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Hubertus Heil über Hartz IV-Reform"Das riecht nach Willkür"

Die Regierung müsse sich bei Bildungspaket, Mindestlohn und Regelsatz bewegen, sagt SPD-Vizefraktionschef Hubertus Heil. Sonst stimme seine Partei der Reform nicht zu.

"Wir müssen jetzt die Konsequenzen ziehen." Bild: ap
Paul Wrusch
Interview von Paul Wrusch

taz: Herr Heil, die Hartz-IV-Reform ist im Bundesrat gescheitert, jetzt sucht der Vermittlungsausschuss nach einem Kompromiss. Unter welchen Umständen wird die SPD einer Neuregelung zustimmen?

Hubertus Heil: Drei Dinge müssen sich bewegen: Wir brauchen ein echtes Bildungspaket, etwa durch mehr Schulsozialarbeit, und die Sicherstellung eines warmen Mittagessens für alle Kinder von Geringverdienern. Zudem brauchen wir eine transparente Berechnung der Regelsätze und Fortschritte im Bereich der Mindestlöhne.

Sie fordern eine transparente Berechnung. Wo hat Schwarz-Gelb denn falsch gerechnet?

Es gibt erhebliche Zweifel, dass das, was Schwarz-Gelb vorgelegt hat, den Ansprüchen des Bundesverfassungsgerichts entspricht. Es wurden etwa nur die unteren 15 Prozent der Einkommensbezieher als Bezugsgröße gewählt, bisher waren es die unteren 20 Prozent. Das riecht nach Willkür.

Mit der Mini-Erhöhung um 5 Euro sind Sie also nicht einverstanden?

Nein. Wir wollen das nachvollziehbar miteinander berechnen. Momentan fährt Frau von der Leyen die Strategie "Warme Worte, kalte Taten". Ich weiß nicht, ob ihre aktuellen Äußerungen die Verhandlungen wirklich nach vorn bringen.

Hubertus Heil

Hubertus Heil, 38, ist Vize-Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und dort zuständig für die Themen Wirtschaft und Arbeit. Er ist seit 1998 im Bundestag und war von 2005 bis 2009 Generalsekretär der SPD.

Wie hoch müsste der Regelsatz sein?

Wir setzen zwar keine wilden Zahlen in die Welt, gehen aber davon aus, dass die Bezugsgröße, die gewählt wurde, nicht stimmt. Das muss man gemeinsam berechnen, dann kommt auch ein anderer Betrag heraus.

Das klingt nach viel Arbeit. Ist das denn im Januar noch zu schaffen?

Wir haben unsere Vorschläge vor Weihnachten vorgelegt, jetzt muss sich die andere Seite bewegen, und wir können zu einer schnellen Lösung kommen.

Reicht Ihnen ein Mindestlohn etwa bei der Zeitarbeit aus?

Um den Lohnabstand zu wahren, braucht es den gesetzlichen Mindestlohn. Dringend braucht die Zeit- und Leiharbeit, aber auch die Weiterbildungsbranche den Mindestlohn.

Steckt die SPD nicht in einem Dilemma, wenn sie eine Reform, die sie selbst erfunden hat, jetzt als unsozial geißelt und Korrekturen fordert?

Nein. Karlsruhe hat mit dem Urteil ja der Politik insgesamt ins Stammbuch geschrieben. Und man muss bedenken, dass damals alle beteiligt waren, CDU und FDP genauso wie wir und die Grünen. Deshalb muss man jetzt die Konsequenzen ziehen und darf nicht wieder sehenden Auges in eine verfassungswidrige Lösung laufen.

Glauben Sie, dass die Menschen Ihnen das abnehmen und die SPD als soziale Alternative sehen.

Ich bin der Überzeugung, dass die Leute wissen, dass das Thema soziale Gerechtigkeit bei der SPD besser aufgehoben ist als bei Schwarz-Gelb.

Haben Sie die Latte für Schwarz-Gelb nicht zu niedrig gehängt?

Nein, diese genannten Punkte sind erreichbar, wenn alle Seiten sich bewegen. Sie sind auch sinnvoll. Am Ende des Tages geht es darum, die Lebens- und Bildungschancen von Kindern und auch Erwachsenen zu verbessern.

Wie stehen die Chancen, dass man bei der nächsten Verhandlungsrunde Anfang Januar schnell zu einem Ergebnis kommt.

Das kommt darauf an, ob Schwarz-Gelb dazu bereit ist, auf diese Vorschläge einzugehen. Frau von der Leyen hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem sie im Bundesrat Schiffbruch erlitten hat. Wir haben mit den Grünen klare Vorschläge gemacht. Jetzt müssen die anderen sagen, was geht, und nicht dauernd, was nicht geht.

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12 Kommentare

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  • W
    Wolfgang

    Die sozialen Themen werden mit zunehmender Konjunktur erst einmal weiter an Gewicht verlieren. Die althergebrachte Sozialdemokratie befindet sich auf ihrem historischen Niedergang, das ist vermutlich keine Frage des Personals. Ich fände es regelrecht dumm, wenn diejenigen Wähler, die den Schröder abgelehnt hatten, nun einem Gabriel zujubeln würden. Das würde das kollektive Leiden nur verlängern. Unter 5 Mill Arbeitslosen wird hier niemand ernsthaft über eine neue Struktur- und Wertegemeinschaft nachdenken. Außer ein paar "Extremisten", denen die Schicksale der Leute egal sind, die aber ihre eigene Suppe daran aufwärmen wollen. (Nebenbei gesagt, ich kriege 580 Euro Rente und zahle seit 11 Jahren 327 Euro Kreditrate davon ab, damit ich mein bescheiden klein Häuschen nicht verliere. Grundsicherung wurde mir nicht zugebilligt. Man knirscht mit den Zähnen aber man hält es aus. Ich lasse mir nicht vorwerfen, daß ich hier aus Dummheit einen Westen im Osten haben wollte. Ich erlaube Euch hiermit untertänigst, aus meinem Gerippe nach meinem Ableben eine Vogelscheuche zu basteln, die könnt Ihr dann noch 20 Jahre vermieten.

  • FG
    Friedrich Grimm

    Die Einstellung der meisten Kommentatoren scheint zu sein, dass man sich von Schwarz/Gelb gerner hinters Licht führen lässt; das mal vorneweg. Ich erlaube mir an Folgendes zu erinnern, und vielleicht reicht bei einigen das Gedächtnis noch dazu aus. Als erstes kassierte Rot/Grün das Willkürgesetz von Kohl, nämlich die Streichung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

    Nach sechzehn Jahren Kohl waren Reformen unausweichlich. Bis dann die sogenannten Hartz-Gesetze "geboren" wurden, war der Bundesrat CDU-dominiert. Und den CDU-Ministerpräsidenten war keine Gemeinheit groß genug, um diese in die Hartz-Gesetze hineinzubuchstabieren, ansonsten drohte die Blockade. Schröder hat nachweisbar das Allgemeinwohl über dads seiner Partei gestellt. Ein Ombudsrat wurde eingesetzt, um Fehlentwicklungen der Hartz-Gesetze aufzuspüren. So weit so gut! Wenn die SPD heute Fehler und Fehlentwicklungen korrigieren will, dann ist das nicht mehr als recht und billig.

    Was die Debatte um das Renteneintrittsalter ab 67 Jahren betrifft, so wurde auf Betreiben der SPD, in der großen Koalition, eine Überprüfungsklausel ins Gesetz hineingeschrieben, um die Entwicklung der betroffenen Altersgruppe zu überprüfen. Während Frau v.d. Leyen (CDU) von Verbesserung spricht, gar so tut als ob es diese Klausel überhaupt nicht gäbe, behauptet der Chef der Arbeitsagentur, Weise CDU, das Gegenteil; soviel zur Glaubwürdigkeit dieser Partei. Die derzeitige Entwicklung läuft auf eine weitere Rentenkürzung hinaus. Und diese hatten wir, zugegebenermaßen, bereits unter Rot/Grün. Stichwort: Riesterrente!

  • N
    Nordwind

    Soziale Gerechtigkeit und SPD? Dazu braucht es erst einmal neues Personal.

     

    Solange es so etwas wie den neoliberalen Block (Seeheimer Kreis) gibt wird jede soziale Ausrichtung der SPD ein Schauspiel bleiben. Diese Partei hat sich noch in keiner Weise von ihren Altlasten befreit.

  • N
    Nadi

    @Schorsch W.

    Ich stimme ihnen zu.

    Hinzufügen möchte ich, dass der Ansatz Fordern und Fördern nichts damit zu tun hat, eine Arbeit zu finden, sich zu qualifizieren oder irgendeine Form der Integration zu erreichen. Das wären doch aber die Kernpunkte echte positiver und effizienter Arbeitmarktpolitik gewesen.

    Insofern: Hubertus Heil hat eine verdrehte Sicht auf die Regierungsjahre. Und die Ministerin haut ganz gut auf die Pauke - da sollte die SPD zuerst mal nachfassen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Arbeitlose mit 359 oder 309 EURO wirklich ständig Alkohol oder Tabak kaufen können.

  • K
    KlugChekka

    "Ich bin der Überzeugung, dass die Leute wissen, dass das Thema soziale Gerechtigkeit bei der SPD besser aufgehoben ist als bei Schwarz-Gelb".

    Hm, hier muß ich Herrn Heil massivst widersprechen. Die 7 SPD/Grünen-Regierungsjahre haben leider gezeigt, dass es wurscht ist, welche neoliberale Regierung über uns herrscht. In den 7 SPD/Grünen- Regierungsjahren verarmten 1 Million Kinder zusätzlich. Von allen weiteren Folgen dieser relativ kurzen Zeit gar nicht zu reden... Außerdem haben Schröder und Fischer einen gigantischen Wahlbetrug begangen. Sie haben den Menschen bis zur Regierungsübernahmen 1998 etwas anderes versprochen, als das, was sie nachher tatsächlich taten. Aber, um einen bekannten SPDler (Müntefering, den GottKaiserKönig der SPD)frei zu zitieren: die Menschen können doch nicht erwarten, dass wir nach der Wahl halten, was wir vorher versprechen.Tja, Herr Heil...und SPD und Grüne...wie würde es wohl nach einer erneuten Regierungsübernahme mit den schönen Versprechen ausschauen? Die Grünen machens vor, wies funktioniert, die haben auf ihrem Parteitag schon mal einen Gegenantrag zur Rente mit 67 still und heimlich aus dem Parteitag gezogen... ein Schelm, wer sich dabei was denkt.

    Der Geist, der politisch/medial vorherrscht, ist neoliberal. Lediglich ein verschämtes Mäntelchen bedeckt sein aktuelles Wirken. Weiter gehts flott mit dem Herrschaftsspruch: "Dazu gibt es keine Alternative". Hm, ist es so?

  • SW
    Schorsch W.

    Menschenbild im SGB II (Hartz IV)

     

    Mittlerweile sagte selbst BA-Vorstand Alt, dass ein Leben mit Hartz IV entwürdigend sei. Aber bei genauerem Hinsehen, bringt das Gesetz mit seinem Wortlaut diesen entwürdigenden Zustand hervor. Das war ja die Absicht des Gesetzgebers, nämlich die Betroffenen abzuwerten ... sie im Gesetzestext als Versager und Faulenzer darzustellen, sie niederzumachen, sie zu erniedrigen ... und diese Abwertung als zu deren “Motivation” dienlich darzustellen. Etwa nach dem Motto: Bis jetzt habt ihr versagt, nun zeigt endlich, das ihr was leisten könnt. Das wiederum setzt voraus, als gäbe es ausreichend freie Stellen zu besetzen, als gäbe es Vollbeschäftigung. Das SGB II ist eine einzige Halluzination - und auf dieser Grundlage werden im Moment die Regelsätze ermittelt: Wahnsinn per Gesetz, Wahnsinn als Gesetz!

  • W
    Weinberg

    Der Hartz IV-Brandstifter Heil (SPD) gefällt sich als Anwalt und Retter der Hatz IV-Opfer. Herr Heil bietet eine schäbige Schmierenkomödie!

  • H
    Harro

    Wenn Hubertus Heil „Sicherstellung eines warmen Mittagessens für alle Kinder von Geringverdienern“ fordert, obwohl es um Hartz-IV geht, dann stellt sich die Frage, warum?

     

    Tja, warum wohl?

     

    Weil die SPD durch die Hartz-IV-Reform einen solchen Armutsverdienst erst ermöglicht hat: Seit 2005 können Arbeitnehmer arbeiten, dennoch Geld von der ARGE beziehen, das heißt: Sie können arm sein und trotzdem in Vollzeit arbeiten. Das betrifft vor allem Väter, Mütter, Familien und sehr wenige Singles. Damit hat die SPD ihre Familienfreundlichkeit auf eine katastrophale Weise demonstriert. Anscheinend reichte es der Partei nicht, dass Kinder das Armutsrisiko par Excellence in Deutschland sind. Der Armutskombilohn schützt nicht vor Armut, sondern ermöglicht erst Einkommensarmut – das ist doch die Wahrheit.

     

    Aber von der hält Hubertus Heil nicht viel, wie sich auch wieder aus diesem Interview entnehmen lässt. Wenn er dann behauptet, die Ministerin von der Leyen verfolge eine Strategie "Warme Worte, kalte Taten“, dann hat er offenbar die letzten Verlautbarungen dieser Frau ignoriert. Sie hat pünktlich zu Weihnachten noch Abfälliges über Arbeitslose heraus posaunt und sich dabei in der Kategorie Sarrazin bewegt, aber der hält sich ja für einen strammen SPDler (das Wort Genosse will ich in diesem Zusammenhang lieber nicht nennen).

     

    Zum Schluss dann noch mal das Plädoyer für den eigenen Laden. „Ich bin der Überzeugung, dass die Leute wissen, dass das Thema soziale Gerechtigkeit bei der SPD besser aufgehoben ist als bei Schwarz-Gelb.“

    Das mag ja sogar noch stimmen, denn nachdem die Arbeitslosen, Armen, arme Kinder und Jugendliche auf bodenlose Armut gesenkt wurden, hatte bei der SPD tatsächlich keiner mehr Interesse, noch weitere Kürzungen durchzuführen. Aber ohne die SPD hätte es diese extreme Armut gar nicht gegeben. Für mich ist Hubertus Heil langsam ein Phänomen.

     

    Seine Interviews entblößen ihn immer ganz von alleine – der braucht gar keine politischen Gegner dazu.

     

    Es würde mich nicht wundern, wenn die Ministerin die SPD bis Mai windelweich gekocht hat und die Arbeitslosen 8 EURO erhalten und Hubertus Heil dieses dann noch lobt. Das würde dann auch wieder zur Agenda 2010 passen.

  • A
    Andrew13

    Sehr geehrter Herr Heil,

     

    dieses Interview - in kaltem Technokratendeutsch gehalten, voller Klauseln - schlägt dem Fass den Boden aus. Wie kann man nur so ignorant hinsichtlich der eigenen und auch der Partei-Vergangenheit sein. Haben Sie, Herr Heil, die kruden HARTZ-Lösungen nicht damals in Ihrer großen, nicht endenden Tour durch die Talkshows verteidigt? War nicht damals offensichtlich, zu was dass führen würde, wenn man "die da unten drückt" (nämlich zu einer massiven Ausweitung des Niedriglohnsektors und einer dramatischen Fortschbreibung der sozialen Spaltung im Land)? Hatte Ottmar Schreiner nicht stets gesagt, was man mit klarem Verstand und ausreichend Herz ohne weiteres erkennen konnte?

     

    Herr Heil, dieses Interview macht mich wütend!

  • R
    reblek

    Wie ärmlich dieser Haufen ist. Und wie noch ärmlicher sein Personal.

  • OM
    Olaf Mertens

    Ich bin ganz sicher der letzte der dieser Regierung und ihrer "Sozial"ministerin das Wort redet, nur frag ich mich, heil. Hubertus, wer hat die Hartz-Gesetze mit ihrer fehlerhaften Berechnung nochmal verabschiedet? Und wer war das bloß, der in zweieinhalb Legislaturperioden an der Macht keinen Mindestlohn eingeführt hat und jetzt auf einmal vorgibt so vehement dafür zu streiten? Ihr lasst Euch von den Neoliberalen an der Leine führen, solange Ihr ein Mandat habt und jetzt, wo Ihr in der Opposition seid plustert Ihr Euer soziales Gewissen auf - ich finde das lächerlich!

  • K
    Klingelhella

    Hr. Heil leidet unter totalem Realitätsverlust bzw. befindet sich einem kognitiven Kokon, wie die Fragen des Interviewers sehr schön aufzeigen konnten.

     

    Beispiele:

    "Und man muss bedenken, dass damals alle beteiligt waren, CDU und FDP genauso wie wir und die Grünen." --- Woran beteiligt? Antwort auf die gestellte Frage? Thema verfehlt. Noch nicht mal ein leises "sorry" geheuchelt.

     

    "Ich bin der Überzeugung, dass die Leute wissen, dass das Thema soziale Gerechtigkeit bei der SPD besser aufgehoben ist als bei Schwarz-Gelb." --- Fragen Sie lieber mal die Leute, Hr. Heil. Die SPD muss endlich die Schröder-Jahre aufarbeiten, um wieder glaubwürdig zu werden; solange man solches Personal wie die Hrn. Heil und Steinmeier behält, wird allerdings noch nicht mal überetikettiert.