Kunstraum in New York: Maßgeschneidert
Gelungene Verjüngung: Das Ludlow 38, der Kunstraum des Goethe-Instituts in New York, zeigt "Waldemar Cordeiro & Franz Mon" und startet ein Kuratoren-Programm.
1985 war ich mit einem DAAD-Stipendium in New York. Ohne institutionelle Anbindung suchte ich erst mal Kontakt im Goethe-Institut in der 5th Avenue, vis-à-vis dem Metropolitan Museum. Dort gelangte ich über ein grandioses Entree in ein sehr gepflegtes Haus, dessen ebenso gepflegtes und daher etwas verspätetes Kulturprogramm auf eine nicht minder gepflegte bürgerliche Klientel ausgerichtet schien.
Mein nächster Kontakt mit dem Goethe-Institut in New York, das inzwischen mit Mann und Maus in Lower Manhattan saß, fand ein knappes Vierteljahrhundert später statt. Zunächst hatte der 2008 neu gekürte Programmdirektor Stephan Wackwitz in der Lower East Side einen kleinen Kunstraum aufgemacht, um dort, in der Ludlow Street 38, mit zeitgenössischer Kunst ein jüngeres Publikum für das Goethe-Institut zu interessieren. Als Content Provider für Ludlow 38, wie die Ladengalerie genannt wurde, gewann er den Kunstverein München und als Sponsoren die Automarke Mini.
Der New Yorker Presse und den Kunstmagazinen zufolge hat die Verjüngung ziemlich gut geklappt. Der Weg, der nun von der Galerie in der Ludlow Street zu Direktion, Verwaltung, Sprach- und Programmabteilung führt, die aufgrund von Baumaßnahmen in die Spring Street gezogen sind, bildet mit seinem Abschluss am Veranstaltungsort Wyoming Building in der Dritten Straße ein neues New Yorker Goethe-Dreieck; durchaus eine Art Bermuda-Dreieck, in dem die frühere Klientel aus der 5th Avenue verloren ging. Aber gut, sobald das Gebäude dort saniert ist, kann man das eine tun, ohne das andere zu lassen, denn es wird wieder Attraktion für die altbekannten Goethe-Freunde sein.
Sie müssten sich allerdings schon jetzt angesprochen fühlen, mit der von Tobi Maier kuratierten Ausstellung zu zwei Protagonisten der konkreten Kunst und Poesie, "Waldemar Cordeiro & Franz Mon". Denn einerseits hatte die Konkrete Kunst ihre Hochzeit in den frühen 1960er Jahren und andererseits entstammt ein zuletzt gerade in jugendlichen Kunstkreisen als überaus aktuell wiederentdeckter Künstler wie Öyvind Fahlström dieser Bewegung, wie sein 1954 publiziertes "Manifesto for Concrete Poetry" belegt. Ungeachtet der spröden Anmutung der eher kleinformatigen Papierarbeiten wirkt die Ausstellung im Ludlow 38 ungeheuer anregend. Denn die beiden Pioniere der Konkreten Kunst werfen in ihren Werken Fragen auf, die derzeit auch die junge KünstlerInnengeneration bewegen, etwa die nach einer zeitgemäßen Abstraktion.
Für die Ende Februar eröffnete Schau wurde der schmale Schlauch des Kunstraums durch den New Yorker Künstler Martin Beck in Zusammenarbeit mit dem Architekten Ken Saylor neu gestaltet. Nun sieht er mit seinen weiß getünchten Wänden, denen weiße Displays vorgeblendet sind, regelrecht schick aus. In jedem Fall aber kommen die verfremdeten Fotografien im Computerdruck, die Collagen und die Schreibmaschinen-Typografie der Wort-Arbeiten auf ihnen deutlich besser zur Wirkung, als dies auf der zuvor rohen Wand gelungen wäre. Beiden Künstlern gemeinsam ist die Skepsis gegenüber dem fotografischen Bild und ein besonderes Interesse an Sprache, als akustisches, vor allem aber als visuelles, typografisches Phänomen. Die besondere Ästhetik ihrer Papierarbeiten ergibt sich durch speziell erdachte Regeln, nach denen die Künstler ihr Material organisierten. Informationen, die bei Waldemar Cordeiro (1925-1973) schon ganz früh aus der Arbeit mit dem Computer stammten, werden so in Bildproduktion übersetzt
Der Künstler, Computerprogrammierer und Landschaftsdesigner formierte mit anderen die Gruppe "Ruptura", die 1956 die erste wichtige nationale Ausstellung für Konkrete Kunst im Museum für Moderne Kunst von São Paulo organisierte. In Europa wurde er durch seine Beteiligung an den "New Tendencies"-Ausstellungen in Zagreb (1965 und 1968) bekannt. Der 1926 geborene Franz Mon, der 2010 eine große Überblicksausstellung im Züricher Haus Konstruktiv hatte, arbeitet als bildender Künstler, Schriftsteller und Hörspielautor. Zuletzt fragte er etwa nach der Beschaffenheit der Wörter und danach, wie man sich Wörter beschafft, von deren Beschaffenheit man wenig weiß, und inwiefern sich dann die Anschaffung von Wörtern überhaupt lohnt.
"Waldemar Cordeiro & Franz Mon" ist die erste Ausstellung von Tobi Maier in seiner Funktion als Kurator der "Mini/Goethe-Institut Curatorial Residencies Ludlow 38". Die äußerst kompliziert beschaffene Wortfolge will das neue Programm des Kunstraums als Marke etablieren. Bislang wechselten sich der Kunstverein München, die European Kunsthalle Köln und das Künstlerhaus Stuttgart jährlich in der Programmverantwortung ab. Nun soll dies durch einzelne KuratorInnen geschehen.
Tobi Maier betreute bislang die Kunstvereinsausstellungen, etwa die zur Münchner Künstlerin und Mitbegründerin der Band F.S.K. Michaela Mélian, zum konkret poetischen Düsseldorfer Künstler KRIWET (European Kunsthalle) oder zur amerikanischen Sound-Pionierin Maryanne Amacher (Künstlerhaus) als Kurator vor Ort. Dass er nun der erste Vertreter des neuen Curatorial Residencies Programms ist, schaut ein bisschen maßgeschneidert aus. Gleichzeitig scheint es aber nur fair, dass er endlich selbstständig agieren darf - und unter pragmatischen Gesichtspunkten sinnvoll ist es im ersten Jahr des Programmwechsels sowieso.
Problematischer ist die Art, in der seine NachfolgerInnen gefunden werden sollen. Eine dreiköpfige Jury wird zunächst mögliche Kandidaten vorschlagen, um sich dann in einer zweiten Runde auf den Kurator in Residency zu einigen. Das muss auf eine "dieses Jahr mein, nächstes Jahr dein Kandidat"-Absprache hinauslaufen. Schwer vorstellbar, dass die "Mini/Goethe-Institut Curatorial Residencies Ludlow 38" so zu einer Marke im Kunstbetrieb werden. Wenzel Bilger, der neue Programmleiter, sollte diese Regel wieder ändern.
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