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Die Vision vom GeruchsinternetDer digitale Apfelstrudel

Das Internet zum Stinken bringen: Forscher arbeiten an der Digitalisierung und Ausgabe von Geschmack und Geruch. Doch das ist ziemlich komplex.

Glück für Sie: noch ist taz.de nicht ans Geruchsinternet angeschlossen. Bild: NDomer73CC-BY 2.0

Einen Apfelstrudel backen, genau wie ihn die Oma früher gemacht hat: Das wär doch was. Wie das schon gerochen hat, damals, in ihrer Küche. Da breitete sich ein warmer Duft nach Äpfeln und Zimt aus, und wenn dann erst die Vanillesoße im Topf dampfte. Ihn selbst zu backen, wäre toll, aber sie hat das Rezept nicht vererbt.

Man müsste eben reinriechen können, in all die Kochrezepte im Internet zum Beispiel, oder in diese Kochsendungen. Dann erst könnte man wirklich sagen: Das ist genau das richtige Rezept. Warum geht das eigentlich nicht?

"Man müsste ja zunächst mal diesen Duft genau herausfinden", sagt Hanns Hatt. Der Biologe und Mediziner der Ruhr-Universität in Bochum ist Deutschlands wohl bekanntester Geruchsforscher. Hatt und seine Kollegen forschten vor einiger Zeit daran, Gerüche zu digitalisieren. Ihr Plan war, den Duft eines Menschen übers Internet zu schicken oder Essensszenen in Filmen mit Düften zu versehen.

Auch wer Rezepte digitalisieren will, bräuchte dazu deren Gerüche: Das Gehirn wertet Informationen über Geruch und Geschmack gleichzeitig aus, so kann man die beiden Sinne beim Essen oft nicht voneinander unterscheiden. Ein Gericht in allen Feinheiten zu schmecken, heißt, es auch zu riechen. Das fällt spätestens auf, wenn man mit verschnupfter Nase Wein trinkt.

Hunderte Duftkomponenten

Doch Gerüche genau zu entschlüsseln, ist schwierig: Schon ein einfacher Kaffeeduft enthält um die 200 Duftkomponenten, ein Rosenduft dürfte mehr als 500 Bestandteile enthalten. Der Geruch eines Apfelstrudels kann aus hunderten von unbekannten Bausteinen bestehen. Um diese herauszufinden, müsste man seinen Duft einfangen und zum Beispiel durch einen Gas-Chromatografen jagen. Das Analysegerät würde den Duft in seine Bestandteile zerlegen, und am Ende eine Grafik ausspucken. Aus diesem Bild ließen sich dann mit etwas Glück die Elemente des Duftes entschlüsseln.

Bild: taz
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Nur reicht es noch nicht, den Bausteinen eines Duftes auf die Schliche zu kommen. "Man muss auch jeweils die exakt richtige Konzentration herausfinden", sagt Hatt. Die wichtigsten Substanzen eines Geruches sind oft nicht die, die darin am höchsten konzentriert sind.

Um diese Geruchsinformationen erst mal in eine digitale Welt hineinzubefördern, braucht es entsprechende Computerprogramme. An so einem Programm arbeitet Markus Waltl von der Universität Klagenfurt in Österreich seit etwa eineinhalb Jahren. "Sensory experience" heißt es.

"Das Programm soll unter anderem Filmemachern ermöglichen, ihre Filme zusätzlich mit Effekten wie Vibrationen, Wind oder eben Gerüchen zu versehen", sagt der Informationstechnologe. Auch Online-Kochbuch-Betreiber könnten damit ihre Gerüche und Geschmäcker theoretisch ins Internet bringen. Die Betreiber müssten nur exakt die Informationen über die Gerüche in ihr Programm eingeben.

Doch selbst wenn das klappt, wie kommen all die digitalisierten Düfte letztlich aus dem Computer wieder raus? Etwas zu riechen, oder auch zu schmecken, bedeutet, dass Moleküle in Nase oder Mund übertragen werden: tatsächliche Materie. Daran kommt man nicht vorbei. Denn nur die kleinen Teilchen stimulieren die Sinneszellen im Körper, diese geben dann die Information darüber ans Gehirn weiter. Das heißt: Aus einer digitalen Welt etwas zu riechen oder zu schmecken, klappt nur mit echter Materie. Und die schwappt nicht einfach so aus dem Computer. Es braucht dazu Hilfsgeräte.

Steck den Geschmacksdrucker in den Mund!

Das reine Schmecken spielt sich erst mal auf der Zunge ab. So müsste ein Geschmackssimulator direkt im Mund stecken, um die Daten eines Gerichts aus dem Computer zum Menschen zu vermitteln. Ein solches Gerät haben zum Beispiel japanische Wissenschaftler entworfen. Es funktioniert nach dem Prinzip Tintenstrahler. Fünf Tuben in dem Plastikbeißer enthalten Chemikalien, die unsere Basisgeschmacksempfindungen simulieren können: süß, sauer, bitter, salzig und Umami, der Sinn für glutamathaltiges Essen.

Soll zum Beispiel ein Bananengeschmack erzeugt werden, spritzt das Gerät die entsprechende Kombination auf die Zunge des virtuellen Essers. Der Geruch dazu fehlt bisher jedoch. So schmeckt der beste Wein mit dem Simulator höchstens sauer.

Um Gerüche aus den Bildschirmen zu den Menschen zu bringen, kann man schon einige Apparate kaufen, sogar Helme. Solche Simulatoren sind vor allem für Computerspiele gemacht, doch auch Kinobetreiber setzen auf Duftmaschinen. Sie funktionieren wie der Geschmackssimulator: So kann etwa Markus Waltls Duftgerät aus vier Basisdüften weitere Gerüche mixen, einige Geräte mischen bis zu zwanzig Basisdüfte zusammen – mehr sind bisher auch noch nicht entschlüsselt.

Die menschliche Nase hat jedoch rund 350 Arten von Geruchsrezeptoren. Sie reagieren alle auf unterschiedliche Duftmoleküle. Welche der Empfänger wann und mit welcher Intensität stimuliert werden, das genau macht einen Duft aus. Stimmt das Duftmuster nicht, kann aus einem wohlriechenden Parfüm ein stinkendes Gewässer werden. Ein Gerät mit zwanzig Duftstoffen kann auch nur zwanzig der Geruchsrezeptoren stimulieren. Ein komplexer Apfelstrudelduft entsteht so wohl nicht.

Problem Duftentsorgung

Dann ist da noch ein Problem: "Es gibt schon gewisse Lösungen, Düfte an den Verbraucher zu bringen", sagt Hatt, "wofür es aber noch überhaupt keine Lösung gibt, ist, diese Düfte wieder wegzubringen." Nach einer Viertelstunde Betriebszeit eines Duftgeräts, wenn sich die Düfte dann auch noch ordentlich vermischten, würde es wohl bestialisch stinken, meint der Experte.

Markus Waltl kann sich vorstellen, dass sein Programm einmal das Anriechen von Kochrezepten im Internet ermöglicht. Aber werden digitale Düfte auf so viel Interesse stoßen, dass Investoren ausreichend Geld in die Entwicklung stecken? Und: Wird man Düfte von Gerichten irgendwann so genau entschlüsseln können, um sie dann in Basisdüfte, die ebenfalls noch keiner kennt, übersetzen zu können? Damit sie schließlich in genau der richtigen Dosierung aus einem Gerät am Computer strömen? "Ich glaube ja, das ordentlich zu machen ist nahezu unmöglich", sagt Geruchsforscher Hatt. In grober Annäherung würde es vielleicht funktionieren, oder mit einfachen Gerüchen wie Banane oder Vanille.

So bliebe nach viel Zerlegung und digitalem Wiederzusammenbauen des Geruchs am Ende vielleicht der Eindruck eines Apfelstrudels. Ob es aber ein gutes Rezept ist, oder genau das von Oma, wird man aus einer digitalen Welt wohl nie erkennen können. Dafür, meint Hatt, ist die Duftwelt einfach zu komplex.

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