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Jobcenter und Hartz IVKlagen lohnt nicht

Die Jobcenter sind an geltendes Recht gebunden und können Hartz-IV-Sätze nicht eigenmächtig erhöhen. Auch bei Klagen müssen die Sozialrichter das geltende Recht anwenden.

Warten auf höhere Bezüge? Schlange in einem Jobcenter. Bild: dpa

FREIBURG taz | Nach dem vorläufigen Scheitern der Hartz-IV-Verhandlungen empfiehlt der Paritätische Wohlfahrtsverband den Betroffenen, notfalls auf höhere Sätze zu klagen. Viel bringen wird das aber nicht.

Zunächst sollen die Hartz-IV-Empfänger bei ihrer zuständigen Behörde, der Arge oder dem Jobcenter, einen Antrag stellen, empfiehlt der Wohlfahrtsverband. Dort soll eine Erhöhung des Regelsatzes und Bildungsleistungen für Kinder verlangt werden. Bei Ablehnung des Antrags sollen die Hartz-IV-Empfänger klagen, rät Verbandsgeschäftsführer Ulrich Schneider.

Die Bundesagentur für Arbeit ist über die Empfehlung verärgert. "Jetzt gegen die Entscheidung der Jobcenter Widerspruch einzulegen, ist unnötig und entbehrt jeder Grundlage", sagte Vorstandsmitglied Heinrich Alt. Tatsächlich sind die Jobcenter bis zu einer Gesetzesänderung an die geltenden Hartz-IV-Sätze gebunden und können diese nicht nach Gutdünken erhöhen. Auch die Sozialrichter müssen das bestehende Gesetz anwenden.

Das Bundesverfassungsgericht hat von Bundestag und Bundesrat zwar eine Neuregelung bis zum 31. Dezember 2010 gefordert. Es hat aber nicht bestimmt, welche Sätze gelten sollen, wenn der Gesetzgeber die Frist verstreichen lässt. Das ist auch konsequent, denn das Gericht hat nicht die Höhe des Hartz-IV-Satzes beanstandet, sondern die Berechnungsmethode.

Deshalb ist es aus Sicht des Gerichts nicht dramatisch, wenn der bisherige Satz noch weiter gilt. Ein Anreiz zum Bummeln ist für den Gesetzgeber damit aber nicht verbunden. Denn wenn das neue Gesetz beschlossen ist, soll es rückwirkend zum 1. Januar gelten. Die Differenz zu eventuell erhöhten Sätzen müsste dann für einige Monate nachbezahlt werden, ohne Antrag.

Sollte der Gesetzgeber zu lange zögern, könnten Sozialgerichte auch wieder das Bundesverfassungsgericht einschalten - damit Karlsruhe nun doch eine Übergangsregelung anordnet. Für diesen Schritt genügt aber eine Handvoll Musterkläger.

Schon seit Februar 2010 können Hartz-IV-Empfänger, die außergewöhnliche Belastungen haben, eine Zusatzhilfe beantragen. Gedacht ist an chronisch Kranke, die viel oder teure Medikamente brauchen und von der Krankenkasse kein Geld dafür bekommen.

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15 Kommentare

 / 
  • JG
    Josef Gockel

    Ich muss mich doch über Ihren Artikel wundern. Das Heinrich Alt mitteilt, dass die Jobcenter an Recht und Gesetz gebunden sind, ist richtig. Jedoch ist es falsch davon auszugehen, dass Sozialgerichte an diese Gesetzgebung gebunden sind. Jedes Gericht der Sozialgerichtsbarkeit darf die Verfassungsmäßigkeit nach seiner Überzeugung prüfen und in Frage stellen. Sollte es zu dem Schluss kommen, dass die Regelungen möglicherweise verfassungswidrig sind, kann es dem BVerfG eine Richtervorlage unterbreiten. Insoweit hält sich das Gericht auch an Gesetz und Recht, wenn es die betreffenden Normen in Frage stellt. Beim Regelsatz ist das nicht unwahrscheinlich. Die Berechnungen sind meines Erachtens jeder Realität fern.

    Jeder sollte die Erhöhung der Regelsätze auf die vom Paritätischen Gesamtverbandes empfohlenen 416 Euro beantragen. Richtig ist, dass der Antrag abgelehnt werden wird. Dagegen sollte Widerspruch erhoben werden. Diesem Widerspruch wird ebenfalls nicht stattgegeben. Und dann hilft nur eins; Klagen. Das sollten Sie alle tun; klagen, dann besteht eine große Möglichkeit, die Verfassungswidrigkeit der Regelungen überprüfen zu lassen, um möglicherweise einen höheren Regelsatz zu erhalten.

     

    Wer Angst vor den Kosten hat. Es besteht für ALG II ein Anspruch auf Beratungshilfe und Prozesskostenhilfe.

     

    Viele Grüße

  • S
    Stefan

    Wolfgang:

     

    "Einmal Hartz IV immer Hartz IV. Und fünf Euro sind genug! Ein Rentner bekommt keine 5 Euro mehr"

     

    davon abgesehen, dass Rente und ALG II nicht gemien haben und es deshalb unsinnig ist, diese miteinander zu vergleichen, ist es tatsächlich eine Sauerei, die Renten nicht an die Inflation anzupassen.

     

    Dies führt dazu, dass neben der Schar an heutigen Rentner, die bereits ergänzend Grundsicherung bekommen, das zukünftig noch in weitaus höherer Zahl machen müssen (s.a. Beitrag von "heragema").

     

    Und für diese nicht unerhebliche Zahl an Rentnern bedeuten 5 Euro Regelsatzerhöhung dann sehr wohl ebenfalls eine 5 Euro höhere "Rente".

     

    vg, stefan

  • L
    Leih

    ..... merkwürdig. Kein Wort darüber, dass die Streichung des Elterngeldes für H4 Empfänger bereits umgesetzt wurde, die Bescheide dazu wurden bereits vor "Inkrafttreten des Gesetzes" an die Betroffenen verschickt...

  • H
    heragema

    Wie kann ein so dummer Artikel nur in der Taz stehen. Folge ich dem Rat des „Autors“, dann brauche ich nicht mehr gegen S21 oder Castor oder Studiengebühren demonstrieren – ist ja alles rechtens. Vermutlich nur eine kleine Minderheit glaubt längere Zeit von nicht mal 400 Euro im Monat leben zu können. Sicher ein Leben als junger Mensch mit Bafög geht. Von der Grundsicherung sind aber auch Millionen Rentner, Kranke und Behinderte betroffen, mal recherchieren die Regelrente betrug für Männer im Jahr 2009, 762 Euro und für Frauen 354 Euro pro Monat. Wenn dann die vielen Billig-Lohn-Empfänger und Zeitarbeiter, die „unseren Aufschwung der letzten Jahre ermöglichten“ in Rente gehen, wird der Kampf ums Geld noch härter. Die wird erst recht nichts mehr übrig sein für Enkel, Kinder und soziale und kulturelle Kommunikation ist auch nicht drin.

  • J
    jps-mm

    Angela Merkel hat krass versagt

     

    Die Kanzlerin ließ die Hartz-IV-Verhandlungen scheitern. Opfer der kalten Machtpolitik sind 2,5 Millionen Kinder - im Superwahljahr 2011 sollten die Bürger sich revanchieren. Ein Kommentar von Hans-Peter Schütz

     

    Man kann nur hoffen, dass die Wähler ihre Chance nutzen und die schwarz-gelben Koalitionsparteien bei den kommenden Landtagswahlen abstrafen - für die unsinnige Zockerei, die sich CDU/CSU und FDP bei den Gesprächen über Hartz IV geleistet haben. Und es der Kanzlerin Angela Merkel künftig noch schwerer machen, im Bundesrat für ihre machtpolitischen Spielchen eine Mehrheit zu finden. Das Scheitern der Hartz-IV-Gespräche liegt in der krassen Führungsschwäche Merkels begründet.

     

    Erst hat die Regierung Merkel ein ganzes Jahr gebraucht, um ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts in ein Konzept umzusetzen. Obwohl es sich dabei letztlich nur um eine politisch-technische Frage handelte: die Neuberechnung des Hartz-IV-Regelsatzes. Bis heute hat die politische Cheflächlerin der Koalition, Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen, nicht erklären können, weshalb sie Vorschläge erst kurz vor Silvester auf den Tisch legte, so dass eine hektische Diskussion vorprogrammiert war. Hat denn das Arbeitsministerium zwölf Monate lang schlafen dürfen?

     

    http://www.stern.de/politik/deutschland/keine-einigung-im-hartz-iv-streit-angela-merkel-hat-krass-versagt-1652189.html

  • W
    Wolfgang

    Einmal Hartz IV immer Hartz IV. Und fünf Euro sind genug! Ein Rentner bekommt keine 5 Euro mehr, im Gegenteil, die Krankenkassenbeiträge wurden soeben erhöht.

  • H
    Hans

    Also sinnvoll sind Klagen beim SGB II immer, wenn sie Aussicht auf Erfolg haben. Das ist hier der Fall, aber für viele Betroffene ist die Nerverei und der Aufwand eben nicht gerade ausgeglichen. Natürlich müssen Leute klagen, aber es werden auch Leute klagen und nach dem Artikel Süddeutsche @Niklas sagt ja auch ein Richter schon, dass die Sozialgerichte das Verfassungsgericht anrufen werden. Ich denke, dass es auf jeden Fall zu Prozessen kommt.

    @egal

    Leider hat ein Verfassungsrichter öffentlich erklärt, dass das Urteil nicht zwangsweise zur Erhöhung der Regelsätze führen muss. Das macht schon einen Unterschied, wobei momentan die Berechnung der Regelsätze immer noch nicht der Verfassung entsprechen dürften.

    Insofern: Es wird und muss etwas auf der juristischen Seite passieren. Wenn es wirklich noch ein Urteil - dann ja gegen Merkel und von der Leyen - gibt, dann wäre eine Verfassungskrise im Prinzip gegeben.

    Insgesamt wäre es dann m.M. an der Zeit das ganze SGB II zu kassieren und einen anderen Ansatz zu wählen. Es gibt so viele Fehler und Probleme in diesem Gesetz, in den Behörden und bei den Mitarbeitern, dass dies wohl das schlechteste Gesetz seit langer Zeit ist.

  • D
    daweed

    Selbst wenn man die Berechnungsgrundlage aktuell sieht, würde ich klagen. Im Grunde gibt es nur geringe Änderungen der alten Berechnungsgrundlage. Wenn von der Leyen sich am statistischen Warenkorb orientieren würde, hätte Sie einige Milliarden locker machen müssen und das ist alternativlos.

     

    Wenn der Bundesrat nicht zustimmt soll die nächste Verhandlungsrunde im Mai, stattfinden. Dann kommt die Sommerpause und im Herbst könnte man eine Einigung erzielen.

     

    Aber was ist schon ungerecht? Wenn 20 Jahre nach der Wende Lohnunterschiede von 20% normal sind.

    Eine Ost-Deutsche Kanzlerin scheint das nicht zu interessieren.

  • K
    Kirk

    Also erst mehr Geld beantragen ist Unsinn. Das dauert doch Monate.

    Eine Klage ist schon das richtige Mittel. Da praktisch die Hartz Gesetze jetzt außer Kraft sind, gilt jetzt tatsächlich Richterrecht. Die Sozialgerichte können tatsächlich jetzt eigenmächtig höhere Sätze festlegen.

  • S
    Stefan

    Wollte gerade was dazu schreiben, bis ich den Kommentar von "von egal" las: dem schließe ich mich jetzt einfach mal an, weil es ziemlich genau dem entspricht, was ich dazu denke.

     

    Schade nur, dass man keine Anzeige in diesem Fall gegen die verantwortlichen und versagenden Politiker stellen kann. Im Gegensatz zu ALG II Beziehern, die man bei Fristversäumung sanktioniert, wird den Politikern keine Bezüge gekürzt...

     

    vg, stefan

  • N
    Niklas

    Schlechter Artikel eines ahnunslosen Journalisten.

    Hier gibt es zu dem gleichen Thema einen gut recherchierten, interessanten Artikel zu lesen:

    http://www.sueddeutsche.de/politik/hartz-iv-reform-verfassungsgericht-soll-bei-hartz-iv-eingreifen-1.1057991

  • M
    Marcus

    Das ist tatsächlich eine recht seltsame Einstellung. Aber was tun wenn die aktuelle Regelung verfassungs widrig ist?

    Variante eins: Gar kein Hatz4 mehr auszahlen nach dem Motto Gesetzesgundlage ungültig Anspruch nichtig. Wobei dies sicherlich noch Verfassungswidriger wäre wegen der fürsorgepflicht des States und so.

     

    Variante zwei: Wenn ein Gesetz, dass ein anderes Ersetzte Ungültig ist, währe Vermutlich das Vorhergehende weiter Anzuwenden. Damit müsste sich nach der Alten Arbeitslosen- und Sozialilfe Regelung gerichtet werden.

     

    Zusätzlich ist die Aussage der Rückwirkung, einer gültigen Änderung nur für dieses Jahr Unverständlich. Wenn der Regelsatz nach einer Neuberechnung erhöht wird, weil er zufor falsch berechnet war(was ja das Gericht feststelte), wird er in der Zeit vor dem gerichtentsscheid nicht richtiger. Damit wäre es ein simpler, wenn auch folgenschwerer, Berechnungsfehler welcher seit seiner Entstehung zu koregieren ist. Denn jeder der Seit der Einführung Hartz4 bezog hatte Anspruch auf einen koreckt berechneten Regelsatz und ich sehe nicht warum die Ansprüche vor den 01.01.2011 Verfallen sein solten. Offensichtlich sind die Gerichte da aber anderer Meinung. Vieleicht kann mich jemand darauf hinweisen wo ich falsch liege.

  • TT
    Thomas T.

    Wenn auf Artikel 1 geklagt wird, sieht das alles schon wieder ganz anders aus.

    SGB 2 ist gegen die Würde des Menschen, sagt mein Anwalt und das rät er allen.

    Wir haben jetzt schon 174 SGB 2 Opfer mobilisiert die auf Artikel 1 klagen. Die Kosten sind immens. Und es werden immer mehr !

  • I
    Ingo

    Das sollte Ländersache werden, das würde alles lösen.

  • E
    egal

    Die Frage ist nun aber, was hier geltendes Recht ist. Das SGB II in diesen Punkten ist es nicht, so hat es das BVerfG nunmal ausdrücklich gesagt.

     

    Das heißt, die Verwaltung hat momentan keine gesetzliche Vorgabe bezüglich der Regelsätze.

     

    Wenn es im Artikel heißt, dass nur die Berechnungsmethode und nicht der Regelsatz verfassungswidrig sei ist das natürlich ein Trugschluss. Ein durch eine falsche, willkürliche Berechnungsmethode berechneter Regelsatz ist natürlich ebenso rechtswidrig.

     

    Auch dass es kein Anreiz zum Bummeln gibt, ist leider falsch. Wenn man sich anschaut, dass es beim Urteil vor allem um die Leistung an Kinder ging und diese rückwirkend ebend nichts bekommen, wird klar, dass der Bund hier viel Geld sparen wird. Mal ganz abgesehen davon, dass die Regelung mit Bildungsgutscheinen u.ä. auch nicht gerade verwaltungsfreundlich sich anhört.

     

    Von daher sind Klagen durchaus sinnvoll. Das schreibt Herr Rath dann interessanterweise so nebenbei, obwohl ers oben noch verneint hat.

     

    "Musterkläger" gibt es im Sozialrecht nicht und wer die Sache nicht anhängig macht, kann sich auch nicht beschweren und bekommt im Zweifel auch nichts.

     

    Sinnvoll wäre ein Antrag an das BVerfG, die sind ja nunmal von der Politik veräppelt worden und könnten durch eine einstweilige Anordnung den Übergang regeln, was sie eigentlich schon damals hätten machen müssen. Aber da gabs vermutlich keine Mehrheit im Senat dank der neuen Richter. Gerade wenn Kinder involviert sind, sollte hier eine pragmatische Lösung via eA Erfolg haben.

     

    Denn eine politische Lösung wird es wohl in den nächsten Wochen nicht so schnell geben und warten, bis sich die Politik mal einigen kann, entspricht nunmal nicht der Rechtslage wie sie das BVerfG bestimmt hat.

     

     

    Insgesamt muss man wohl Herrn Rath heute attestieren, dass sein Artikel auch direkt von der Bundesanstalt aus Nürnberg hätte stammen können.