises bedürfte es da noch?

  • F
    Feuerwehrmann

    Was für eine Logik ist das denn, die hier von einigen vertreten wird. Ziemlich billiger Verharmlosungsversuch.

     

    Nur weil im Kapital von Marx nichts von Autos anzünden erwähnt wird und weil die Täter am Tatort keine mindestens 10seitige gesellschaftspolitische Analyse hinterlassen, sind linke Gewalttäter plötzlich keine Linken mehr sondern harmlose Irre oder jugendliche auf der Suche nach dem Abenteuer.

     

    Da die meisten rechten Schläger zu dumm sind, um sich jemals mit irgendeiner Theorie beschäftigt zu haben, gibt es nach dieser seltsamen Logik also auch kaum rechte Gewalt?

  • KE
    @Karl Eduard

    Gute Überlegung, aber wahrscheinlich steckt bei den Freizeitrevolutionären auch nur finanzielles Kalkül dahinter. Die wollten nach der Abwrackprämie auf den Zug aufspringen und erhofften sich wegen der Autokonjunktur-fördernden Wirkung ihrer Aktionen eine Abfackelprämie für jedes zerstörte und damit neu zu produzierende Auto. Als die Prämie ausblieb, verloren die Genossen schnell wieder die Lust am zündeln.

  • M
    Makeze

    @ Mark: Ich glaube du liegst falsch. Ich glaube der Verfassungsschutz ist eine in ihren Strukturen unpolitische Organisation, dessen Stellen überwiegend von konservativ und nationalistisch eingestellten Menschen besetzt werden. Schön wäre es wenn die Regierung eine Kampagne starten würde, um den linksgerichteten Flügel mehr in die Exekutive mit einzubeziehen. Aber das würde wahrscheinlich auf zahlreiche verletzungen des Diskriminierungsverbotes hinauslaufen...

  • J
    jan

    Karl Eduard, das ist wirklich revolutionär :-)

     

    Der schwarze Block könnte auch, statt mit dümmster Gewalt die wichtige kritische Masse an Demonstranten gegen diese neoliberale ***ochpolitik wirkungsvoll zu verhindern, einen Oldtimersalon eröffnen und sein Können nicht mit Wasserwerfern, sondern Eisstrahlern, Kitt und Farbe versuchen. Denn jeder Oldtimer, der noch rollt bzw. weiter im Verkehr behalten wird, schadet den Aktienkursen des Schweinesystems.

  • DH
    Dr. Harald Wenk

    Ich stoße mal in das gleiche Horn, wie meine Mitkommentatoren: Einfach "Linksextreme" Gewalt ist eine Motivzuschreibung, die mit linker Theorie, die wie alle Theorie, recht reflektiert über Aufwand und Effekt nachdenkt, nichts zu tun hat.

    Da die Nazis Gewalt als politisches Mittel reflektiert und bewusst eingesetzt haben, und zwar abundant udn taktsich/strategisch, ist rechtsextreme Gewalt mit ihrer Theorie tatsächlcih verknüpft.

    Auch bei bestimmten Islamistischen Gruppen, ist die "Kriegsstrategie" sehr bewusst gewählt.

    Allerdings ist das schon nachzuweisen bei 1,4 Mrd. Islamanhängern. Die über 99,9 % existente "Hauptvariante" ist das mit Sicherheit nicht.

    Sogenannte linksextreme Gewalt wie hier besprochen, als bewusst gewählte Strategie und Mittel, ist hingegen von keiner

    linken Theorie mehr gedeckt, das sollte auch den Polizeiorganen einschließlich Verfassungsschutz

    klar sein. Verzweiflungsakten oder "Racheaktionen" von ver"sprengten" Gruppen mit Veralltäglichungs- oder sozialen Einschleifungsmechanismen sind ein passenderer Interpretationsrahmen. Wie fremd der Polizei doch der Mensch ist.

    Man kann sich auch die Form seiner "Distanzierung" aussuchen, soviel "Bodenhaftung" sollte der "Amtsschimmel" noch haben.

  • KE
    Karl Eduard

    Könnte es sein, das Umweltbewußtsein der Antifaschistinnen und Antifaschisten ist gestiegen? Außerdem ist ja jedes durch Feuer zerstörte Auto ein gefundenes Fressen für die imperialistischen Autohändler, ja, fast könnte man sagen, jedes im revolutionären Feuerkampf zerstörte KFZ nützt der Automobilindustrie. Gut, daß die Genossen jetzt langsam umdenken. Wir haben unsere Erde bekanntlich nur von jemandem geliehen. Wenn die Umweltaktivisten aber tatsächlich revolutionär wirken wollten, würden sie KFZ-Pflegekolonnen aufstellen um dem automobilistisch-industriellen Komplex einen tödlichen Schlag zu versetzen. Der Absatz von Neuwagen würde wegen revolutionärer guter Pflege schlagartig einbrechen, Massenentlassungen wären die Folge und das Proletariat könnte sich mangels Arbeit um die wichtigen Dinge kümmern, die Revolution, statt immer nur arbeiten zu gehen.

  • CP
    coco price

    Ich weiss ja nicht wie diese sog. linksextremistischen Straftaten erfasst werden, aber ich würde mal stark davon ausgehen, dass ein erheblicher Teil dieser Autoabfackelaktionen schlicht Eventrandale war, Wochenendvandalismus der verschärften Form. Und wenn es ein dicker Benz ist macht das eben mehr Bock als wenn es eine alte Schüssel ist. Wenn man diese zweifelhaften Aktionen abzieht - wieviel bleibt dann noch vom angeblichen Linksextremismus?

     

    Mal ganz davon abgesehen, dass es wenig mit linkem Gerechtigkeitsempfinden und linker Gesellschaftsanalyse zu tun hat, das Auto seines Nachbarn anzuzünden.

     

    Wenn ich rumschrei, ich wär ja so rechts, und dann zünde ich nen Kaugummmiautomaten an, läuft das dann unter Rechtsextremismus?

  • M
    Mark

    Der "Verfassungsschutz" ist eine politische Propagandaorganisation. Das sollte dem taz-Leser hoffentlich klar sein.