Polizei: Kurze Körperverletzung ist okay
Ein Drogenfahnder soll ohne Vorwarnung einen Dealer gewürgt haben, damit der Kokainkugeln nicht verschluckt. Das Bremer Amtsgericht findet die "kurze und energische Diensthandlung" rechtmäßig.
Das Amtsgericht Bremen hat es für zulässig erklärt, dass Polizisten Verdächtige ohne Ankündigung würgen, um das Verschlucken von Beweisen zu verhindern. Am Dienstag verurteilte es einen 36-Jährigen wegen Drogenbesitzes, Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung zu einer Geldstrafe.
"Ein kurzes energisches Zugreifen mit einer Hand an den Hals des Angeklagten stellt nach Überzeugung des Gerichts eine rechtmäßige Diensthandlung dar", schrieben die Richter. In ihrer Urteilsbegründung ging die Kammer auch auf die Umstände ein, unter denen der aus Gambia stammende S. seinerzeit von dem Bremer Drogenfahnder K. gestellt worden war.
Der Vorfall selbst liegt knapp drei Jahre zurück: Am Abend des 23. November 2007 beobachtete Kommissar K., wie S. vor der Gaststätte "Piano" im Bremer Steintorviertel einer Frau Kokainkügelchen verkaufte, die er zuvor in seinem Mund versteckt hatte. Der Beamte schritt ein und glaubte, dass S. noch weitere Kokainkugeln im Mund habe.
Die Strafprozessordnung erlaubt es, Verdächtige körperlich zu untersuchen, um Beweise zu sichern.
Ohne Einwilligung des Beschuldigten sind dazu Entnahmen von Blutproben und andere körperliche Eingriffe, die von einem Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommen werden - so lange "kein Nachteil für die Gesundheit zu befürchten" ist.
Ins Koma gefallen und später gestorben war 2005 in Bremen der Sierra Leoner Laya Condé. Zuvor hatte ihm die Polizei zwangsweise ein Brechmittel eingeflößt, weil er auf der Straße gedealt und Kokainkugeln verschluckt hatte.
Vier Jahre zuvor bereits war in Hamburg der 19-jährige Kameruner Achidi John nach gewaltsamer Brechmittelvergabe gestorben.
Mit "körperlichen Nachteilen" hätten "Schwerstkriminelle" eben zu rechnen, sagte zum Fall Condé Bremens damaliger Innensenator Thomas Röwekamp (CDU).
Was dann geschah, ist strittig: Nach S.s Aussage sei K. auf ihn zugekommen, habe ihn mit der linken Hand am Hinterkopf gefasst und mit der rechten Hand seinen Hals zugedrückt. Der Polizist hingegen sagt, er habe S. nur an den Kiefer gefasst, um ihn am Schlucken zu hindern. Klar ist, dass es anschließend zu Handgreiflichkeiten kam - drei Polizisten überwältigten S. schließlich. Sie fanden zwei Kugeln mit 0,2 Gramm Kokain bei ihm.
In der Verhandlung konnte das Gericht nach eigenen Angaben die "Version des Angeklagten nicht widerlegen" - es ging davon aus, dass der Afrikaner die Wahrheit gesagt haben und von K. ohne Vorwarnung gewürgt worden sein könnte. Dies sei jedoch legitim, erklärten die Richter: Weil K. "keine weniger einschneidenden Mittel zur Verfügung" gestanden hätten. Die "Anwendung unmittelbaren Zwangs" habe der Polizist "wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit" auch nicht anzukündigen brauchen. Sonst hätte aus Sicht des Gerichts "Gefahr bestanden, dass die Durchsuchung von S. ins Leere lief".
Vor allem aber fanden die Richter den Vorgang unproblematisch, weil K. ja nur kurz mit einer Hand gewürgt habe: "Anders würde es sich bei einem mehr als kurzfristigen Würgen mit beiden Händen verhalten."
Seit dem Tod des Sierra Leoners Laya Condé, der 2005 nach einer zwangsweisen Brechmittelvergabe durch die Polizei gestorben war, können mutmaßliche Dealer in Bremen in eine Abführ-Zelle mit einer Spezialtoilette gesperrt werden. Dort sollen verschluckte Drogenpäckchen auf natürlichem Wege ausgeschieden und sichergestellt werden. Dieser Weg erfordert allerdings einen meist nächtlichen Richterbeschluss und ist auch sonst aufwendig - gut möglich, dass K. keine Lust auf die Scherereien hatte.
S.s Anwalt Jan Sürig hält die gerichtliche Billigung des Würgens für "brandgefährlich": Aus seiner Sicht ebnet das Urteil "einer vermutlich lebensgefährlichen Polizeipraxis den Weg". Tatsächlich verläuft die Speiseröhre hinter der Luftröhre - wer Schlucken verhindern will, muss auch die Atmung unterbrechen. "Das ist sehr gefährlich und kann sogar tödlich sein, wenn man stark drückt", sagt der Vorsitzende des Bremer Hausärzteverbandes, Hans-Michael Mühlenfeld.
"Ungewöhnlich und sehr gewagt", findet auch der Polizeibeamte Martin Herrnkind von der Fachgruppe Polizeirecherche bei Amnesty International das Urteil. "Würgen zur Beweissicherung ist ein erheblicher Grundrechtseingriff", sagt er. Normalerweise würden "alle Gewaltmaßnahmen in der Polizeiausbildung rauf- und runter trainiert". Würgen sei dabei überhaupt nicht vorgesehen. "Da ist kaum zu prognostizieren, ob es gesundheitliche Folgen gibt."
Herrnkind bezweifelt deshalb, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt ist. Ohnehin müsse man sich fragen, ob solch ein Vorgehen zur Sicherstellung von 0,2 Gramm Kokain angemessen sei. "Wenn jemand ohne Ankündigung gewürgt wird, ist kaum zu erwarten, dass diese Person das duldet und sich nicht wehrt." Es sei "völlig logisch, dass es dabei zu Handgreiflichkeiten kommt". Dass S. auch noch wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt wurde, kann Herrnkind deshalb nicht verstehen.
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