: Sandsackwerfen für alle
Die körperliche Leistungsfähigkeit der Schüler in Deutschland nimmt kontinuierlich ab. Aber die Rettung ist da: Seit Anfang November müssen sich die etwa 750.000 niedersächsischen Schüler einem Fitnesstest unterziehen
Erst Pisa, und jetzt das: laut einschlägigen Studien leiden 15 bis 20 Prozent der deutschen Schüler an Übergewicht. Der niedersächsische Kultusminister Bernd Busemann wollte sich damit aber nicht abfinden und hat seinen Schulen darum einen Fitnesstest verordnet. Anhand von sieben Übungen sollen Ausdauer, Kraft und Koordinationsfähigkeit getestet werden. Auf dem Programm: Klassiker wie Rumpfbeugen, Sechs-Minuten-Lauf ebenso wie das gezielte Werfen von Sandsäckchen. Durchgeführt werden soll der Test von den Sportlehrern im regulären Unterricht, die Teilnahme ist für alle Schülerinnen und Schüler von der sechsten bis zur zehnten Klasse verpflichtend.
Die „flächendeckende Erfassung einer ganzen Schülergeneration“, so Busemann, biete eine neue Grundlage für die Diskussion über Fitness und Gesundheit. Die durch die Fitnesslandkarte gewonnenen Erkenntnisse könnten von den Sportlehrern direkt im Unterricht eingesetzt werden.
Die Ergebnisse der Tests sollen im Internet mittels eines Passwortes für die Schüler abrufbar sein, die so ihre eigene Leistung mit dem Klassendurchschnitt, aber auch mit dem anderer Schulen vergleichen können. Der landesweite Vergleich untereinander soll es den Schülern erlauben, in einen virtuellen Wettstreit zu treten, der sie zu größeren Leistungen anspornen soll.
Seit dem Erlass des Tests im Oktober stößt die Initiative allerdings auf heftige Kritik. „Die Sportlehrer brauchen diesen Quatsch nicht“, heißt es von Seiten der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Seit PISA herrsche eine „regelrechte Sucht der Datenerhebung“. Dass daraus praktische Konsequenzen für den Sportunterricht folgen werden, bezweifelt die GEW. Der Test sei unwissenschaftlich und würde bestehende Hierarchien unter den Schülern nur verfestigen. Zudem sei – anders als vom Kultusministerium behauptet – der Datenschutz noch keineswegs gewährleistet.
Peter Elflein, Sportwissenschaftler an der Universität Osnabrück, formuliert seine Bedenken vorsichtiger. Man müsse abwarten, auf welche Weise die Ergebnisse letztendlich verwertet würden, meint er. „Bewegung wird oft nur als Ausgleich zu den Sitzfächern verstanden.“ Ein Verständnis von Fitness, das sich allein auf Kondition und Präzision konzentriere, verliere die Verbindung von Körper und seelischem Befinden aus dem Auge und propagiere einen zu engen Begriff von Gesundheit. Es bestehe die Gefahr, dass die emotionalen und sozialen Qualitäten des Sportunterrichts vernachlässigt würden.
Ob die neuen Fitnesstests überhaupt Auswirkungen auf den Sportunterricht haben werden, steht allerdings noch in den Sternen. Die Ergebnisse sollen noch vor Weihnachten vorliegen. Benjamin Moldenhauer
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