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Preis für Berliner postmigrantisches TheaterFormel 1 im Trabi

Shermin Langhoff leitet das Ballhaus Naunynstraße in Berlin und macht sich dort für postmigrantisches Theater stark. Am Sonntag erhält sie den Kairos-Preis.

Intendantin Shermin Langhoff und Kurator und Dramaturg Tuncay Kulaoglu im Berliner Theater Ballhaus Naunynstraße. Bild: dpa

Der Gott des rechten Augenblicks, Kairos in der griechischen Mythologie genannt, er scheint ein besonders gutes Verhältnis zum Ballhaus Naunynstraße zu haben: Das ist jenes kleine, viel von sich reden machende Theater aus Berlin-Kreuzberg, das Shermin Langhoff seit Herbst 2008 als Haus für Stoffe und junge Künstler aus der zweiten und dritten Generation der nach Deutschland Eingewanderten leitet. Denn erstens bekommt Shermin Langhoff einen nach Kairos benannten Preis, gestiftet von der Alfred Toepfer Stiftung und mit 75.000 Euro gut dotiert, am 27. Februar im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg verliehen. Zweitens wurde gerade letzte Woche eine Inszenierung des Ballhauses, "Verrücktes Blut" in der Regie von Nurkan Erpulat, für das Theatertreffen ausgewählt.

Drittens kam dieses Stück selbst zum rechten Augenblick heraus, zwei Tage nach dem Erscheinen von Thilo Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab", und gab, wie Wolfgang Höbel, Redakteur für Theater beim Spiegel und Juror für das Theatertreffen, die Wahl begründete, eine schnelle, lustige und kritische Antwort auf seine Thesen. Und viertens könnte man behaupten, dass Shermin Langhoff ihr Konzept eines postmigrantischen Theaters im rechten Augenblick gestartet hat, als die Debatte um Integration und deutsche Leitkultur fett auf die politische Agenda gesetzt wurde.

Allerdings nicht zum ersten Mal. Und dieser Eindruck der Wiederholung, den immer gleichen Schreckgespenstern schon öfters begegnet zu sein, mischt für die 41-jährige Theaterleiterin etwas Bitterkeit in die Freude über ihren Erfolg. Zum Beispiel die Debatte über Ehrenmorde und Kopftücher, "das wiederholt sich, seit zehn Jahren mindestens", sagt sie. "Aus der Perspektive von feministischen Türkinnen, die wie ich in den siebziger und achtziger Jahren sozialisiert sind und mit 14, 15 Jahren viel kritischere Bücher über männliche Gewalt gelesen haben, nimmt sich, wie das heute mediatisiert wird, sehr niveaulos aus."

Shermin Langhoff regt sich auf. Sie hat ihr Theater nicht gegründet, um Rahmenprogramm einer politisch erhitzten Debatte zu sein, mit der die Medien Quote machen, sondern aus dem Bedürfnis nach anderen Geschichten heraus, die nicht im Klischee stecken bleiben. Und sieht sich jetzt einer "neuen Qualität von Rassismus und antidemokratischer Gesinnung" gegenüber, wie sie in der Debatte um Sarrazins Buch deutlich wurde. "Das geht an keinem heute 17- oder 20-Jährigen, der in Deutschland geboren und anderer Herkunft ist, spurlos vorüber, was hier gerade an demagogischer ,Debattenunkultur' ausgepackt wird."

Multikulti ist nicht tot

Sie erzählt von einer Umfrage, die sie im Dezember im Spiegel gelesen hatte, mit einer "menschenverachtenden" Frage: "Hätten Sie es besser gefunden, wenn in den 60er Jahren nicht so viele arabische und türkische Migranten zu uns gekommen wären?" Schon in der Frage liegt eine beleidigende Aberkennung der Leistung, die die Generation ihrer Eltern nach Deutschland eingebracht und mit der sie "das Land in seiner heutigen Form möglich gemacht hat".

Sie hat den Begriff der Postmigration zwar nicht erfunden, aber mit den Stücken, die am Ballhaus inszeniert werden, erhält er eine neue Anschaulichkeit. "Der postmigrantische Raum ist der eigentlich neue deutsche Raum, das ist der Raum, in dem wir alle leben", sagt sie. Und in diesem Raum geht es um möglichst vielfältige Strategien der Partizipation. "Du brauchst genauso einen Multikulturalismusansatz wie einen Kosmopolitismus-, einen poststrukturalistischen und einen feministischen Ansatz", zählt sie auf, "du musst nur wissen, wo und für wen du dich engagierst und was du erreichen willst, bei dieser Gleichzeitigkeit von auch in sich nicht statischen Konzepten und Lebenswelten." Die Rede davon, dass Multikulti tot sei, ist für sie lächerlich, rückt sie doch einen Zugang an eine Stelle, wo schon viel mehr nebeneinander existiert und existieren muss.

Der Erfolg im Ballhaus Naunynstraße gibt ihr recht. Mit Erfolg ist in diesem Fall weniger die Nominierung zum Theatertreffen und der Kairos-Preis gemeint, der übrigens nicht an das Haus, sondern an sie persönlich geht und vom Stifter als Ermutigung gedacht ist, als vielmehr der Publikumszuspruch, die Mischung von noch häufig oft getrennten Milieus in den Vorstellungen nachmittags und abends. Viele der hier uraufgeführten Stücke werden weitergespielt, obwohl die finanzielle Basis eigentlich gar nicht auf einen Repertoirebetrieb ausgelegt ist. Unter ökonomischen Gesichtspunkten ist der Erfolg damit auch eine zweischneidige Sache, "wir fahren Formel 1 mit Trabi", nennt das Shermin Langhoff. Hoffentlich kommt sie damit noch weit.

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